Kapitel 3: Abreise

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Mit einem lauten Knall schlug der Koffer auf dem Boden auf. Hannah sprang vor Schreck in die Luft. "Maya!", schrie sie vorwurfsvoll. Ich hatte versucht, den Koffer vom Dachboden zu holen und dabei war er mir ausgekommen. "Tschuldigung", murmelte ich genervt. Hannah schob den Koffer in mein Zimmer. "So! Dann lass uns mal packen!", rief sie fröhlich. Ich war alles andere als gut drauf. Morgen um 8 würden mich Maxi und Ben abholen. Tobi hat es geschafft meine Tante zu überreden, dass sie nichts meinen Eltern erzählt und so tut, als wäre ich mit meinem Bruder Michi bei ihr. Michi haben wir bestochen. Er bekommt zehn Mäuse und darf die ganze Woche bei Tobi pennen. Hat doch was. Und ich? Ich darf eine Woche lang in irgendeinem Kaff gammeln und so tun als wäre ich Bens Freundin. Ich hoffte einfach nur, dass ich ihn nicht küssen musste. "Also was packen wir alles ein?", nuschelte Hannah vor sich hin, während sie meinen Kleiderschrank durchsuchte. Am Ende hatte ich, was weiß ich wie viele Tops, Tshirts, Röcke und Hosen, zwei Bikinis, Shampoo, ein Handtuch, meine Kosmetikartikel, Zahnbürste und ein Buch dabei. Zufrieden schloss Hannah meinen Koffer. Es war inzwischen 20 Uhr. In zwölf Stunden fuhr ich in meine ganz persönliche Hölle. "Tschüss, Maya. Benimm dich und sorg dafür, dass sie nicht unziehen, okay?", verabschiedete sich Hannah und umarmte mich. Heute ging ich schon ziemlich früh schlafen.

Um halb sieben klingelte mein Wecker. Verschlafen machte ich ihn aus und tapste ins Bad. Ich klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Jetzt ging es mir schon besser. Schnell aß ich zwei Nutellabrote und machte mich dann zurecht. Ich zog das Outfit an, dass Hannah mir gestern rausgelegt hatte. Eine lange Jeans, da es heute regnete, ein schwarzes Top und darüber meine rosa-lilane Bluse. Das sah ziemlich ländlich aus, fand Hannah. Ich sollte ja nicht aussehen wie eine Tussi aus der Stadt. So sah ich zwar nie aus, aber okay. Ich wusste nicht, wie ich mich vor der Familie präsentieren sollte. So wie ich war oder so wie die Mädchen, die Ben immer abschleppte. Das würde ich später Ben nochmal fragen. Ich hatte beschlossen, dass wenn ich das jetzt schon durchzieh, dann aber auch richtig. Das heißt, ich wollte mich total beliebt bei der Familie machen. So als wäre es wirklich die von meinem Freund. Und wer weiß, vielleicht hatte Ben ja einen süßen Cousin oder wenigstens eine Cousine, mit der ich dann Zeit verbringen konnte. Ich trug etwas Wimperntusche auf und Lipgloss. Den Rest ließ ich, wie er war und ich musste zugeben, dass ich mit dem Endergebnis zufrieden war. Ich zog schnell meine Amerikasneakers an und ging dann raus. 08:01 Uhr. Ich war pünktlich. Ich hoffte, dass Maxi keine Schrottkarre fuhr. Ich kannte die Straßen in Österreich von früheren Urlauben und ich hatte keine so angenehmen Erinnerungen daran. Einmal mussten wir anhalten, weil ich mich übergeben musste. 08:13 Uhr. Wo blieben sie denn?! Ich schaute auf mein Handy. Keine neue Nachricht von Ben. Tobi hatte mir seine Nummer gegeben. Leider. Ich hatte es bisher vermieden, dass Ben meine Nummer in die Finger bekam, aber jetzt war es zu spät. 8:27 Uhr. Immer noch keine Nachricht von Ben, aber dafür von Hannah.

Und? Seid ihr schon unterwegs?

"Nein", antwortete ich schnell. Ich setzte mich auf den Bordstein. Wann kamen sie denn endlich? In mir stieg die Hoffnung hoch, dass sie mich vergessen hätten oder es abgeblasen worden wäre. Doch all meine Hoffnungen zerschlugen sich, als ein roter Mercedes vor mir hielt und Maxi ausstieg. "Hey, Kleine!", begrüßte er mich, umarmte mich, hob meinen Koffer in den Kofferraum und hielt mir die Tür zur rechten Seite der Rückbank auf. Ben saß auch hinten. Wieso saß er denn nicht vorne? "Maxi hasst es, wenn jemand auf dem Beifahrersitz sitzt", erklärte Ben, als hätte er meine Gedanken erraten. Ich schnallte mich an und los gings.

Erstaunlicherweise konnte Maxi ziemlich gut Auto fahren. Vielleicht etwas schnell, aber ansonsten gut. Auf der Autofahrt stopfte mich Ben mit Fakten voll. Wir waren seit einer Woche zusammen. Kennen tun wir uns durch Tobi. Er hat mich gefragt. Wir haben uns schon geküsst. Das waren schon alle Fakten zu unserer Beziehung. Ich denke,das könnte ich mir merken. Dann kamen die Fakten über seine Familie. Seiner Oma Lucia Himmlmeer, 72 Jahre, gehört der Bauernhof. Thomas und Madison Himmlmeer waren seine Eltern und beide 44 Jahre alt. Josef Himmlmeer ist sein 47jähriger Onkel und verheiratet mit der 43jährigen Lydia. Sie haben drei Kinder, Sophie (20), Lukas (16) und Amy (8). Das war dann auch schon die ganze Familie. Als nächstes bekam ich Infos zum Bauernhof. Sie hielten dort Kühe, Ziegen und Hühner. Zum Hof gehörten außerdem noch viele Ackerffelder und drei gigantische Bulldogs. Offiziell gehört der Bauernhof Lucia. Doch ihre Kinder kümmern sich größtenteils darum. "Ist das alles, was ich wissen muss?", fragte ich schließlich. "Es gibt noch eins, dass du wissen solltest", sagte Ben. Ich wartete darauf, dass er weiter redete. Da er das nicht tat, fügte ich hinzu: "Und das wäre?" "Meine Familie ist etwas speziell", erklärte er. Ich nickte. Als ob nicht jede Familie speziell wäre. Ich steckte mir Kopfhörer in die Ohren und hörte den Rest der Fahrt Musik.

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