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Der erste Schultag stand bevor. Das war mein erster Gedanke nach dem Aufstehen, ich hatte irgendwie Muffensausen. Mein Magen grummelte und ich konnte mich nicht dazu bewegen mich anzuziehen. Ich wollte die ganzen neuen Leute nicht treffen, auf Lucy freute ich mich. Sie hatte mir versprochen vor der Schule auf mich zu warten, aber ich wollte ihre Freunde nicht kennen lernen.
"Clarissa!", rief meine Granny durch die Tür, "Aufstehen, jetzt!"
Ich verzog das Gesicht, "Ja!", rief ich zurück. Und dann stand ich auf und ging zum Schrank. Da ich es nicht mochte kurze Hosen zur Schule zu tragen, nahm ich mir doch nur eine Jeans aus dem Schrank und ein einfaches Top und eine Strickjacke. Das sah doch ganz gut aus, sagte ich mir selber und stand anschließend gefühlte 30 Minuten im Bad und sah mich an. Mein äußeres war mir eigentlich nie so wichtig gewesen, ich verstand nicht, wieso es jetzt so eine große Rolle für mich spielte, das machte doch keinen Sinn. Ich band meine Haare zu einem Zopf nach hinten und deckte dann meine gröbsten Hautunreinheiten ab. Das musste reichen, damit war ich zufrieden.
Schnell lief ich die Treppe herunter, den Rucksack auf meinen Schultern, hetzte in die Küche und setzte mich dort an den Küchentisch. Das Frühstück war schon mit ganz viel Liebe von meiner Granny zubereitet worden und so nahm ich mir nur schnell ein Toast und bestrich ihn mit Butter.
"Morgen", murmelte ich währenddessen, "Wie geht es euch?"
"Gut", meinte mein Grandpa, der nicht hinter der Zeitung hervor sah, "Ich bin nur etwas verspannt, ich habe irgendwie ganz seltsam geschlafen."
"Oh", sagte ich bedrückt, "Das tut mir leid, Grandpa"
"Ach, ich bin alt, da passiert das schonmal. Ich mache heute mittag einfach ein Nickerchen dann geht das schon wieder", sagte er lachend. Daraufhin musste ich auch grinsen.
"Hast du alles Liebes?", fragte meine Granny mich und legte mir eine Hand auf die Schlter, ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie in den Raum gekommen war.
"Ja, ich denke schon. Ich habe alles", ich nickte und musste schlucken. Dann ging es jetzt wohl los.
Ich hatte Granny überredet, mich mit dem Bus fahren zu lassen, doch in Wirklichkeit wollte ich laufen. Es war nur ca ein Kilometer, den ich zurücklegen musste, in einer viertel Stunde war ich also da. Dann musste ich ja nicht mit dem Bus fahren, das war ja Unsinn. Außerdem hatte ich dann noch etwas Zeit meine Gedanken zu ordnen und richtig zu sortieren. Ich hoffte einfach nur, dass der erste Schultag nicht allzu schrecklich werden würde. Als ich aus dem Haus getreten war, setzte ich sofort meine Kopfhörer auf und versuchte mich auf den ersten Schultag vorzubereiten. Es fiel mir einfach schwer, doch ich versuchte alles um mich herum zu vergessen.
Es klappte leider nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, denn meine Gedanken schweiften immer und immer wieder ab. Ich dachte an meine letzten ersten Schultage, meinen aller ersten Schultag und wie meine Mom mich gefahren hatte. Mom... wie ich dich vermisse.

Plötzlich fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter und wirbelte erschrocken herum. Dabei verfing sich meine Hand in meinen Kopfhörern, sodass ich sie unsanft heraus riss.
Bevor die Person etwas sagen konnte, drehte ich mich bereits zum weitergehen um. Ich hatte keinen Nerv heute mit Austin zu reden. Seit dem Vorfall auf seiner Arbeit habe ich ihn nur noch ein Mal bei uns im Garten gesehen, aber nicht mit ihm geredet.
"Das ist unhöflich, Clary", sagte er mit tadelnder Stimme und folgte mir.
Ich schwieg. Ich wusste ja, dass es nicht höflich war ihn stehen zu lassen, aber heute war nicht der richtige Zeitpunkt für seine Spielereien. Mein Kopf war voll, voll mit Bildern meiner Mutter und mir.
"Dafür, dass du gar nicht so lange Beine hast, bist du ziemlich flott", bemerkte er wieder Spottisch, "Aber ich bin trotzdem hinter dir."
Ich antwortete nichts, ging gerade aus und versuchte nicht zu weinen. Er sollte aufhören Scherze zu machen, das wollte ich nicht, ich wollte nicht so tun müssen als wäre alles okay, denn das war es bei aller Liebe nicht. Es war das erste Jahr an dem ich das Ritual mit meiner Mom nicht durchziehen konnte. Normalerweise brachte sie mich zur Schule nachdem wir zusammen bei einem Pfannkuchenladen in unserer Stadt essen waren. Dieses Jahr war alles anders. Ich habe Toast gegessen, ich gehe zur Schule und ich kann am Nachmittag nicht mal ihr Grab besuchen gehen. Es war der beschissenste Tag aller Zeit.
"Wenn ich gehen soll, dann sag was", sagte Austin und ich konnte sein grinsen praktisch hören.
"Verschwinde", sagte ich und ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme brach. Ich wollte keine Gesellschaft, nicht jetzt. Denn er nahm die Stelle meiner Mom ein, die mich zur Schule brachte, wenn er mit mir gehen würde. Und diese Stelle gehörte nur ihr, niemand anderem.

"Alles in Ordnung?", fragte er und seine Stimme veränderte sich auf einmal. Sie klang besorgt und mitfühlend, doch das wollte ich ebenfalls alles nicht hören.
"Ja, alles bestens und jetzt lass mich", sagte ich zickig und setzte meine Kopfhörer wieder in meine Ohren. Das Lied No Air von jordan Sparks erklang als Cover und ich musste traurigerweise lächeln, als meine Augen wässrig wurden. Moms Lieblingslied.

Meine Mutter saß neben mir auf der Fahrerseite des Autos und sang laut zum Radio mit. Sie lachte, ihre blonden Haare fielen ihr immer wieder ins Gesicht, doch das störte sie nicht. Es war der erste Schultag der zehnten Klasse und ich war wirklich aufgeregt alle wieder zu sehen. Mir bedeuteten meine Freunde alles und sie nach so einer langen zeit wieder zu sehen bedeutete mir sehr viel.
"Aufgeregt?", fragte Mom mich und legte eine Hand auf mein Knie, "Das musst du nicht sein, es ist das gleiche wie die Jahre davor. Nur, dass wieder Sommer ist. Der Rest ist doch gleich geblieben, Spatz."
Ich nickte, "Aber ab jetzt wird es wirklich wichtig und schwer", sagte ich seufzend. Schule war eigentlich nicht meine Lieblingsbeschäftigung, ich war faul. Sehr sogar. Aber naja, was gemacht werden musste tat ich.
"Und das wirst du auch schaffen, Liebes. Streng dich etwas an, dann wird das alles schon. Du bist ja nicht dumm", sagte sie aufmunternd.
"Da sagen meine Lehrer aber was anderes", murmelte ich niedergeschlagen.
"Schätzchen", sie seufzte, "Das sind alles Idioten, das weißt du doch. Sie sehen nur, was sie sehen wollen, aber ich sehe dich. Und du bist klug und intelligent, aber eben auch faul. Das ist das Problem. Ich weiß, dass du später auf ein sehr gutes College kommen wirst und Erfolg hast, wenn dir auffällt, dass du mehr tun willst. Glaube mir. Ich kenne dich seit fünfzehn Jahren."
Ich nickte und atmete ein, das würde ein sehr gutes Schuljahr werden. Das wusste ich.

Zwei Wochen später starb meine Mutter in einem Autounfall. Das war bald ein Jahr her.
Ich vermisste sie wie verrückt, fühlte mich oft allein, trostlos und die Welt war oftmals grau für mich. Dunkelgrau. An anderen Tagen fühlte ich mich aber gut, sorglos, vergaß meine Mutter für einige Zeit und war irgendwie glücklich. Doch dies war keiner der Tage. Heute war ein scheiß Tag.

"Du musst nicht mit mir reden oder mir sagen, was los ist", sagte Lucy und lächelte mich an, "Aber wenn du reden willst, dann weißt du hoffentlich, dass ich für dich da bin. Komm dann einfach vorbei und kletter durchs Fenster. Meine Mutter möchte nicht, dass ich wochentags Besuch bekomme. Ich soll lernen."
Dankend nickte ich, "Das wäre lieb. Wann darfst du denn Besuch bekommen?", fragte ich neugierig. Schräge Mutter, meine war nie so gewesen. Aber besser eine strenge und schräge Mutter als gar keine.
"Am Wochenende aber nur zwischen 4 und 8.", erklärte sie mir, "Aber daran halte ich mich natürlich nicht. Ich bin ein Teenie und auch ohne die besten Noten bin ich glücklich. Außerdem habe ich einen Durchschnitt von 1,2. Da soll sie mal zufrieden sein."
"Wow", sagte ich beeindruckt, "Was willst du nach deinem Abschluss machen?"
"Medizin studieren und Chirurgin werden.", antwortete sie wie aus der Pistole geschossen, "Und du?"
"Ich weiß nicht. Aber ich muss mich dieses Jahr anstrengen. Ich will einen guten Abschluss schaffen", erklärte ich ihr. Dabei musste ich wieder an Mom denken. Mein Ziel war es einen Durchschnitt von 1,5 zu schaffen. Und dafür würde ich alles tun. Alles.
"Das schaffst du schon, lern einfach fleißig", sagte sie lächelnd.
"Ich hoffe es"

Das Gespräch mit Lucy hatte mir geholfen, mich auf andere Gedanken gebracht, denn sobald ich nach Hause kam, setzte ich mich an meine Hausaufgaben und fing mit dem lernen an. Es war mir sehr wichtig, dieses Schuljahr perfekt zu sein. Das musste doch möglich sein, besonders mit meiner Entschlossenheit und der verbissenheit. Meine Granny war noch einkaufen, hatte mir aber eine niedliche, kleine Notiz hinterlassen. Und mein Grandpa hatte sich mit Freunden getroffen, also war ich alleine und hatte meine Ruhe. Ich machte leise Musik an, kuschelte mich aufs Bett und fing mit den Hausaufgaben an. Pädagogik, eines meiner Lieblingsfächer würde definitiv mein bestes Fach werden. Ich liebte die Lehrerin, ihre Art zu unterrichten und das Fach fand ich auch interessant, so wie Biologie. Mit den beiden Fachbüchern saß ich auf dem Bett und las das momentane Thema durch. An den Hausaufgaben saß ich bis spät abends, dann fiel ich ohne Abendessen in einen traumlosen Schlaf.

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Hallo ihr Lieben, das fünfte Kapitel. Und danke für über 50 Views :). Bald 100, das freut mich echt sehr.

Wie findet ihr Clarissas Abweisung an Austin? Hat er es verdient? Oben seht ihr ein Bild von Austin :)

Eure Hannah :)
PS: Karneval update ich nicht, da bin ich vermutlich nicht in der Lage klare Gedanken zu fassen. Euch trotzdem eine schöne Zeit.


Not gonna CryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt