Kapitel 11: Herzensmelodie

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ursprünglich: 11.05.2019
Überarbeitung: 30.07.2023
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„Sunwoo." Noch immer in seinen Träumen gefangen, drehte sich der Maknae auf dem Sofa herum und kuschelte sich weiter in die Decke. So gut hatte er schon lange nicht mehr geschlafen. „Hey Sunwoo. Du musst aufstehen", drang erneut eine sanfte Stimme an sein Ohr. Jemand rüttelte ihn leicht an der Schulter.

„Nur noch fünf Minuten, Minsu", nuschelte er. Mit einer Hand wedelte er in die ungefähre Richtung, wo er seinen Freund vermutete. Dieser konnte ihm wirklich keine ruhige Minute gönnen. „Ich weiß zwar nicht, wer dieser Minsu sein soll", flüsterte die Stimme in sein Ohr, „Aber wenn du nicht aufstehst, kicke ich dich vom Sofa."

Müde blinzelnd öffnete er seine Augen. Normalerweise weckte ihn doch nie jemand anders. Seine Sicht klärte sich. Jungkook kniete neben der Couch und schenkte ihm sein typisches freches Grinsen. „Guten Morgen Sonnenschein."

Für einen Moment guckte Suwoo ihn einfach nur schweigend an, ehe er eigentlich realisierte, dass er sich noch immer im Appartement der sieben Jungs befand. Etwas träge setzte er sich auf. „Morgen", erwiderte er leise. Er ließ seinen Blick zur Uhr schweifen. „Oh mein... Es t-tut mir so leid, i-ich w-wollte nicht." Er beendete seinen Satz erst gar nicht und sah den Älteren entschuldigend an.

Es war schon fast mittags. Normalerweise konnte er sich auf seine innere Uhr verlassen... doch diese schien in an diesem Tage im Stich gelassen zu haben... „Mach dir nicht gleich ins Hemd. 'Ist doch alles in Ordnung. Du hast den Schlaf gebraucht", meinte Jungkook und tätschelte beruhigend seine Schulter. „Nur solltest du dich fertig machen. Yoongi wartet schon auf dich."

Verwirrt klappte sein Mund auf. Bevor er seine Frage stellen konnte, stand der Ältere auf und stemmte seine Hände in die Hüfte. „Du begleitest ihn heute ins Studio. Wir brauchen noch Aufnahmen von deinem zarten Stimmchen."

Nervös stolperte Sunwoo durch die Wohnung und sammelte seine Sachen zusammen. Nachdem er sich etwas frisch gemacht und seine Kleidung übergestreift hatte, stand er schließlich abreisebereit im Flur. Das blieb nur nicht allzu lange so, da er bald schon wieder zurück ins Wohnzimmer eilte.

Yoongi und Namjoon beobachteten derweil, wie ihr jüngstes Mitglied aufgeregt von der einen Seite des Raumes zur anderen wuselte und einzelne Dinge wegräumte. Meistens machte er das früher am Morgen, damit die Jungs sich später auf der Couch ausruhen konnten, ohne von seinen Sachen gestört zu werden.

„Er macht sich viel zu viele Gedanken", murrte Yoongi und nippte an einer Tasse Kaffee, die Seokjin ihm vor kurzem vor die Nase geschoben hatte. „Sunwoo", rief Namjoon den Unruhepol zu sich. Dieser kam wie ein gehorsamer Hund zu ihnen getappt und sah Yoongi direkt mit entschuldigenden Augen an.

„Ich wollte dich nicht warten lassen, Hyung." Yoongi winkte nur ab. „Wir haben es ja nicht eilig." Namjoon nickte zustimmend. „Vor allem solltest du noch was essen. Du hast noch nicht gefrühstückt", fügte er noch mit etwas Nachdruck in der Stimme hinzu.

Sunwoo blickte zwischen den beiden hin und her, ehe er schnell den Kopf schüttelte. „Nein, nein. Sonst kommen wir nur noch später los." Sofort verschärfte sich Yoongis Blick. Fast schon bedrohlich stellte er sich vor dem Jüngeren auf, der immer weiter in sich zusammenschrumpfte. Was hatte er jetzt wieder angestellt? Hatte er irgendwas gesagt, dass ihn verärgern könnte?

Ängstlich schluckend verfolgte er mit seinen Augen jede einzelne Bewegung. Yoongi stellte seine Tasse auf der Kommode neben sich und trat einen weiteren Schritt auf ihn zu. „Du kommst mir nicht aus dem Haus, ohne wenigstens eine Kleinigkeit gegessen zu haben", sagte er eindringlich. Damit packte er ihn mehr oder weniger sanft am Handgelenk und zog ihn hinter sich her in die Küche. Sprachlos folgte Sunwoo ihm. Irgendwie überraschte ihn diese Initiative.

„Yoongi. Er ist doch kein Einkaufswagen." Seokjin war gerade dabei die Theke zu reinigen, als die beiden in die Küche traten. „Setz dich." Yoongi wies auf einen Stuhl, ohne auf den Kommentar des Älteren einzugehen. Er ging zielstrebig zum Obstkorb, nahm eine Banane und hielt sie Sunwoo unter die Nase. „Iss." Danach holte er aus dem Wandschrank ein Glas und füllte es mit frisch gepresstem Orangensaft. „Trink. Und du bleibst sitzen bis du fertig bist."

Unter seinem warnenden Blick nickte Sunwoo gehorsam. „Du passt auf, Seokjin-Hyung. Wenn er fertig ist, kannst du ihn wieder zu mir schicken." Yoongi verzog sich wieder zurück zu Namjoon, während Sunwoo an seinem Glas nippte. Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er nach der Banane griff.

„Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, zieht er es wohl durch." Seokjin ließ sich gegenüber von ihm auf dem Platz nieder. Sunwoo sah zu ihm hinüber und nibbelte nebenbei an der süßlichen Frucht. Eigentlich hatte er überhaupt keinen Hunger. Er war einfach viel zu aufgeregt. Was ihn wohl heute erwarten würde? Wie würde das Studio aussehen? Aber innerlich plagten ihn noch ganz andere Gedanken. Was wenn er keinen Ton herausbekam? Endete es dann genauso wie bei ihrer Tanzstunde? Würde Yoongi auch so wütend werden?

Erschrocken zuckte er zusammen, als Jin mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn tippte. „Wenn du weiter so die Stirn runzelst, kriegst du Falten", lächelte der Ältere. Daraufhin schwiegen sie wieder. Sie saßen beieinander bis Sunwoo die kleine Mahlzeit beendet hatte. „Mach dir keine Sorge. Yoongi ist ein warmer, herzlicher Mensch, auch wenn es von außen anders scheint. Vertrau ihm einfach", meinte Jin und betrachtete ihn mit einem sorgsamen Blick. „Ich werde es versuchen", erwiderte er zaghaft. Vielleicht würde es ihm guttun, ein paar von ihnen sein Vertrauen zu schenken. An den Ältesten hielt er sich sowieso schon. Jin strahlte so eine ruhige Aura aus, dass er sich in seiner Nähe einfach wohlfühlen musste.

„Können wir dann los?", fragte Yoongi, der seinen Kopf hob, nachdem er Sunwoo in den Raum kommen hörte. Dieser nickte nur leicht, sagte aber kein Wort. „Dann komm." Nachdem sie sich verabschiedet hatten, machten sie sich auf den Weg. Mit dem Auto dauerte die Fahrt eine knappe halbe Stunde. Der Verkehr der Großstadt war ziemlich dicht. Sie wechselten kein Wort miteinander bis sie schließlich in das Gebäude traten.

Yoongi lief zielstrebig durch die verschiedenen Gänge, während Sunwoo ihm nur unbeholfen hinterherlief. Ein wenig abgeschottet von dem Rest kamen sie wieder zum Stehen. „Fass nichts an. Ich will nicht, dass etwas kaputt geht", warnte Yoongi, ehe er die Tür öffnete.

Manchmal fragte sich Sunwoo wirklich, was sie über ihn dachten. Sah er irgendwie so aus, als würde er herumgehen und alles zerstören? Gut. Man könnte das zweiseitig sehen. Immerhin war an der leidenden Gruppendynamik schuld...

„Pff. Dabei dachte ich, es wäre eine gute Idee das Soundboard auf den Boden zu schmeißen", murmelte Sunwoo trotzig. Er trat hinter Yoongi in den Raum und ließ sofort seinen Blick neugierig wandern. In der Tonstudiokabine standen zwei Mikrophone mit jeweils einem Paar Kopfhörern darübergestülpt. In dem Raum standen zwei Schreibtische, jeweils mit mehreren Bildschirmen bestückt. Musikboxen hingen von den Wänden, welche teils mit Schaumstoffplatten bedeckt waren. „Hast du was gesagt?" Mit einem kleinen Lächeln wandte er sich dem Älteren wieder zu. „Nein... überhaupt nichts."

„Also gut. Fang an", sprach Yoongi in ein kleines Mikro. Seine Stimme schallte durch die Lautsprecher in der Kabine. Mit was sollte er anfangen? Singen? Stimme aufwärmen? Sunwoo sah Yoongi ein wenig hilflos an.

Der Ältere tippte auf der Tastatur vor sich herum, Kopfhörer hingen um seinen Hals. Einzelne Haarsträhnen fielen ihm sein Gesicht, umspielten sein Gesicht. Er schien auf einen seiner vielen Bildschirme konzentriert zu sein.

Es war immer wieder beeindruckend, die Jungs so total in ihrem Element zu sehen. Und er konnte mal wieder nichts machen, außer verloren dazustehen. Egal was er machte... Er fühlte sich unbeholfen.

„Ich sagte du sollst anfangen", drang Yoongis irritierte Stimme an seine Ohren. In seinen Augen musste er sich wohl ziemlich anstellen. „I-ich w-weiß nicht-" Sunwoo brachte keinen vollständigen Satz heraus. „Hör auf zu brabbeln. Du sollst einfach irgendwas singen. Ich muss nur kontrollieren, wie deine Stimme am besten harmoniert." Man konnte seine Ungeduld deutlich heraushören. Aber was konnte Sunwoo schon tun. Er war schlicht und einfach unerfahren.

Zuerst öffnete er seinen Mund, aber kein einziger Ton kam über seine Lippen. Es war, als hätte man ihm den Hals zugeschnürt. Schon lustig wie seine einzigen Hobbys langsam zu einem Alptraum mutierten. Vielleicht hätte er in seiner Kindheit besser auf seinen Vater hören sollen. Dieser hatte noch nie viel von seinem „Herumhopsen" und „Jaulen" gehalten. Nur seine Mutter unterstützte ihn bis zu diesem Tage voll und ganz. Dabei war er drauf und dran sie zu enttäuschen.

In den Gedanken an die einzige Frau in seinem Leben, formten seine Lippen die ersten Silben. Es gab zwei Menschen für die er das hier auf sich nahm. Die er unbedingt stolz machen wollte, komme was wolle. „Lauter!", schallte es fast schon genervt durch die Kabine, was ihn leicht zusammenzucken ließ. Für einen Moment verstummte er wieder. Anstatt sich erneut von seinen Zweifeln einholen zu lassen, kochte dieses Mal Wut in ihm hoch. Was fällt denen eigentlich ein? Jedes Mal, wenn er sich zu etwas durchrang, kam es ihm vor, als würde man ihn wieder runterdrücken. Vor allem hätte er nicht erwartet, dass ausgerechnet Yoongi ihn so anfahren würde.

Yoongi PoV:
Normalerweise wäre er wahrscheinlich geduldiger mit dem Jüngeren umgegangen. Nachdem er jedoch die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan hatte, da die Hitze regelrecht in seinem Raum stand, war er jetzt dementsprechend leicht zu reizen. Da Sunwoo erneut verstummt war, hob er seinen Kopf, um ihn direkt anzupflaumen. Mit dieser ganzen Zaghaftigkeit konnte er gerade überhaupt nichts anfangen.

Als er jedoch den feurigen, ziemlich wütenden Blick auf sich spürte, beschloss er lieber den Mund zu halten. War er vielleicht doch ein wenig zu harsch gewesen? Sollte er vielleicht mehr Verständnis zeigen? Seufzend fuhr sich Yoongi mit den Händen über sein Gesicht. Er hatte selten mit unerfahrenen Künstlern zu tun.

„Falls meine Anweisungen nicht deutlich genug waren. Du sollst einfach ein Lied singen, dass du bereits kannst. Nur für eine Minute. Dankeschön." Möglicherweise klang das nicht gerade besser, als seine vorherigen Ansätze. Jetzt da er sich selber sprechen hörte, bemerkte er seine schroffe Stimme und sarkastische Art selbst.

Sunwoo blickte ihm mit deutlichem Trotz entgegen. Yoongi biss sich leicht auf die Unterlippe und unterdrückte sich ein Schmunzeln. Da hatte der Jüngere wohl doch eine aufmüpfige Seite in sich versteckt.... Und die würde er definitiv noch aus ihm herauskitzeln.

„Ich wollte gerade anfangen, Hyung. Aber du hast mich unterbrochen", sprach Sunwoo ins Mikrophon, „Möglicherweise solltest du von Anfang an klare Anweisungen geben. Denn ich habe weniger Erfahrung als ihr, auch wenn ihr sieben irgendwie eine andere Erwartungshaltung habt. Ich brauche eure Hilfe noch."

Yoongi seufzte leise. Er sollte es eigentlich selber wissen wie es ist. Er war schließlich auch einmal Trainee. Rappen war seine Stärke. In anderen Bereichen hatte es ihm jedoch an Selbstbewusstsein gefehlt.

Yoongi war sich nicht einmal sicher, in was sich Sunwoo selbstbewusst fühlte. Klar. Er hatte ihn tanzen gesehen. Der Moment, in dem die Musik eine Geschichte in jeder Faser seines Körpers war. Er erzählte von ihrem Glück und ihrer Pein. Ein emotionales Meisterwerk. Auch wenn in den letzten Tagen nur wenig davon durchschimmerte. Sunwoo hatte die Eleganz verloren, die er zu Beginn noch hatte. Das Vertrauen in sich selbst.

Das harte Training stand auch nicht jeder durch. Vielen kam ihr Selbstbewusstsein mit der Zeit abhanden. Ständig herrschte dieser Konkurrenzkampf... und dieser Druck perfekt zu sein. Zu Beginn nimmt einem diese Ausbildung mehr, als dass sie einem etwas gibt.

„Also gut." Yoongi räusperte sich leicht. Er war zugegebenermaßen auch ein wenig erleichtert, dass Sunwoo ein wenig aus seiner Schale herauskam und ihn konfrontierte. „Ich versuche dir zu helfen, wo ich kann. Wenn du Fragen hast, stelle sie bitte."

Yoongi musterte ihn kurz. „Hast du... schlechte Erfahrungen mit deinen Gesangslehrern gemacht?" Denn eigentlich sollte Sunwoo nicht das erste Mal in einer Tonkabine stehen. Sunwoo sackte augenblicklich ein Stück weit in sich zusammen. Bingo.

„Sunwoo..." Der Jüngere schien eher weniger das Bedürfnis zu haben, darüber zu sprechen. „Es ist nur... Ich habe große Probleme einen Ton eine lange Zeit zu halten. Meine Stimme bricht schnell weg... und ich habe nicht... per se Schwierigkeiten in höheren Lagen, aber mir fällt es deutlich schwerer den Ton auf Anhieb zu treffen."

Yoongi hob leicht seine Augenbrauen. Das war noch keine Erklärung, warum er so verunsichert war. Sunwoo zog seine Schultern an und wich seinem Blick aus. „Ich will nicht schlecht über meine Trainer reden", murmelte er.

„Du musst auch gar nicht reden, wenn es für dich unangenehm ist. Ich will dich zu nichts zwingen. Aber wenn du dich dazu entschließt, brauchst du auch keine Angst haben, dass ich die Information an irgendwen weitergebe." Yoongi zog seine Augenbrauen zusammen. Es gab leider auch in diesem Entertainment einige schwarze Schafe. „Außer du willst das. Ich kann zumindest bewirken, dass sie jemanden zur stichartigen Kontrolle reinschicken."

Sunwoo schüttelte eilig den Kopf. „Ich... will es dir erzählen. Aber behalte es für dich, ja?" Yoongi lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah ihn aufmerksam an. „Wir sollten zusammen ein Lied aufnehmen... und ich habe meinen Part nicht hinbekommen. Ich will mein... Versagen nicht entschuldigen, aber die Höhe und die Stimmtechniken haben ihr Übriges getan. Ich... konnte es nicht. Ich wollte nicht aufgeben, aber ich wusste, dass ich nicht dazu bereit war."

Sunwoo nagte sich verunsichert an der Unterlippe. Yoongi runzelte leicht die Stirn. Der Jüngere schien diese Angewohnheit öfter zu haben... Er sollte sie ihm abgewöhnen. Es sah schmerzhaft aus. Selbst von hier konnte er erkennen, dass die Lippen eingerissen waren.

„Ich wollte den Part abgeben... aber sie haben darauf bestanden. Sie haben mich vor allen anderen immer und... immer wieder singen lassen... und ich verstehe das. Das ist die beste Übung... Aber nicht so... Es war so peinlich. All diese starrenden Blicke." Sunwoo schien wie in seinen Gedanken versunken zu sein. Seine Augen sprangen von einer Seite zur anderen, als könnte er sich bildhaft an die Ereignisse erinnern. „Mit der Zeit war meine Stimme so schrecklich brüchig und quietschig, aber sie haben mich dazu gezwungen weiterzumachen Weiter und weiter... Ich kann ihre Sprüche immer noch hören..."

Yoongi knirschte gereizt mit den Zähnen. Er hatte es noch nie verstanden wie manche Leute denken konnten, dass die Trainees durch traumatische Erfahrungen lernen sollten. Sie injizierten in ihnen die Angst vor Fehlern mit der Hoffnung aus ihnen Perfektion zu erhalten. Aber das Ergebnis waren nur gebrochene Seelen.

„Ich glaube, ich konnte drei Tage kaum sprechen." Sunwoo lachte leicht. „Naja..." Er fuhr sich selbst durchs Haar und blickte wieder zu Yoongi. „Ich... Tue mich seitdem schwer mit neuen Leuten zusammenzuarbeiten. Ich versuche wirklich nicht, dir dein Leben schwer zu machen, Hyung."

Yoongis Ausdruck erweichte. „Tust du nicht. Es tut mir leid, dass ich so forsch zu dir war." Ein Lächeln zeichnete sich auf den Lippen des Jüngeren ab. „Danke, Hyung... Dafür, dass du zugehört hast und auch... für die Entschuldigung."

Die weitere Zusammenarbeit verlief deutlich besser. Yoongi ließ ihn ein paar Zeilen aus ihren eigenen Liedtexten singen und machte sich Notizen. Für kommende Auftritte mussten sie wohl irgendwie eine Möglichkeit finden, ihn einzubinden.

Manchmal bemerkte er, dass die Stimme des Jüngeren wegbrach oder er sich im Ton vergriff. Ihm fehlte noch ein wenig die Bestimmtheit. Yoongi nahm sich die Zeit, Sunwoo Tonleitern auf und ab singen zu lassen, bis er den jeweiligen Ton auch beim allerersten Ansatz traf. Nach einer Weile waren sie auch so weit, dass er eine zufällige Taste betätigte und Sunwoo ohne zu große Schwierigkeiten den Ton nachahmte.

„AAaah!" Zumindest zum Großteil. Yoongi gluckste amüsiert. „Hyung! Hör auf mich zu ärgern. Das ist viel zu hoch!", jammerte Sunwoo. Der Ältere grinste heiter. „Sorry, sorry." Einen kleinen Spaß musste er sich einfach erlauben.

Ein letztes Lied und der Tag wäre erfolgreich beendet. Doch hatte nicht wirklich hiermit gerechnet. Unbewusst krallte Yoongi seine Fingernägel in die Platte des Schreibtisches. Sein Blick war wie gebannt auf den Jüngeren gerichtet.

Er formte die Silben des Textes mit eigenen Nuancen, sodass er dem Lied einen ganz neuen Charakter verlieh. Die Leidenschaft, die in jedem einzelnen Teil der Melodie mitschwang, durchzuckte ihn wie ein Blitz. Egal was es war... Er konnte es nicht einmal benennen, aber es berührte sein Herz. Sein Innerstes zitterte vor Ergebenheit. Eine Gänsehaut breitete sich auf seiner ganzen Haut aus.

Es war als könnte er jedes einzelne Gefühl, das Sunwoos Lippen verließ, selber spüren. Der Jüngere machte sich das Lied komplett zu Eigen. An den geeigneten Stellen sang er mit kräftiger Stimme, nur um sie mit sanften, ruhigen Klängen abzulösen. Seine helle, warme Stimme untermalte die Reinheit jeglichen Kummergefühls.

Das, was er vorher kritisiert hatte... Die brechenden Töne... Das quietschen in seiner Stimme... wirkte hier viel mehr als Vertiefung der Empfindungen. Yoongi erkannte das Lied kaum wieder. Man könnte fast meinen, es wäre eine komplette Neuschaffung.

Endlich zeigte sich Sunwoo seine wahren Seiten. Er lebte... und war ein Künstler durch und durch. Ein weiterer Schauer jagte durch Yoongis Körper. Er könnte regelrecht darin eintauchen und für immer in dieser Welt der Musik schwelgen. Leider verließen die letzten Wörter Sunwoos Lippen, ehe die Musik stoppte.

Sein Atem verließ zittrig seine Lippen, als er sich etwas auf seinem Schreibtischstuhl richtete. „Hyung", klang es sanft durch seine Hörer, „Du weinst." Überrascht fasste sich Yoongi ins Gesicht. Da hatten sich doch tatsächlich Tränen ihren Weg über seine Wangen gebahnt. Bevor er antworten konnte, schniefte er leicht. „Das ist Einbildung." Seine Stimme klang so rau und kaputt. Er räusperte sich beschämt, bevor er sich mit einem Tuch die triefende Nase abwischte.

Selbst im Nachhinein spürte er noch die Nachwirkung des Liedes. Am liebsten würde er sich jetzt vollkommen alleine auf die Suche nach Inspiration machen und über die Magie in Sunwoos Stimme sinnieren. Aber der Jüngere war noch hier.

Yoongi kam sich so vor, als hätte er sich jegliche Trauer von ihm zu eigen gemacht. Er blinzelte die letzte Feuchtigkeit aus seinen Augen. Sunwoo musste wohl jegliche Emotionen der letzten Wochen angesammelt haben, um sie hier freizulassen. Nicht in einem Gespräch. Das würde er wohl nicht wagen. Sondern hier... bei ihm... und vertraute sich ihm an.

Yoongis Blick war noch immer auf ihn fixiert, als Sunwoo aus der Kabine trat. „Hyung... Ist wirklich alles in Ordnung?", fragte er besorgt. Der Ältere nickte nur. Seufzend fuhr er sich durchs Haar. „Ich wünschte, ich hätte dich später kennengelernt. Ich hätte dich gerne bei anderen Projekten unterstützt." Allein der Gedanke an die kommende Show lag wie ein schwerer Stein in seinen Magen. Sunwoo hatte seine eigene Karriere verdient. „Ich hätte mich geehrt gefühlt." Sunwoo lächelte warm, ließ aber gleichzeitig die Schultern hängen. Das war eine Zukunft, die ihm nun verwehrt blieb.

Sunwoo saß still neben ihm auf einen kleinen Hocker und beobachtete Yoongi dabei, wie er die einzelnen Tonspuren bearbeitete. Die Gedanken des Älteren waren wirr. Er konnte sich kaum konzentrieren. Frustriert ließ er von der Maus ab. „Weißt du...", setzte er an, „Ich glaube, ich habe mich bisher nicht wirklich bei dir entschuldigt." Sunwoo runzelte leicht die Stirn. „Wofür denn auch?"

„Meine Einstellung dir gegenüber... war nicht gerade die beste. Ich wollte dich nicht bei uns haben... und ich denke, dass ich damals eine ähnliche Einstellung wie Jimin hatte. Ich war so abweisend... in der Hoffnung, dass vielleicht damit wieder alles zur Normalität zurückkehren könnte." Yoongis schlechtes Gewissen verfolgte ihn über die letzten Tage. Sie hatten den Jüngeren zu einem Punkt getrieben, bei dem er nicht mehr er selbst sein konnte.

„Du warst zwar nicht gerade der freundlichste... Aber ich war nur ein Fremder für euch. Ich wäre auch nicht begeistert gewesen, wenn jemand in meine Privatsphäre eindringt." Sunwoo zog seine Augenbrauen zusammen. „Ich weiß auch nicht, inwiefern das eine gute Idee sein sollte. Ich hätte ja trotz allem auch ein verrückter Fanboy sein können. Derjenige, der diese Entscheidung getroffen hat, einen Trainee zu euch zu stecken, sollte sich dringend einem Realitätscheck unterziehen."

Yoongi schmunzelte ein wenig, unterbrach den Jüngeren jedoch nicht. „Und Hyung... Ich kann Jimins Denkweise durchaus ein Stück weit nachvollziehen... auch wenn mir das bei seinem Handeln etwas schwerer fällt..." Sunwoo lächelte beschämt. „Und es ist dein gutes Recht mich auch zu ignorieren... Du musst mich schließlich nicht mögen."

Manchmal fragte er sich wie der Jüngere nach allem überhaupt noch Verständnis aufbringen konnte. Yoongi drehte sich auf dem Bürostuhl direkt zu ihm und sah ihn ernst an. „Ich habe dir genauso vor den Kopf gestoßen... Du hast dich so dermaßen unwohl bei uns gefühlt, dass du jede Möglichkeit gesucht hast, uns aus dem Weg zu gehen. Du hattest keinen Rückzugsort und bist nur auf Zehenspitzen um uns herumgegangen. Es war, als hättest du die Erwartungshaltung, dass in jeder Sekunde einer von uns an die Decke gehen könnte. Das war doch kein Leben mehr."

Sunwoo nibbelte wieder an seiner Unterlippe. Dieses Mal beugte sich Yoongi nach vorne. Sanft zog er mit seinem Daumen seine Lippe von seinen Zähnen. „Hör auf damit", mahnte er leise. Der Jüngere schien ein wenig rot um die Nase zu werden.

Yoongi zog seine Hand wieder zurück. „Ich denke nicht, dass meine Entschuldigung ausreicht... Da ist noch ein weiter Weg... Aber ich hoffe, du kannst dich mir... oder auch den anderen eines Tages anvertrauen. Ich möchte nicht, dass du dich in Zukunft alleine fühlst." Es war ein stilles Versprechen. Nur war es an ihm, sich auch daran zu halten.

Acht ist einer zu viel - Male!OC (wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt