Kapitel 10

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Den Rest des Tages verbrachte ich tatsächlich in meinem Zimmer und versuchte zu schlafen. Allerdings kreisten meine Gedanken um die gestrigen Ereignisse, sobald ich meine Zimmertür hinter mir geschlossen hatte. Sie ließen mir keine Ruhe mehr und in Gedanken durchlief ich immer wieder die gestrigen Ereignisse. Dabei wollte ich doch einfach nur schlafen. Unruhig wälzte ich mich im Bett hin und her ohne, dass ich endlich einschlief. Der Tag zog an mir vorbei. Das Mittag- und Abendessen ließ ich ausfallen. Ich fand nicht die Kraft aufzustehen. Außerdem war mir immer noch schlecht. Zwar hatte ich mich noch nicht übergeben, aber bei dem Gedanken daran zu essen, verkrampfte sich mein Magen nur noch mehr. Wahrscheinlich würde ich so oder so nicht lange das Essen in meinen Körper behalten. Wieso sollte ich dann meine Energie damit verschwenden mich zum Speisesaal zu schleppen, nur um kurz danach zur Toilette zu rennen?

Irgendwann wurde dann doch mein Wunsch nach Schlaf erfüllt wurden. Zwar war mein Schlaf alles andere als erholsam und tief, aber wenigstens schlief ich. Auch wenn mein Kopf meinte selbst in meinen Träumen die Ereignisse des letzten Tages zu verarbeiten. Eigentlich hatte ich schon lange nicht mehr diese Art von Alpträumen, aber aus irgendeinem Grunde hatte ich sie heute wieder. In meinen Träumen ritt ich wieder an all die Leichen vorbei, die ich auf der Expedition gesehen hatte. In aller Deutlichkeit sah ich den Schrecken und die Angst in ihren Augen glänzen. Überall lagen Beine, Hände und Arme. Die Gedärme quillten aus geöffneten Bäuchen hervor und erinnerten mich daran wie grausam die Titanen doch waren. Und zwischendrin lagen die Köpfe meiner Kameraden. Als erstes hatte ich Eren entdeckt. Der Junge, der sich in einem Titanen verwandeln konnte. Seine smaragdgrünen Augen waren weit aufgerissen und auch ihn ihm sah ich die Angst. Die blanke Angst, die ein wildes Tier hatte bevor man es erlegte.

Nicht nur einmal wachte ich auf und rannte zu den Toiletten, um mich zu übergeben. Beim dritten Mal hatte ich aufgehört zu zählen.

Gerade hing ich wieder über der Toilettenschüssel und übergab mich. Inzwischen war mein Magen mehr als nur leer, sodass nur die Galle hochkam. Es grenzte schon förmlich an ein Wunder, dass ich immer noch etwas von diesem ekelhaften Zeug in meinen Körper war. Sie hinterließ einen eklig bitteren Geschmack auf der Zunge, der mich angewidert das Gesicht verziehen ließ.

Kurz nachdem ich mich übergeben hatte, blieb ich noch ein paar Sekunden vor der Toilette sitzen und versuchte mein wild pochendes Herz zu beruhigen. Was war bloß los mit mir? Es war nicht so, dass ich auf der Expedition das erste Mal Leichen mit abgetrennten Körperteilen gesehen hatte. Nein ich kannte diesen Anblick. Wenn ich ehrlich war, gab es sogar eine Zeit, in der der Anblick zu meinem Alltag gehörte. Damals hatte ich mich nie übergeben müssen. Nur ganz am Anfang, aber das war lange her. Aber warum übergab ich mich jetzt? Die Gründe, warum die Menschen gestorben waren, waren zwar verschieden, aber die Tatsache blieb dieselbe. Es war doch egal, weshalb sie gestorben sind oder warum ihre Leichen zerstückelt waren sind. Ich war immer noch am Leben und das war die Hauptsache. Ich hatte die Expedition überlebt und war wieder hinter den Mauern. In Sicherheit. Ich sollte doch allein deswegen beruhigt schlafen können und nicht von Alpträumen geplagt werden. Ich sollte mir keine Gedanken darüber machen, wer alles gestorben war und warum. Es gehörte doch zu meinen verdammten Leben, dass alle um mich herum starben. Mich kümmerte es schon lange nicht mehr, denn das behinderte nur einen. Ich war mir selbst die nächste und das galt auch hier im Aufklärungstrupp. Wahrscheinlich war das ganze nur ein Streich meines beschissenen Unterbewusstseins. Ja das musste ein Streich sein. Alles andere war doch absurd.

Mit meinen Handrücken wischte ich mir über die Mundwinkel und stand auf. Es war Zeit, dass ich mich wieder schlafen legte.

Doch ich hatte nicht die Rechnung mit Levi gemacht. Als ich die Toiletten verließ, glitt mein Blick sofort zum dem Schwarzhaarigen, der sich an der Wand gegenüber der Tür der Toiletten, angelehnt hatte. Sein rechtes Bein hatte er angewinkelt. Die Arme waren vor seiner Brust verschränkt, während seine grauen Augen auf mir ruhten. Sein Gesicht war wie immer reglos. Aus ihm konnte man nicht lesen, was in dem Hauptgefreiten vorging oder was er dachte. Noch immer trug er die Uniform das Aufklärungstrupps. Dabei war es schon mitten in der Nacht. Schlief der Hauptgefreite überhaupt?

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