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Ich hoffte mein Gestarre hatte ihm keine unangenehmen Gefühle bereitet.

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|Taehyung|

Nachdem ich an dem Wochenende nach der Party einen beständigen Kampf mit meinem schmerzenden Körper und der Übelkeit, die dem Alkoholkonsum verschuldet waren, führte und von der mich zerreißenden Verwirrung, die aus Jungkooks fragwürdigem Verhalten und dem unerwarteten Kuss entstanden waren, geplagt wurde, kehrte ich schließlich am folgenden Montag wieder an den Ort des Geschehens zurück.

Für die morgendliche Besprechung trafen wir uns alle im Konferenzraum und Namjoon begann damit, die Party zu reflektieren.
"Also Leute, ich würde mal behaupten, die Party war ein Erfolg. Bis auf Hoseok der gegen Ende aussah, als hätte ihm jemand verraten, dass der Weihnachtsmann nicht existiert, waren alle bester Laune."

"Das ist eine Lüge! Wieso sollte jemand sowas sagen?", unterbrach ihn Hoseok entrüstet. Namjoon lachte, ehe er wieder zum Sprechen ansetzte.
"Ich fand es sehr schön. Auch wenn es die ein oder andere Sache gibt, die ich nicht ganz verstehe, zum Beispiel, dass ich Taehyung irgendwann schlafend im Lagerraum aufgefunden habe. Oder dass mich Jimin wiederholt gefragt hat, ob er mein Aquarium sehen darf. Jimin, ich hatte dir schon gesagt, dass ich kein Aquarium besitze.", lachte Namjoon verwirrt.

"Aber Yoongi-Hyung hat mir gesagt, du hast eins!", rief Jimin.
"Ja er ... hatte eins, bis er es zerstört hat!" erklärte Yoongi.
"Yoongi, das ist-", setzte Namjoon an, ehe er schmerzerfüllt sein Gesicht verzog und einen warnenden Blick von Yoongi empfing, der direkt neben ihm saß. Zwar war es von den anderen nicht bemerkt worden, doch Namjoon hatte unmissverständlich den Tritt gegen sein Schienbein vernommen, der von Yoongi ausgegangen war.

"Das ist nicht nett, dass du den anderen davon erzählst, ... obwohl ich dich darum gebeten habe, es geheim zu halten.", sprach Namjoon, etwas verunsichert, zu Ende.
Yoongi zuckte daraufhin nur mit den Schultern.

"Jetzt zu dir Taehyung. War alles in Ordnung?", fragte mich nun Jin.
"Ja, klar, also ... ich brauchte eine kurze Pause. Ich bin also in den Lagerraum gegangen und wurde dann irgendwann müde und naja ... ich bin dann wohl eingeschlafen.", antwortete ich stockend, weil ich noch nie ein guter Lügner gewesen war.

Dass ich mich eigentlich dort aufhielt, weil Jungkook mich dort hingeführt, geküsst und dann allein zurückgelassen hatte, konnte ich ja schlecht erzählen.
Ich war viel zu verwirrt gewesen, um zur Party zurückzukehren, außerdem hatte ich Angst, Jungkook dort wiederzusehen. Mir war das alles viel zu viel.

Und jetzt saß er am anderen Ende des Tisches und würdigte mich keines Blickes.
Auch als wir nach der Besprechung gemeinsam probten, versuchte er so wenig Blickkontakt wie möglich mit mir aufzubauen. Er war viel distanzierter und erlaubte sich nicht einmal mehr dumme Scherze auf meine Kosten. Er war so abweisend, dass ich schon das Gefühl hatte, er würde mich überhaupt nicht wahrnehmen.

Auch Jin schien das zu bemerken, denn er entließ uns in eine Pause, weil 'heute ja gar nichts klappen würde' und Jungkook stürmte schon fast aus dem Raum.

"Was ist denn heute mit dem los?", fragte mich Jin, nachdem wir alleine waren.
"Ich hab' keinen blassen Schimmer.", entgegnete ich nur, denn ich wollte nicht, dass er Verdacht schöpfte. Ich fühlte mich so gar nicht wie ich selbst und war neben der Spur; ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte und Jin würde sich sicher um mich sorgen oder Jungkook womöglich verprügeln, so mütterlich wie er sich verhielt.
Ich wollte wissen, was das sollte und das würde ich sicher nicht, wenn ich Jin darauf ansetzen würde.

"Ich geh zur Toilette.", sagte ich ihm und machte mich auf die Suche nach Jungkook. Auch wenn ich gar nicht mit ihm sprechen wollte, war diese abweisende Stille doch viel unangenehmer, als seine beleidigenden Äußerungen. Mit dieser Situation war ich wenigstens vertraut. Damit, mich in einer solchen Ungewissheit zu befinden, kam ich jedoch gar nicht klar.

Jungkook war nirgends aufzufinden; ich suchte vergeblich, bis ich ihn auf einem Balkon ausfindig machen konnte. Er lehnte an der Brüstung und zog an einer brennenden Zigarette, während er auf die Straße herabsah.

Ich öffnete vorsichtig die gläserne Tür.
"Jungkook?", fragte ich vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken und nicht minder deswegen, weil ich mich wie verrückt vor dem Gespräch fürchtete.
"Was willst du hier?", fragte er mich kühl.
"Ich ... naja, ich wollte mit dir sprechen.", brachte ich heraus, als ich mich neben ihn auf den Balkon stellte.

"Worüber solltest du mit mir sprechen wollen?", fragte er spöttisch.
"Über die Party, naja ... als du mit mir gesprochen hast. Du hast dich bei mir entschuldigt und dann naja ... du weißt schon.", stotterte ich unaufhörlich. Es brauchte so viel Überwindung, um diese Worte über meine Lippen zu bringen, weil ich nicht in 100 Jahren damit gerechnet hätte, einmal ein solches Gespräch mit Jungkook zu führen. Das war mehr als surreal.

"Nein, weiß ich nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern, mit dir gesprochen zu haben. Warum sollte ich?", antwortete dieser noch kühler als zu Beginn des Gespräches.
"Oh ... okay ... dann kannst du dich auch nicht daran erinnern, dass du ... naja ... dass du mich geküsst hast?", fragte ich unsicher und so leise, dass ich dachte, er hätte mich nicht gehört.

Doch er lachte auf. "Wie bitte? Das habe ich mit Sicherheit nicht getan. Davon träumst du vielleicht.", spottete er.
"A-aber ... doch, das hast du. Im Lagerraum. Ich lasse mich nicht von dir verarschen, Jungkook!", antwortete ich mit einem schärferen Ton, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte, doch dieser Typ brachte mich schlichtweg zur Weisglut.

Wie konnte er es wagen, mich so zu verwirren und so mit mir zu spielen?
Mich erst wie Dreck zu behandeln, mich dann in alkoholisiertem Zustand zu küssen und mich dann wieder so respektlos zu behandeln wie vorher?

"Kleiner...", lachte er und sah mich direkt an, ehe das Lächeln aus seinem Gesicht verschwand und undurchdringlicher Distanz wich.
"Ich würde dich nicht küssen, wenn du der letzte Mensch auf dieser beschissenen Welt wärst.", sprach er ruhig.
Dieser Satz stahl mir den Sauerstoff aus meinen Lungen. Mir blieb jegliches Wort, das ich hätte erwidern können, in meinem Hals stecken und ich starrte ihn nur ungläubig an.

Er wandte den Blick von mir ab und öffnete seinen Mund erneut. "Und jetzt verpiss dich.", bemerkte er scharf und zog erneut an seiner Zigarette, ehe er den Rauch durch seine leicht geöffneten Lippen wieder ausblies und mich keines Blickes mehr würdigte.

Weiterhin geschockt starrte ich ihn an, bis mich blanke Wut packte. Ich stürmte wieder in das Gebäude und schlug die Glastür, die zum Balkon führte, mit zu viel Kraft zu.
Ob das Glas gesprungen war, hätte mich in diesem Moment nicht weniger interessieren können. Ich stampfte die Gänge entlang und meine Füße trugen mich in den Lagerraum, in dem all das passiert war. Noch bevor ich dort angekommen war, flossen heiße Tränen meine Wangen hinunter und ich schlug die Tür hinter mir zu.

Was sollte ich jetzt tun? Das alles war passiert, oder? Ich konnte mir das doch nicht eingebildet haben!
Wieso war er so? Ich wusste, was passiert war! Er war so anders gewesen, er hatte sich bei mir entschuldigt, hatte mich geküsst und ... geweint. Wie ich es jetzt tat.

Wie hatte ich nur eine Sekunde lang glauben können, dass er es wirklich zugeben würde? Im besten Fall hätte er es auf den Alkohol geschoben. So wie ich, denn das war doch der Grund gewesen, wieso ich mitgemacht hatte. Oder?
Es hatte sich so gut angefühlt. Als er seine Hände über meinen Körper streifen ließ und seine Lippen so bestimmt auf meine drückte.
Das war die Schuld des Alkohols.
Das musste es sein.

Aber das erklärte mir nicht den Vorfall bei der Probe und auch nicht dieses Gefühl, das ich danach hatte, immer dann, wenn ich ihn ansah. Dieses Kribbeln, das meinen Körper durchzog.

Das konnte doch nicht wahr sein. Ich fühlte mich doch nicht tatsächlich zu diesem Typen hingezogen! Oder doch? Dieser Typ, der mich furchtbar behandelte; der andere aufgrund ihrer Homosexualität beleidigte? Und dann küsste er mich???
Wollte er sich über mich lustig machen? Mich absichtlich verletzen?
Gott, ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte.

Meine Gedanken überschlugen sich und ich saß hier, heulend in diesem Lagerraum und wollte diesen nie wieder verlassen.

Spotlight | Taekook [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt