Kapitel 9: Ein Vogel bricht aus

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ursprünglich: 28.04.2019
Überarbeitung: 29.07.2023
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„Das war's wohl." Sunwoo grinste ungläubig. Er saß mit angezogenen Beinen auf der hintersten Bank in der Umkleide. Kinn auf den Knien abgestützt. „All diese Zeit... eine Verschwendung." Er hatte keine Tränen mehr übrig. Die Enttäuschung hatte ein Loch in seine Brust gefressen. Es blieb nur diese Leere.

Er wüsste nicht, wie er seiner Mutter unter die Augen treten könnte. Sie hatte ihn stets unterstützt... hatte immer gewollt, dass er seinen Träumereien folgte, anstatt sich einen sicheren Berufsweg auszusuchen. Dabei brauchte sie seine Hilfe. Für ihn... Seinen kleinen Bruder.

Das Klacken der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Augenblicklich versuchte er sich noch kleiner zu machen. Er wollte keine erneute Konfrontation mit den anderen. „Warum sollte er ausgerechnet hier sein, Hyung?", hörte er die tiefe bassartige Stimme sagen... Taehyung.

Keine fünf Sekunden später kam ein schwarzer Haarschopf in Sunwoos Blickfeld. Yoongi setzte sich auf die Bank ihm gegenüber. „Wir müssen reden." Über was denn? Es war alles geklärt. Sunwoo starrte ihn wortlos an.

Nach und nach setzten sich auch seine restlichen Begleiter. Zu seinem Grauen ließ sich Jimin direkt neben ihm nieder. Sein ganzer Körper verspannte sich. Er konnte nicht einmal etwas gegen diese Reaktion tun. Jede Stelle auf seiner Haut kribbelte vor Nervosität und sein Herz pochte gegen seine Brust.

Jimin... er war schon wieder wütend. „Willst du ernsthaft einfach so aufgeben?" Sunwoo blinzelte verwirrt. „Deine Karriere hat noch nicht einmal angefangen und du willst schon alles hinschmeißen?" Was? Deswegen war er sauer?

„Jimin", schnaufte Sunwoo deutlich aufgebracht, „Was willst du eigentlich von mir? Dir hat vor einer halben Stunde noch alles daran gelegen, mich zum Gehen zu bringen. Besser jetzt als in ein paar Monaten oder einem Jahr."

Er atmete tief durch. Vielleicht waren seine Tränen doch nicht verbraucht. Das verräterische Brennen war schon zurückgekehrt, sobald er seinen Mund auch nur geöffnet hatte. „Soll das so weitergehen, hm?" Schwach. Das war er. Die ersten Tränen perlten wieder über seine Wangen. „Ich halte das sicherlich so nicht weiter aus... und- und- und"

Angestrengt kniff er die Augen zusammen. „Du hast recht, okay? Ich bin hierfür nicht geeignet. Wenn-... wenn ich schon deswegen zus- zusammenbreche... was soll dann noch kommen? Ich halte in dieser Industrie niemals durch."

„Denkst du, du bist der Einzige? Wir haben geweint... gelitten. Aufgegeben... und wieder angefangen. Jeder von uns trägt ein kleines Päckchen mit sich. Wenn du denkst, dass das zu viel für dich ist, ist das okay. Das ist keine Schande", sprach Yoongi leise. In seinen Augen lag ein aufmerksames Funkeln... Verständnis. „Die Industrie reist noch die Besten in den Abgrund. Aber... lass nicht deine Zweifel siegen... lass sie nicht dein Leben bestimmen. Ich hatte schon zu oft... das Bedürfnis alles zu beenden... aber durch die Musik... habe ich all diese wunderbaren Menschen kennengelernt, die ich heute meine Freunde nennen kann. Und sie stehen mir immer zur Seite."

Da war der Unterschied. Sunwoo lächelte traurig. Salzige Tränen benetzten seine Lippen. „Ich habe von Beginn an, alle von mir gestoßen. Freundschaft... Liebe... sie bilden für mich nicht die Bedeutsamkeit der Musik. Hier... hier ist Musik Krieg." Aber wem sagte er das? BTS rannte mit ihrer Musik schon immer gegen die Normen der Gesellschaft. Sie hatten es jedoch geschafft, durch die Musik zueinander zu finden.

Ruckartig wandte er den Kopf zur Seite, als er einen warmen Körper direkt neben sich spürte. Mit großen Augen sah er zu Jimin. „Finde deinen eigenen Weg. Nicht ich, nicht wir... und definitiv nicht die da oben, sollten darüber bestimmen. Du hast in der Musik einmal etwas anderes gesehen, als diese tristen Seiten unseres Künstlerlebens."

„Aber sie bestimmen doch gerade darüber... und ich will nicht, dass sie mich... oder euch dafür ausnutzen." Wenn sein Weg enden sollte, dann war es nun hier. An dieser Stelle. An diesem Tag. Selbstbestimmt.

Jimin lächelte leicht. „Wir sind es nicht anders gewohnt... und egal, was ich vorhin gesagt habe... Ich möchte, dass du das auch tust." Sie ausnutzen? „Ich kann nicht-" Er verstummte, als Jimin ihm noch näherkam. „Oh doch. Das wirst du. Mach dir deinen Namen. Und wenn schlussendlich dieses Entertainment dich nicht will, dann wird es eben ein anderes." Wie hatte sich Jimins Meinung nur innerhalb so kurzer Zeit vollkommen ändern können?

„Ich weiß nicht, ob wir Freunde werden können. Aber wir werden dich in Zukunft nicht mehr ausschließen. Unser Verhalten dir gegenüber war falsch... und total unangebracht." Taehyung stand auf und kam zu ihnen hinüber. „Falls es noch nicht zu spät ist, möchte ich gerne einen Neuanfang wagen... und wenigstens in Zukunft eine Person sein, der du dich anvertrauen kannst."

Unschlüssig musterte Sunwoo seine Hand, die er ihm hinhielt. Ihm war noch nicht ganz klar, worauf sie hinauswollten. Langsam streckte er die Hand nach seiner aus. Dieses Mal sprang kein Jimin dazwischen. Dieser schien ihn viel mehr erwartungsvoll von der Seite anzugucken. Taehyung zog ihm mit einem kräftigen Ruck von der Bank hoch. Ein fröhliches Grinsen auf seinen Lippen. „Willkommen im Team!"

Oh... Oh! Ein erneuter Schwall von Tränen brach aus ihm heraus. Im Moment wusste er nicht wie er seine Emotionen ausdrücken sollte. Alles war wirr. Angst, Müdigkeit und Erleichterung duellierten sich in seinem Inneren. „Habe ich was falsches gesagt?"

Taehyungs Grinsen war schlagartig von seinem Gesicht gewichen. „Hey... hey." Besorgnis spiegelte sich in seinen Augen weiter. „Nicht mehr weinen." Mit beiden Daumen strich er über seine Wangen. „Lass noch welche für einen anderen Tag übrig." Sunwoo lachte leise. „Ich glaube er wird verrückt", sagte Taehyung panisch.

„Ich glaube eher, Sejin bringt uns um", murrte Jimin von seinem Platz auf der Bank. „Dafür braucht es nicht unseren Manager." Der restlichen Gruppenmitglieder standen am Eingang zur Umkleide. Jungkook hatte beide Arme vor seiner Brust verschränkt. „Was habt ihr ihm jetzt wieder angetan?" Zielstrebig lief er auf sie zu und zog Sunwoo kurzerhand in eine Umarmung.

Sunwoo nutzte die Chance sein Gesicht in seiner Brust zu vergraben. Er wollte nur, dass die Tränen versiegten. Auch wenn er es nicht zugegeben hätte, brauchte er diese Umarmung. In der letzten Zeit hatte er die menschliche Nähe vermisst. Nur diese kleine Geste der Zuneigung half ihm immens. „Shh~", säuselte Jungkook nah an seinem Ohr, „Wir sind für dich da."

Lange Finger kämmten sanft durch sein Haar bis er sich beruhigte. Diese Seite von Jungkook schon so früh kennenzulernen, überraschte Sunwoo ein wenig. Aber er ließ nicht los. Für keine Sekunde. „Ich weine nicht wegen ihnen... Zumindest nicht mehr", gab er nach einer Weile zu.

„Ich schätze dann hat sich alles geklärt?" Wie aufs Kommando zuckten alle zusammen. Sejin stand nun auch neben ihnen. Erwartungsvoll. „Ich... denke schon?" Jungkook klang nicht unbedingt davon überzeugt.

„Alles an Gesprächsbedarf ist noch nicht gedeckt... aber wir werden das in Zukunft als Gruppe klären müssen." Hoseok erhob sich ebenfalls von seinem Platz. „Unser neues Mitglied muss fürs Erste ein wenig eingearbeitet werden." Ein kleines Lächeln zierte seine Lippen, trotz seines ernsten Ausdrucks. „Ich werde ihm morgen ein wenig mehr unter die Arme greifen. Jedoch... möchte ich dafür keine Kameras in der Nähe von uns. Diese ganze Woche nicht. Das ist meine Bedingung."

„Ich stimme Hoseok zu. Wir haben es die letzten Tage versäumt, ein Band zu ihm zu knüpfen." Yoongi sah nicht weniger ernst aus als Hoseok. „Auch wenn sie das alles nur zu gerne auf Band festhalten würden, werde ich ihnen das sicherlich nicht vorspielen. Gewisse Dinge sind nicht für die Kameras gedacht." Sejin nickte verstehend. „Ich sehe, was sich machen lässt."

Yoongi wuschelte Sunwoo durch die Haare. Sein Blick nun wieder deutlich sanfter. „Hier ist meine Entschuldigung im Voraus." Er grinste leicht. „Aber du wirst die nächsten Wochen viel Zeit mit deinem Hyung verbringen müssen. Als mein neuer Mitbewohner."

„Warum deiner?", fragte Jungkook irritiert. „Ich habe den meisten Platz", gab Yoongi nur zurück. Es war schon verrückt wie innerhalb so kurzer Zeit die Stimmung eine solche komplette Kehrtwende machen konnte.

„Etwas Positives hat das Ganze." Taehyung hatte beide Arme hinter seinem Kopf verschränkt. Er grinste fies. „Es steht nun vier zu vier. Wir sind ausgeglichen. Ihr werdet leiden, Hyungs." Seokjin verpasste ihm einen Stoß in die Seite. „Erzähl keinen Blödsinn."

„Da jetzt alles geklärt ist, könnt ihr zurück zu eurer Wohnung. Ihr wollt euch sicherlich ausruhen." Ihr Manager bedachte sie alle mit einem warmen Lächeln. „Ich wünsche euch das Beste für die nächsten Wochen." Sie nickten ihm alle dankend zu.

Nach und nach verteilten sie sich über die Umkleide, um sich wieder in ihre Alltagskleidung zu kleiden. Sunwoo trocknete mit seinem Shirt die letzten Tränenspuren. Zugegebenermaßen fühlte er sich noch immer ein wenig überfordert. Trotzdem ging es ihm ein wenig besser.

Er stockte in jeglicher Bewegung, als er Jimins Blick kreuzte. Wo standen sie jetzt eigentlich miteinander? Mit zögerlichen Schritten näherte er sich ihm. Was er machen würde, war purer Selbstmord... er konnte jedoch nicht anders.

Jimin sog überrascht die Luft ein, als sich Arme um einen Rücken schlangen. „Danke, Jimin-ssi." Für diese letzte Chance, die er ihm gewährte. „Du solltest dich nicht bedanken.... Vor allem nicht bei mir." Der Ältere legte vorsichtig eine Hand an seine Wange. Mit seinen Fingern fuhr er zaghaft über die deutlich geröteten Stellen. „Das habe ich nicht verdient."

Sunwoo schloss für einen Moment die Augen. Genoss diese kleine Zärtlichkeit. Der erste Augenblick, in dem Jimin sich so zeigte, wie er tatsächlich war. Sanftmütig. Kein Hass. Kein unbändiger Zorn. „Nenn mich Hyung... Okay?" Jimin schien nicht so recht zu wissen, ob er diese Forderung überhaupt noch stellen durfte, nachdem er es ihm vor kurzem noch verwehrt hatte. Sunwoo würde keine Diskussion darüber anfangen... Schließlich würde er das nur zu gerne... Ihn so zu sehen. „Ja, Hyung."

An diesem Abend änderte sich noch nicht allzu viel. Sunwoo hielt sich die restliche freie Zeit auf dem flauschigen Teppich im Wohnzimmer auf. Der Raum gefüllt mit der Dudelei des Gameboys. Yoongi konnte ihn noch immer nicht überzeugen mit ihnen zu essen. Sunwoo konnte nicht... Selbst wenn er es gewollt hätte. Die Ereignisse der letzten Tage steckten noch immer in ihm. Sein Verstand sagte ihm immer wieder, er solle ihre Toleranz nicht strapazieren. Also blieb er lieber auf Distanz. Minischritte... einer nach dem anderen. Bis sie ihn irgendwann an ihrer Seite akzeptieren konnten.

Auch am nächsten Morgen folgte er den anderen mit unwohlem Gefühl in den Übungssaal. Die Ereignisse des vorangegangenen Tages hafteten ihm noch immer frisch im Kopf. Was ist, wenn er wieder ausrutschte? Würden sie ihn dann wieder hassen? Wie würde Jimin reagieren? Noch einen Wutausbruch verkraftete er nicht.

Sunwoo biss sich leicht auf die Unterlippe, als seine Finger anfingen zu zittern. Schnell krallte er sie in den Stoff seines Oberteils. Er wollte nicht, dass sie dachten, er bestehe nur aus lauter Schwächen. Sie hatten schon zu viel von seiner zerbrechlichen Seite gesehen.

„Sunwoo?" Zögerlich hob er seinen Kopf und starrte direkt in Hoseoks dunkle Augen. „Alles in Ordnung?" Der Ältere schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Wollte er ihn beruhigen oder nur dazu bringen, sich heute auf seine Aufgaben zu konzentrieren, anstatt alle anderen aufzuhalten?

Beschämt senkte er seinen Blick wieder zu Boden. Er wünschte sich, er könnte aufhören, alles zu hinterfragen. Nur fiel es ihm schwer, das Positive zu sehen, nach allem was passiert war. „M-mir geht es gut", erwiderte er leise, „F-fangen wir an." Hoseok bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick, bevor er sich wieder vor die anderen stellte.

Mit unsicheren Schritten verzog sich Sunwoo nach hinten. Die Angst breitete sich wieder in ihm aus wie ein schwarzer Schatten, der ihn drohte zu übermannen. Alles würde heute doch nur wieder schiefgehen! Schon jetzt hatte er das Gefühl, seine Beine könnten jeden Augenblick unter ihm zusammenbrechen.

Kalter Schweiß brach aus seinen Poren aus und er starrte nahezu panisch den Boden an. Sie würden das letzte Fünkchen Achtung vor ihm verlieren. Das wäre sein Ende. Früher oder später musste es ja so kommen.

„Also gut. Beginnen wir mit dem gelernten Teil von gestern", drang Hoseoks Stimme dumpf an sein Ohr und er bekam kaum mit wie dieser anfing den Takt vorzuzählen. Irgendwie schaffte er es seine krampfenden Muskeln zu bewegen. Er gab sich wirklich Mühe den Schritten zu folgen, auch wenn alles in ihm verlangte sich einfach in eine Ecke zu verkriechen.

Die Unsicherheit hatte sich an seinen Nerven festgekrallt wie ein kleiner Parasit, ließ nicht mehr ab von ihm. Jede Freiheit, die er beim Tanzen verspürte, war verschwunden. Er fühlte sich eingesperrt. Eingesperrt in einen Käfig und alle starrten ihn an. Ehe er sich versah, knickten seine Beine unter ihm weg. Gerade so fing er sich mit seinen Händen ab. Seine Sicht war verschwommen, sein Brustkorb hob und senkte sich schnell.

Erschrocken zuckte er zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. „Sunwoo?", sprach jemand auf ihn ein, „Hey Sunwoo!" Er blinzelte ein paar Mal und guckte zu der Person. Jimin kniete neben ihm, musterte ihn dabei eingängig. War er wütend? Würde er ihm etwas antun? Hatte er sie wieder verärgert? „E-es tut mir leid", wimmerte er und kauerte sich zusammen.

„Du musst dich nicht entschuldigen..." Schuldbewusstsein zeichnete sich in Jimins Gesicht ab, doch Sunwoo konnte es nicht erkennen. Geblendet von all seiner Angst. „Hey..." Jimin rückte näher zu ihm. Mit einer Hand auf seinem Rücken versuchte er ihn irgendwie zu beruhigen.

„Es t-tut mir w-wirklich leid", entkam es verzweifelt Sunwoos Lippen, während er weiter vor ihm zurückwich. So gerne würde er sich einfach in Luft auflösen. Selten hatte er sich so klein gefühlt. Er wusste ja selber nicht, was mit ihm los war. Seine Zweifel vom Vortag waren noch immer berechtigt. Als Idol wäre er niemals geeignet. Nicht, wenn er mit sowas nicht umgehen konnte.

Die warme Hand an seiner Wange ließe ihn leicht zusammenzucken. „Sunwoo, kannst du mich hören?" Yoongi musterte ihn eingängig mit seinen dunklen Augen. Er kniete vor ihm auf dem Boden. Mit einem Kopfnicken deutete er Jimin an, Abstand zu halten.

Normalerweise hätte Sunwoo in so einer Situation kaum jemanden an sich herangelassen, doch bei ihm war es irgendwie anders. Er wirkte irgendwie beruhigend auf ihn.... Er fühlte sich sicher. Yoongi schien zu wissen wie er mit dieser Situation umzugehen hatte.

„Kannst du mit mir zusammenatmen? Ja? Ein.... Aus..." Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen. „So ist gut." Er legte auch seine andere Hand an seine Wange. „Weißt du... Wir reißen dir nicht gleich den Kopf ab, wenn einmal etwas schief geht", sprach er ruhig. Seine Stimmlage klang so weich und behutsam, als er weiter auf ihn einredete.

Sunwoo konnte einfach nur still dasitzen, ihn mit großen Augen ansehend. „Auch wenn Jimin sehr furchteinflößend sein kann, wird er dir nichts tun." Er warf ihm einen vielsagenden Seitenblick zu. „Zumindest nicht noch einmal."

Jimin ließ den Kopf hängen. Getroffen von Yoongis Worten, obwohl er anscheinend damit gerechnet hatte. Sunwoo streckte vorsichtig seine Hand nach ihm aus und stupste mit seinen Fingerspitzen aufmunternd gegen seinen Arm. Mehr als ein schwaches Lächeln konnte sich Jimin jedoch nicht abringen.

„Möglichweise sehen wir genervt aus. Aber wir sind auch nur Menschen. Das musst du uns verzeihen." Sanft streichelten Yoongis Daumen über seine Wangen. „Wir haben dich alle gesehen... Damals an diesem einen Tag. Wir haben dich tanzen gesehen", sagte er leise, „Du warst so frei... so wunderschön." Erstaunt blinzelte Sunwoo. Wunderschön? Hatte er sich da etwa gerade verhört? Sein Herz klopfte aufgeregt. Der Ältere blickte ihn mit einem warmen glänzenden Funkeln an. „Wir wissen, dass du es kannst. Also glaub an dich. Und bitte... Hör auf zu weinen."

Er weinte? Jetzt da er langsam wieder aus seiner Starre erwachte, spürte er die Feuchtigkeit seiner eigenen Tränen, die seine Wangen benetzten. Nahezu zärtlich strich Yoongi mit den Daumen unter seinen Augen entlang, entfernte dabei die Spuren seiner Trauer. „Selbst du weißt, dass du es kannst", fügte er leise hinzu, „Du besitzt diese Sicherheit... Und wenn es einmal nicht so ist, komm zu mir. Ich bin für dich da."

Vollkommen sprachlos sah Sunwoo ihn an. Noch immer trug
Yoongi diesen liebevollen Ausdruck im Gesicht, sein ganzes Auftreten zeigte ihm eine solche Sanftheit. Ein solcher Kontrast zu seinem oft einschüchternden Auftreten.

Zum ersten Mal nach langer Zeit fühlte er sich geborgen. Die Umarmung, in der er sich keine Minute später wieder fand, gab ihm Sicherheit und er verspürte das Verlangen sich näher an ihn zu kuscheln, um sich weiter vor der Welt zu verstecken. Etwas zögerlicher legte er seine Arme ebenfalls um den Älteren und drückte sein Gesicht leicht gegen seine Brust. Wenigstes für einen Moment wollte er diese Ruhe auskosten, sich so fühlen, als würde sich tatsächlich jemand um ihn sorgen.

Eine Weile saßen sie komplett regungslos da. Der Raum war erfüllt von einem stetigen Schweigen. Niemand wollte sie unterbrechen. „Geht's wieder?", fragte er leise, während seine Hände sanft über seinen Rücken strichen. Zaghaft nickte Sunwoo, brachte dabei geradeso ein brüchiges „J-ja" über die Lippen.

Langsam lösten sie sich wieder voneinander. Der Ältere schenkte ihm ein letztes Lächeln, bevor er aufstand und ihm eine Hand reichte. „Also dann. Auf an die Arbeit~" Dieses Mal schenkte Sunwoo ihm ein kleines Lächeln und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Anstatt seine Hand zurückzuziehen, drückte er leicht die des Älteren. „Dankeschön", wisperte er. Yoongis Lächeln wurde noch ein Stück breiter. „Kein Problem."

Schwer atmend strich sich Sunwoo die verschwitzten Haare von der Stirn. Nach den aufbauenden Worten seines Hyungs ging es ihm deutlich besser und er kam auch einigermaßen bei der Choreo mit. Zwar war er noch etwas steif, baute hier und dort ein paar minimale Fehler, aber zum Großteil hatte es funktioniert.

Ein kleines zufriedenes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er erleichtert die Luft ausstieß. Mit einem Mal wuschelte jemand durch seine Haare. Überrascht guckte er auf. „Gut gemacht, Kleiner." Hoseok grinste ihm breit entgegen. Seine gute Laune schien auf jeden Fall zurück zu sein. Sunwoo zog schüchtern den Kopf zurück. „D-danke." Sein Blick fokussierte sich auf die anderen Mitglieder hinter ihm. Keiner schien genervt zu sein. Erleichterung machte sich in ihm breit. Selbst Jimin nickte ihm anerkennend zu.

„E-entschuldigt die Störung", schallte es auf einmal durch den Raum. Die Acht hoben überrascht die Köpfe und blickten zur Tür. „Minsu?" Ein regelrechtes Strahlen machte sich auf Sunwoos Gesicht breit. Er nahm wieder Abstand von Hoseok und lief stattdessen eilig auf seinen Freund zu. „Darf ich dich mal kurz ausleihen?", fragte er mit einem frechen Grinsen, „Du hast dich schließlich lange nicht mehr sehen lassen."

Sunwoo guckte unsicher in die Runde. Konnte er denn so einfach gehen? Glücklicherweise nahm ihm Jungkook die Antwort ab. „Das sollte kein Problem sein. Unsere Probe ist sowieso vorbei." Minsu lächelte breit, ehe er Sunwoo am Handgelenk packte und hinter sich herzog. Gerade als sie den Raum verließen, guckte der Größere ihn verdutzt an. „Sunny... Bist du krank?" Verwundert runzelte Sunwoo die Stirn. „Nein." Minsu gab ein überlegendes Geräusch von sich. „Hast du Drogen genommen?"

„Minsu. Was zur Hölle?!" Sunwoo schlug ihm leicht auf die Schulter. „Was? Du kannst unmöglich geweint haben. Du weinst nie!" Sunwoo hob leicht seine Augenbrauen. „Hör auf solchen Schwachsinn zu erzählen. Du hast mich schon weinen gesehen!" Minsu schnaubte hörbar. „Ja. Vor einem Jahr vielleicht."

Jimin POV:

Der Neuankömmling warf ihnen einen eiskalten Blick zu. Jeglicher Sinn für Witz schien gewichen zu sein. „Hat dich jemand zum Weinen gebracht?" Sunwoo stockte leicht und sah diesen Minsu unsicher an. „Nein, nein. Das war nur eine allergische Reaktion." Minsus Ausdruck verhärtete sich. „Wenn du das sagst."

Es sollte ihnen wohl peinlich sein, Sunwoo innerhalb von so kurzer Zeit nicht einmal, sondern sogar mehrmals zum Weinen gebracht zu haben. Sie hatte ihn gebrochen. So einfach. Jimin schlechtes Gewissen meldete sich wieder... war dabei eigentlich auch nie gewichen. Seit gestern haftete diese Scham an ihm.

Jimin senkte den Blick zu Boden. Er war der größte Faktor für Sunwoos derzeitigen Gemütszustand. Die sieben standen schweigend beieinander, ließen die Information auf sich wirken. „Er weint ständig wegen uns, oder?", fragte Taehyung kleinlaut. „Wegen wem denn sonst?", erwiderte Seokjin trocken, „Ich habe es euch schon gesagt."

Jimin tappte mit der Schuhspitze auf den Boden und wich den Blicken der anderen raus. Er war noch schlimmer als der Rest von ihnen. Die meisten von ihnen wollten lediglich ihre Privatsphäre behalten. Taehyung hatte nur zu ihm gehalten und hatte sich deshalb von keiner guten Seite gezeigt... und er selbst? Er musste ja unbedingt an seinen wirren Ideen festhalten.

Es war ihm sehr schwer gefallen einen Fremden so einfach zu akzeptieren. Er hatte sich bedrängt gefühlt. Als würde Sunwoo ihm alles Wichtige wegnehmen wollen. Er konnte nichts gegen diese aufkeimende Wut oder Eifersucht machen, die jedes Mal in ihm aufbrodelte wie eine verräterische Woge, die ihm jegliche Vernunft nahm. Er hätte viel früher mit den anderen darüber sprechen sollen. Sie wussten immer wie sie ihn beruhigen konnten.

„Es ist nicht nur das", fügte Jungkook leise hinzu, „Er hat Angst vor uns." Jimin lächelte matt. Das brauchte Jungkook ihm nicht zu sagen. Er hatte es selber gesehen. Diese pure Furcht. Jimin war noch nie so sehr von sich selbst angewidert gewesen.

„Wie meinst du das?", fragte Namjoon, dem die Idee wahrscheinlich genauso wenig gefiel, bei jemanden solche Empfindungen auszulösen. „Wie ich es gesagt habe. Ich war letztens doch alleine mit ihm im Raum. Ich war neugierig, warum er sich auf einmal so schwer mit allem tat. Als ich ihn fragte, meinte er, er habe Angst." Jungkook wrang seine Hände vor sich selber. „Ich fühle mich so bescheuert."

Jimin kaute leicht auf seiner Unterlippe herum. War er auch der Grund, warum Sunwoos Talent dem absolutem Chaos gewichen war? Angst war mächtig. „I- ich will... ich will nicht, dass jemand Angst vor mir hat", entgegnete Taehyung betroffen, Augenbrauen zusammengezogen, als würde ihn der bloße Gedanke daran verletzen.

„Glaub mir Tae. Das will keiner von uns." Seokjin streichelte kurz über den Kopf des Jüngeren. „Ich schätze es ist an der Zeit, dass wir uns entweder noch einmal aufrichtig bei ihm entschuldigen oder uns vernünftig um ihn kümmern", meinte er dieses Mal an alle gerichtet. Die anderen nickten alle zustimmend mit ihren Köpfen. Letztlich wollten sie den Jungen gar nicht verletzten... und Jimin wusste... für ihn gab es kein oder. Die Entschuldigung musste von ihm kommen. Das war das Mindeste.

Acht ist einer zu viel - Male!OC (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt