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Es regnet. Seit Tagen regnet es und ich laufe zügig durch den Regen in Richtung meines Dorfes. Meine Alpha hat mich zur Versammlung geschickt und natürlich bin ich hin gegangen. Ich bin schließlich ihr Beta. Ihr Stellvertreter, ihr Vertrauter, ihre rechte Hand, ihr Freund: Bester Freund. Nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteht. Ghrian ist unsere Alpha, sie ist ein weißer Wolf und sehr stark. Ghrian hat einen Luna, einen männlichen Gefährten und der ist mein allerbester Freund. Jira ist ein nachtschwarzer, sehr kleiner und schmächtiger Wolf. Er ist ein Omega und er hat ein großes Herz. Er hat mir damals das Leben gerettet. Damals als unser alter Alpha gestorben ist und Ghrian sich anschickte unser Rudel zu übernehmen. Meine Mutter hat sich damals neu gebunden und nach der Sitte der Werwölfe hätte ich nun das Rudel verlassen müssen. Ich war noch ein halbes Baby und ich bin panisch und kopflos in den Wald gerannt. Ich hatte so große Angst. Und die Angst war nicht unbegründet. Ein Grizzlybär hat mich als sein Frühstück auserkoren. Jira hat Grian geholt und gemeinsam sind sie mir gefolgt um mich zu retten. Jira hat echt tapfer gekämpft. Seit dem bewundere ich seinen Mut und seit dem sind wir befreundet. Ghrian hat mich damals zu ihrem Beta gemacht. Alle haben mich Babybeta genant und sie ausgelacht. Aber ich ich durfte leben! Ich durfte von nun an an ihrer Seite leben und sie hat mich praktisch aufgezogen. Sie ist mehr als mein Alpha, sie ist meine Mama! Für sie renne ich doch gerne durch diesen Sturm. Plötzlich höre ich ein Heulen um mich herum. Ich bin noch im Nachbarrevier und die sind auf der Jagd. Ich drossle mein Tempo und mache mich bemerkbar. Ich habe keine Lust dass sie mich mit ihrer Beute verwechseln. Die Wölfe antworten und erklären dass sie ein Kaninchen jagen. Ein Kaninchen! Haha, denke ich und muss etwas grinsen. Die jagen allen Ernstes im Rudel ein Kaninchen? Oh, man! Welch heroische Tat! Ich sehe zu dass ich so schnell wie möglich ihr Revier durchquere und als ich endlich in unserem angekommen bin da rennt mir doch tatsächlichen angeknabbertes Karnickel panisch unter meinen Füßen durch. Die haben ihm einen Hinterlauf zerbissen und dennoch flieht das Tierchen sauschnell. Es hat doch keine Überlebenschance mehr so auf drei Beinen! Denke ich und nehme Witterung auf. Ich weiß dass ich das Tier höchstwahrscheinlich nicht erlegen werde. Ich werde es Jira mitbringen damit er es heilen kann. Jira ist ein echt guter Heiler und er kann nicht nur Wölfe heilen. In unserem Rudel leben auch Löwen. Sie sind so wie wir Werwölfe Gestaltwandler. Die haben wir mal vor einem Manticor gerettet und seit dem Leben sie bei uns. Genau so wie die Vampire. Die haben wir zwar nicht gerettet, die haben sich so zu uns geflüchtet. Unser Rudel ist ganz schön Multikulti. Ghrian möchte es so. Sie beschützt alles was Schutz braucht. Ich folge der Fährte des verletzten Kaninchens und als ich denke dass ich es gefunden habe staune ich nicht schlecht. Es liegt dort kein Tier sondern ein kleiner Junge. Der Junge hat ein verletztes Bein und er ist panisch. Seine Haare sind wie das Fell des Kaninchens aschblond. Seine großen braunen Augen starren mich entsetzt an. Ich bin noch in meiner Wolfsgestalt weil ich da besser riechen kann. Doch jetzt wandle ich mich und anstelle des sandfarbenen Wolfes bin ich nun in meiner menschlichen Gestalt. Ich bin kein Kind mehr. Ich bin inzwischen siebzehn und ich werde beim nächsten Neumond volljährig. Dementsprechend groß bin ich auch. Der Junge schaut mich nun noch panischer an. Doch er ist schwer verletzt und wohl am Ende seiner Kräfte. Erstickte Laute kommen aus seiner Kehle und er versucht allen Ernstes auf zu stehen. Blödmann! Denke ich weil er doch in seiner menschlichen Gestalt nur noch zwei Beine hat. Und wenn eins praktisch nicht mehr existiert kann er auf dem anderen nicht fliehen. Mit zwei Sätzen bin ich bei ihm und fange ihn auf. Der Junge ist ganz schön schwer. Er mag vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sein. Sein Gesicht ist bartlos und auch auf seinem Körper wachsen nur vereinzelt flaumartige Haare. Doch unter seinen Armen und in seinem Schritt wächst schon was. Es ist genau so blond wie das Gestrüpp auf seinem Kopf. Dem Kleinen kommen nun Tränen denn er hat sich auf sein nicht mehr vorhandenes Bein gestellt. Instinktiv drücke ich ihn an mich und er krallt sich an mich um zu schluchzen. Ich laufe mit ihm in meinen Armen ziemlich schnell in Richtung meines Dorfes. Hinter mir heulen noch die Jäger. Sie folgen der Fährte in unser Revier! Natürlich dürfen die das. Ist doch klar. Beute darf auch im Nachbarrevier erlegt werden. Aber dieser hier nicht. Dieser hier ist keine Beute, dieser hier ist ein kleiner Junge. Dummerweise habe ich keine Kleidung mit und auch sonst nichts womit ich seine Wunde abbinden könnte. Er blutet wie blöde aus der offenen Wunde. Ich renne so schnell ich kann mit ihm durch den Wald.
Zum Glück sind mir die Bäume vertraut und ich treffe auf eine von unseren Patroullien. Die haben allerhand an und können das Bein meines Kleinen abbinden. Der Junge ist immer noch nicht ohnmächtig. Er schaut uns immer noch panisch an. Doch er scheint zu merken dass wir ihm nichts böses wollen. Immerhin krallt er sich an mir fest. Ich lächle ihm zu und streichle über seinen wolligen Kopf. Seine Haare sind wirklich so weich und flauschig wie sie aussehen. Wie bei einem Angorakaninchen. Ganz fusselig. Als meine Leute ihn so weit versorgt haben nehme ich ihn wieder in meine Arme und trage ihn zu Jira in seine Krankenstube. Jira ist zum Glück anwesend. Er beschliesst dass der Kleine sofort operiert werden müsse. Sein Knochen ist mehrfach gebrochen und weil er das Bein belastet hat auch gaz fürchterlich verschoben. Doch Jira ist sich sicher dass er das Bein des Kaninchens retten kann. Der Kleine bekommt eine Spritze und dann schläft er. Mehrere Assistenten helfen Jira bei der Operation. Leider ist unser alter Heiler vergangenen Winter verstorben. Er konnte Knochen nachwachsen lassen. Diese Gabe hat er Maui vermacht. Sie ist nun in der Lage Knochen wachsen zu lassen. Maui ist eine Löwentochter, genauer Leos Tochter. Sie ist noch ganz jung. Ihr Vater ist ein Werwolf, der Thomek. Aber sie ist optisch eine Löwin und sie wandelt sich auch in eine Katze. Doch sie ist so zart und klein dass sie als Omega gilt. Auch wenn es Omegas bei den Löwen eigentlich nicht gibt. Das hat sie wohl aus dem Wolfsgen ihres Vaters geerbt. Thomek ist selber zwar kein Omega aber Omegas können von jedem geboren werden. Leo und Thomek lieben ihr Töchterchen abgöttisch und sind stolz darauf dass sie die Gabe der Heilung hat. Ich bin also nun auf dem Weg zu ihr. Sie dürfte längst schlafen weil es schon nach Sonnenuntergang ist.

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