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Jimin hatte mir, ohne zu zögern, so sehr geholfen und jetzt würde ich ihm helfen.

▪︎

Das erste, was ich am Morgen des folgenden Arbeitstages tat, war Yoongi aufzusuchen. Ich wusste nicht genau, was ich tun sollte oder was in dieser Situation am Schlausten war. Mir war aber durchaus klar, dass das, was ich da vorhatte auf alle Fälle das Dümmste war, was ich tun konnte. Jin würde zweifellos versuchen mir Vernunft einzuprügeln, wenn er davon wüsste.

Doch wann immer ich an Jimin dachte; daran, wie er den Zettel gelesen und den restlichen Tag mit allen Mitteln versucht hatte, zu wirken, als sei alles in Ordnung, als würde es ihn nicht belasten und traurig machen, verspürte ich einen unheimlich starken Tatendrang.
Die ganze Zeit über hatten wir gelogen, dafür, dass ich meiner stupiden Schwärmerei nachgehen konnte und eine Chance erhielt, dass diese tatsächlich aufblühen konnte. Nun würde ich die Wahrheit sagen, dafür, dass Jimin diese Chance erhielt.

Diese Situation war mehr als paradox, aber seit ich erfahren hatte, dass Jimin etwas für Yoongi empfand, quälte mich ein beißend schlechtes Gewissen und ich hatte das Gefühl, ich hätte ihm die Möglichkeit auf sein Glück genommen.

Ich würde Yoongi alles erklären. Ich würde ihm genau das Bild von Jimin vermitteln, das der Wahrheit entsprach. Und wenn das bedeuten würde, dass wir auffliegen würden, dann sollte es so sein. Ich konnte nicht mit gutem Gewissen mein Glück finden und Jimin seiner Frustration überlassen.

Es klang alles furchtbar dramatisch. Wir standen eigentlich nur auf irgendwelche Typen, haben Scheiße gebaut und ein Chaos aus Lügen hinterlassen.

Aber was ist schon bewegender als die Liebe? Was stürzt die verschiedensten Individuen in einen Abgrund der allgemeinen Resignation, wenn nicht unerwiderte Zuneigung? Und was fühlt sich überwältigender an, als tiefe Gewogenheit?

Ich hatte noch nicht mit Jungkook geredet, seit wir die längst vergangenen Stunden in der Kälte dieser dunklen Nacht gemeinsam verbracht hatten.
Es fühlte sich auf einmal wieder so weit entfernt an und ich zweifelte daran, dass sich irgendetwas zwischen uns geändert hatte. Und selbst wenn es so wäre, mir brannte die Lüge, die Jimins Glück gefährdete, auf der Seele und ich wollte, dass das aufhörte.

Ich könnte warten, bis Jin die dramatische Trennung inszeniert hatte und sich das Problem durch eine weitere Lüge lösen würde. Das würde jedoch nicht der Wahrheit entsprechen. Dass Jimin mir zuliebe mitgespielt hatte, um mir zu helfen und dabei sich selbst vernachlässigt hatte, war genau das, was Yoongi erfahren sollte.

Ich zweifelte zunehmend daran, dass es überhaupt eine gute Idee war, diese Lüge ins Leben zu rufen. Verbindungen, die auf Lügen aufbauen, sind unehrliche Verbinungen, sie haben keine Basis. Was wäre passiert, wenn wir das niemals getan hätten? Wäre ich Jungkook überhaupt näher gekommen? Ich wusste es nicht und ich würde es auch nie erfahren. Waren Notlügen okay? Würde ich da jemals wieder rauskommen?

Es fühlte sich komisch an, vor der Tür von Yoongis Studio zu stehen, in dem Wissen, dass ich ihm gleich mein Herz ausschütten würde. Ihm, mit dem ich von allen hier bis jetzt am wenigsten Worte ausgetauscht hatte. Ihm, den ich kaum kannte und dessen Vertrauenswürdigkeit ich nicht einschätzen konnte.

Ich klopfte mit zitternden Händen an die Tür und wartete eine kurze Weile.
"VERSCHWINDE ENDLICH, NAMJOON! ICH HAB' DIR GESAGT, ICH HAB' ZUTUN!", hörte ich Yoongi durch die Tür hindurch brüllen.

"Ähm ... Ich bin's. Taehyung.", rief ich gedämpft, sodass ich schon dachte, ich wäre zu leise gewesen. Doch Yoongi öffnete einige Augenblicke später die Tür und blickte mir irritiert entgegen.
"Taehyung. Wie komme ich zu dem Vergnügen?", fragte er mich monoton.

"Ich w-wollte mit dir reden.", antwortete ich schlicht und schluckte schwer. Er zog daraufhin eine Augenbraue hoch und trat einen Schritt zurück, damit ich eintreten konnte.

Das Studio sah aus wie beim letzten Mal, als ich es betreten hatte. Das war an meinem ersten Tag gewesen. Der Raum wurde von den Bildschirmen in kühles, dämmriges Licht getaucht und überall lagen einzelne Notizen herum.
Mir fiel jedoch ein Aquarium auf, welches zusätzlich bläuliches Licht in den Raum warf, das letztes Mal noch nicht hier gewesen war.

Ich ließ meinen Blick weiter abwesend durch den Raum schweifen, bis ich hörte, wie Yoongi sich räusperte.
Ich drehte meinen Kopf zu ihm und er sah mich abwartend an.
"Also, was gibt's?", fragte er mich mit müdem Blick.

"Ähm ... Ich, also ... Ich wollte ...", druckste ich unschlüssig herum. Ich hätte mir vorher überlegen sollen, was ich sagen würde. Nervös knetete ich meine Hände, bis mir auffiel, dass ich ihm auch einfach zeigen könnte, weswegen ich hier war.
Ich zog also schnell den zusammenkenüllten Zettel aus meiner Hosentasche und versuchte ihn ungeschickt zu entwirren, sodass ein knisterndes Geräusch entstand.

Ich reichte ihn Yoongi, welcher nur einen kurzen Blick darauf warf und den Text sofort zu erkennen schien, weshalb er seinen Blick wieder auf mich richtete und auf seiner Unterlippe herumkaute.
"Keine Sorge ... Ich lasse deinen Freund in Ruhe.", murmelte er.

"Nein! Tu das nicht!", rief ich aus Reflex und erntete dafür einen gänzlich verwirrten Blick von Yoongi.
"Ähm, also ...", versuchte ich eine chaotische Erläuterung zu starten, die ich schließlich auch zuende brachte. Ich erzählte ihm von dem komischen Hin und Her mit Jungkook, meinen Gefühlen, Jins Plan und wie Jimin mir dabei geholfen hatte. Ich erzählte ihm ebenfalls, wie wir beim Aufräumen den Zettel fanden.

"Das heißt ... ihr beiden seid gar nicht zusammen und Jimin hat meinen schnulzigen Text gelesen?", fragte Yoongi am Ende meiner Erzählung.
Ich nickte und verzog dabei meinen Mund zu einem gequälten Lächeln.

"Ihr seid solche Idioten.", murmelte er und schüttelte den Kopf.
"Das stimmt, aber bitte verlier' dein Interesse an Jimin nicht! Das hat er nicht verdient und außerdem scheint er dich auch zu mögen.", sagte ich und richtete meinen Blick auf den Fußboden, da ich die Intensität von Yoongis Augen nicht aushielt, die mich sehr an die einer Katze erinnerten.

"Wie bitte?", ertönte seine Stimme lauter als zuvor.
"Ja ... Als er den Zettel gelesen hat, hat er geflüstert 'Er mag mich auch?' ...", murmelte ich.
Ich verriet wahrscheinlich viel zu viel, aber ich hatte das Gefühl, es sei eine wichtige Information und würde dazu beitragen, dass alles gut werden würde.

Ich sah wie Yoongis Miene sich erhellte und beendete kurz darauf das Gespräch, da ich alles gesagt hatte und die Situation hinter mir haben wollte.
An der Tür drehte ich mich jedoch noch einmal zu ihm um.
"Ach und Yoongi?"

"Ich behalt's für mich.", nickte er mir zu und ich atmete erleichtert aus, als ich das Studio verließ. Ich fühlte mich auf einmal viel leichter als zuvor.

Spotlight | Taekook [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt