Kapitel 22

67 5 3
                                    


Vorsichtig stieg ich die Treppen zum Kerker hinab. Es war dunkel und konnte kaum meine eigene Hand vor Augen sehen. Eine Fackel hätte mir genügend Licht gespendet, aber sie hätte mich auch verraten. Zwar hatte ich auf den Weg hierher keine Wachen gesehen, aber ich wusste, dass ich früher oder später auf welche stoßen würde. Sie würden Fragen stellen, die ich nur ungern beantworten würde. Es war schon so schwer, Jean hier lebend rauszubringen, da brauchte ich mir nicht noch irgendwelche Lügen ausdenken zu müssen. Langsam stieg ich die Treppe hinab, bis ich die ersten kleinen Lichtstrahlen der Fackeln sah, die den Kerker erhellten. Ein gutes Zeichen dafür, dass dort unten Wachen waren. Es war mir klar gewesen, dass sie keinen Soldaten unbewacht im Kerker ließen, aber ein kleiner Teil in mir hatte es doch gehofft. So wäre es einfacher gewesen, aber die Wachen hielten mich nicht von meinen Vorhaben ab. Nur all zu deutlich spürte ich den Dolch an meinen Unterarm. Fast schon lautlos stieg ich die restlichen Stufen hinab und blieb auf der letzten Stufe, die noch in der schützenden Dunkelheit lag, stehen. Zuerst brauchte ich einen Überblick darüber wie viele Wachen hier positioniert waren. Es brachte nichts sich kopfüber in ein Gefecht zu stürzen. „Ich hätte ja nie gedacht, dass sie es schafft Erwin Smith zu töten.", sprach eine unbekannte Stimme. Eine andere stimmte grunzend zu. Also waren dort schon mindestens zwei Wachen Raum. „Ja, aber so steht wenigstens Brenda wieder zur Verfügung.", antwortete die grunzende Stimme. Dann wurden die Stimmen gesenkt, sodass ich nur noch Getuschel hören konnte. Noch ein paar Minuten blieb ich im sicheren Schatten stehen und holte tief Luft. Sobald ich aus dem sicheren Schatten treten würde, hatte ich ein paar Sekunden Zeit, um die Wachen zu überrumpeln. Es waren zwei Stück. Es war definitiv machbar, nur musste ich einfach schnell sein und durfte mir keinen Fehler erlauben. Langsam ließ ich meinen Dolch in die Hand gleiten und umklammerte ihn. Schon so viele Male hatte ich ihn in der Hand gehalten und damit einen Menschen das Leben genommen und mindestens zwei weitere Menschenleben würden heute wieder durch meine Hand sterben. Eine Tatsache die mir schon lange nichts mehr ausmachte. Noch ein letztes Mal holte ich tief Luft, bevor ich aus der Dunkelheit heraustrat und mich mit schnellen Schritten auf den ersten der Wachen zu bewegte. Dieser stand mit dem Rücken zu mir und unterhielt sich mit der anderen Wache. Doch dieser entdeckte mich erst als es schon zu spät war. Erschrocken riss er die Augen weit auf und öffnete den Mund, um seinen Partner zu warnen, aber da hatte ich ihm schon die Kehle durchgeschnitten. Der Dolch war mühelos durch die dünne Haut an der Kehle des Soldaten gelitten. Blut floss aus der geöffneten Wunde und flossen über meine Hand. Später würde ich meine Fingernägel schrubben müssen, damit ich das getrocknete Blut loswerden würde. Doch jetzt blieb mir dafür keine Zeit. Zwar war der erste Soldat tot, aber der zweite stand schon vor mir. Bereit gegen mich zu kämpfen. „Du miese Schlampe!", schrie dieser zornentbrannt. Sein Gesicht war zu einer schmerzverzerrten Fratze verzogen, „Ich wusste doch, dass deine Rückkehr nichts gutes bedeutet!" Mit einem lauten Gebrüll stürzte er schwerfällig auf mich zu. Seine Bewegungen waren von Wut bestimmt, weshalb es keine große Kunst war, den ersten Angriff auszuweichen. Ich trat einen Schritt zur Seite, wirbelte herum und machte mich bereit für meinen Angriff. Als der Soldat sich umdrehte, war ich diejenige, die nach vorne stürzte und stach mit meinem Dolch in seine Brust. Zunächst versprühte ich einen Kurzen Widerstand bevor er ins Fleisch glitt. Aus den braunen Augen des Mannes, der mich noch vor ein paar Minuten angesehen hatte, wich langsam jegliches Leben. „Dafür wirst du sterben...", brachte er keuchend er hervor und mit jedem Wort merkte man, wie das Leben aus seinem Körper wich. Noch nicht mal eine Sekunde nachdem er sein letztes Wort gesprochen hatte, wich auch der letzte Funke Leben aus seinen Augen. Ich wusste, dass er tot war, noch bevor er Körper in sich zusammensackte. Langsam zog ich meinen Dolch aus seiner Brust und sah auf die blutbesudelte Klinge. Sie hatte mal wieder einen guten Job geliefert. Hoffentlich tat sie es noch auch noch den nächsten Stunden bis Jean bei Levi war. Schließlich hatte ich für diesen Idioten gerade mein Todesurteil unterschrieben, aber andererseits war er meinetwegen hier gelandet. Noch einmal blickte ich auf die toten Männer und entdeckte an einen der beiden die Schlüssel zu den Zellen. Mit flinken Fingern löste ich die Schlüssel vom Bund und setzte meinen Weg fort zur Zelle. Zu meiner Überraschung, stand Jean mit verschränkten Armen vor den Gittern. Seine braunen Augen funkelten mich mehr als skeptisch an. Seine Schreie hatte ich nicht vergessen und es war mir bewusst, dass Jean mir wahrscheinlich nicht mehr über den Weg traute. Ich konnte das durchaus nachvollziehen. Schließlich hatte ich in der Halle ein Herz auf dem Boden geworfen und den Aufklärungstrupp verraten. „Was soll das?", blaffte Jean. Ich versuchte nicht meine Augen zu verdrehen, sondern schloss die Gittertür auf. Irgendwie zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen, als ich ihn so sah. Er war der erste in der Einheit gewesen mit dem ich eine Art Freundschaft geschlossen habe und nun betrachtete er mich als Verräterin. Eigentlich könnte mir das alles egal sein, denn ich war gerade wieder hier angekommen und dennoch setzte ich alles aufs Spiel, um ihn vor dem Tod zu bewahren. Vor zwei Jahren hätte ich noch nicht mal einen Gedanken daran verschwendet einen Freund vor dem Tod zu bewahren. Selbst Azriel hätte ich in dieser Situation sich selbst überlassen, aber jetzt war vieles anders. „Dich befreien, was denn sonst", erwiderte ich und öffnete die Tür. Noch immer misstrauisch trat Jean aus der Zelle und hob eine Augenbraue. „Und wer sagt, dass du mich nicht auch gleich tötest, so wie du es mit Erwin getan hast!" Es war eine Anschuldigung, die ich nur all zu gut nachvollziehen konnte, denn im Moment gab es keinen Grund warum er mir glauben sollte. Nun lag es an mir die richtigen Worte zu finden, um Jean zu überzeugen und dass möglichst schnell, denn je länger wir hier unten blieben, desto größer wurde das Risiko, dass sie uns entdeckten. „Jean.", seufzte ich, „Wenn ich dich Tot sehen will, hätte ich mir nicht die Mühe gemacht dich zu befreien." Ein verächtliches Schnauben kam von den Aschblonden. Noch immer hegte er Misstrauen. Gut meine Erklärung war auch nicht sonderlich aussagekräftig. Natürlich konnte ich ihm meine Situation erklären und hoffen, dass er mich verstand, aber das würde zu lange dauern und uns wertvolle Zeit kosten. „Jean Bitte. Verdammt wir haben dafür keine Zeit. Hasse mich ruhig, aber bitte vertraue mir solange bis du in Sicherheit bist. Von mir aus erkläre ich dir auch alles, wenn wir dafür Zeit finden, aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt!", stieß ich frustriert hervor. Irgendwie wusste ich nicht so recht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte und dazu saß uns die Zeit im Nacken. Für einen Moment schien es mir so, als würde Jean nicht den ernst seiner Lage begreifen. Doch zu meiner Erleichterung nickte er knapp. Zum Glück war ihm auch bewusst, dass uns die Zeit im Nacken saß. Auf meinen Lippen schlich sich ein erleichterndes Lächeln. „Danke.", brachte ich hervor und spürte wie meine Schultern etwas leichter wurden. Vielleicht hatte ich für immer das Vertrauen zu ihm zerstört, aber wenigstens konnte ich versuchen ihn in Sicherheit zu bringen. „Wir müssen uns", begann ich, während ich mich umdrehte, verstummte aber sofort, als ich den großen hochgewachsen Mann sah. Der Braunhaarige stand bei den zwei Leichen und musterte diese mit interessiertem Blick. Für einen Moment dachte ich, dass das nun unser Tod bedeuten würde, aber dann erkannte ich, dass es Azriel war. Zum ersten Mal an diesem Tag war ich erleichtert ihn zu sehen. Andererseits wusste ich nicht, wie er jetzt zu mir stehen würde. Irgendwie hatte ich ihn ja auch verraten. „Du hast schon immer am liebsten so getötet. Ein sauberer Schnitt durch die Kehle. Zu gerne wäre ich dabei gewesen, als der Kommandant seinen letzten Atemzug getan hat.", sprach Azriel, ohne auch nur den Blick in unsere Richtung zu heben. „Verdammt.", murmelte Jean hinter mir. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er die Hände zu Fäusten ballte. Doch ich hatte nicht die Zeit mich auf Jean zu konzentrieren. Zuerst musste ich herausfinden, was Azriel nun mit uns vorhatte. Er hatte mich auf frischer Tat ertappt und kannte mich zu gut, als dass ich den Mord an den beiden Männern hätte abstreiten können. „Du warst aber nicht dabei.", entgegnete ich kühl und umklammerte nochmal meinen Dolch fester. Azriels Dolch war derselbe wie meiner. Wir hatten damals als Kinder das Paar gestohlen und sie untereinander aufgeteilt gemacht. Eigentlich sahen die beiden Dolche identisch aus, nur war ihn Azriels ein Halbmond im Griff hineingeritzt und ihn meinen eine Sonne. Wir hatten es damals getan, um sie voneinander unterscheiden zu können. Bis jetzt musste ich noch nie gegen Azriel kämpfen, außer wenn wir zusammen trainiert hatte, aber jetzt machte ich mich bereit für diesen Kampf, auch wenn sich mein gesamter Körper dagegen wehrte. Azriel war der erste Freund, den ich jemals in meinen gehabt hatte. Ein richtiger Kampf, bei dem es um Leben und Tod ging, würde ich nicht übers Herz bringen.

„Ja. Aber jetzt haben wir wenig Zeit über dieses was wäre, wenn... Wir müssen hier raus, bevor es irgendjemand mitbekommt, dass du den Gefangen befreit hat.", fuhr Azriel fort und sah mich endlich an. Seine Augen funkelten abenteuerlustig, so als ob ich ihm gerade eröffnet hatte, dass ich eine Schatzkarte gefunden hatte. Offensichtlich musste ich ihn ziemlich überrascht angesehen haben, denn Azriel lachte kurz und schüttelte den Kopf. „Du hast wohl gedacht, dass ich dich bei deiner kleinen Befreiungsaktion allein lasse? Dabei ist es doch perfekt, um unser Plan endlich in die Tat umzusetzen. Oder hast du den vergessen, als du zwei Jahre lang weg warst?" Tatsächlich kannte ich noch den Plan, den wir als kleine Kinder hatten. Wir wollten an Cyrians Macht, denn dann hätten wir ein sorgloses Leben gehabt. Natürlich wurde uns mit dem Alter klar, dass Macht auf Risiken mit sich bringt, aber dennoch haben wir an unseren Plan festgehalten. Während ich mich hochgeschlafen haben, um nah bei Cyrian zu sein, hatte sich Azriel bis zum Captain hochgearbeitet, sodass wir nur noch zuschlagen mussten, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war. „Nein ich kenne ihn noch.", antwortete ich ihn und sah kurz zu Jean in der Hoffnung, dass er mir immer noch vertraute. Jean erwiderte kurz meinen Blick. Noch immer war er misstrauisch und voller Hass, was nur verständlich war, aber dennoch nickte er leicht. Ein Zeichen, dass er mir vertraute. Wenigstens bis wir aus der Gefahr war. „Gut. Die Gelegenheit ist günstig, aber zuerst müsst ihr hier raus.", antwortete Az und warf uns zwei Umhänge zu, die er in dem Hang gehalten hatte. Bis eben hatte ich diese gar nicht bemerkt, denn ich war viel zu sehr mit Azriels Anwesenheit beschäftigt gewesen. Wortlos zogen Jean und ich die Umhänge an und zogen die Kapuzen tief in unsere Gesichter. Azriel nickte zufrieden und gab uns ein Zeichen ihm zu folgen. Nun musste ich Jean und mein Leben in die Hände von meinen Kindheitsfreund legen.

Tatsächlich hielt Azriel sein Wort und brachte mich und Jean aus dem Gebäude und führte uns in eine abgelegene Seitengasse. Das Ganze verlief schnell und ziemlich reibungslos. Auf unseren Weg trafen wir kaum irgendjemanden, der uns Probleme bereiten konnte. Aber dennoch war es nur eine Frage der Zeit, bis sie die Leichen entdeckten und Jeans Verschwinden bemerken würden. Wir mussten noch einiges an Strecke zurücklegen, bevor wir uns in Sicherheit wiegen konnten, aber die erste Hürde hatten wir schonmal geschafft. „Danke.", sprach ich zu Azriel, als wir drei in Dunkelheit gehüllt waren und schob die Kapuze herunter. „Ich bringe noch Jean in Sicherheit." Auch Jean stieß ein zustimmendes Brummen aus, so als ob er sich auch bei Azriel bedanken wollte. Dabei sprachen seine Augen etwas vollkommen anderes. Azriel nahm ihn jedoch gar nicht war. Stattdessen ruhten seine braunen Augen auf mir. „Du wirst nicht zurückkommen." Es war mehr eine Frage als eine Feststellung. Für einen Moment war ich verwirrt und überrascht, über seine Aussage. Eigentlich wollte ich schon wieder mit Armin, Jean und Levi zurück zum Aufklärungstrupp kehren, aber andererseits hatte ich diese Hintertür nun genutzt und hatte so das Vertrauen aller verspielt. Dabei war alles viel komplizierter, als es aussah. „Als ob wir sie mitnehmen würden.", mischte sie nun Jean mit einem Schnauben ein. Noch immer war er wütend auf mich und das versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz. Früher hätte mich das alles kalt gelassen, aber irgendetwas in mir hatte sich verändert, denn nun gab es auf einmal einen Teil, dem es wichtig war, wie es anderen ging. „Du hast mit Erwins Mord uns alle verraten und wir dulden Verräter nicht in unseren Reihen!", knurrte Jean und ich zuckte zusammen. Eine Reaktion, die ich selbst nicht von mir erwartet hätte. Auch in Azriels Augen blitzte Überraschung auf, denn so kannte er mich gar nichts. Doch statt mich darauf anzusprechen hielt er sich zurück und beobachtete stattdessen, was ich tat. „Verdammt! Ich habe Erwin nicht umgebracht!", knurrte ich. Überraschung blitzte im Gesicht beider Männer auf. Für Jean hatte ich zum zweiten Mal an diesem Tag die Welt auf den Kopf gestellt. Bei Azriel schien er überrascht zu sein, wie sehr ich mich doch verändert hatte, denn bis jetzt hatte ich jeden Auftrag, den mir Cyrian gegeben hatte erfüllt. Egal wie schwer er war.

Und was glaubt ihr? Sagt Olivia die Wahrheit oder aber lügt sie, um ihre eigene Haut zu retten und wenn sie die Wahrheit sagt, welches Herz hatte sie dann wohl in der Hand.... Das alles werdet ihr wohl erst im nächsten Kapitel oder im übernächsten erfahren. Ach und wir nähern uns Kapitel 25, das Kapitel, welches mir ja das Herz gebrochen hat. 

Dark SoldiersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt