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"Tae, ... auch wenn es schwer ist, gib ihm etwas Zeit."

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Liebes Tagebuch,

ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht.
In mir herrscht das reinste Chaos, ich bin so durcheinander und weiß weder, was ich denken, noch, was ich fühlen soll.
Es geht immer hin und her, von einem Extrem ins andere.
Von eiskalt zu brennend heiß;
von pechschwarz zu blendend weiß.
Wie soll ich entscheiden, was richtig ist?

Ich habe mich die letzten Wochen mit viel Mühe davon überzeugen können, dass ich Taehyung hinter mir lassen sollte. Doch ich sehnte mich so sehr nach ihm, dass ich sogar die kleinen Uneinigkeiten zwischen uns vermisste. Wie gerne würde ich wieder mit ihm streiten, nur um wieder mit ihm sprechen zu können. Doch ich wusste, ich würde schwach werden und ihm alles verzeihen, denn er hatte eine Macht über mich, die sich nicht messen ließ. Sie sprengte vorbehaltlos jedes Maß.

Ich war noch nie so hin- und hergerissen, denn zum einen wollte ich ihn nie wieder sehen. Ich fühlte mich so entblößt vor ihm, vor dem Lügner, der mir mein Herz geklaut hat. Doch auf der anderen Seite löste sein bloßer Anblick tiefe Wehmut in mir aus und ich wollte nichts lieber, als meine Sehnsucht nach ihm zu stillen.

Es war ein stetiger Kampf ihm so unentwegt die kalte Schulter zu zeigen, doch gleichsam löste der Gedanke, ihm zuzuhören und ihn vielleicht sogar zu verstehen, eine wahnsinnige Angst in mir aus. Die Angst, dass er mich wieder belügen könnte.
Dass er womöglich nur mit mir spielte.

Ich hatte ihm so viel Vertrauen geschenkt und wurde enttäuscht. Vielleicht eher von mir selbst, als von ihm, denn nie wollte ich einem Mann so viel von mir zeigen und so viel geben. Gleichzeitig war ich jedoch niemals so glücklich gewesen, wie mit ihm.

Egal wie sehr ihr es mir wünsche, ich werde ihn niemals wirklich hassen können. Vor allem nicht nach dem, was bei der Premiere passiert ist.

Er hat mir vor versammeltem Publikum seine Liebe gestanden. Mitten auf der Bühne. Im gleißenden Scheinwerferlicht.
Vor einem Haufen Journalisten hat er mir, einer Person seines Geschlechts, seine gesamte Gefühlswelt vor die Füße gelegt.

Von dem Tag an, als ich von seiner Lüge erfahren hatte, wollte ich ihn nicht anhören, denn hinter jedem Wort vermutete ich eine weitere Lüge, die mich in Stücke reißen könnte. Ich misstraute ihm plötzlich. Ich unterstellte ihm auf einmal, er würde mich geflissentlich verletzen wollen.

Doch er stand dort, direkt vor mir und einer Menge anderer Leute und machte sich unheimlich angreifbar und verletzlich ... und das nur, um sich bei mir zu entschuldigen?
Nur, damit ich weiß, dass er mich liebt?

Er setzte seine gesamte zukünftige Karriere aufs Spiel, indem er öffentlich seine Sexualität preisgab und das nur ... für mich?

Er hatte das getan, wovor ich mich so fürchtete. Er hatte die Angst überwunden, die wir beide teilten.
Ich sah ihn noch vor mir. Mit Tränen in den Augen und zitternden Lippen. Und in diesem Moment hätte ich sie so gerne geküsst.
Als mir klar wurde, was er da tat, wollte ich ihm, ohne zu zögern, alles verzeihen, was er jemals falsch gemacht hatte, denn ich wusste, dass er ein riesiges Opfer brachte.
Er hatte sich als angehender Schauspieler einer Gesellschaft ausgeliefert, die ihn nicht akzeptieren würde und das war ihm bewusst.

Doch ich konnte nicht darauf reagieren, ich hatte zuviel Angst davor. Sie hielt mich zurück und das tut sie noch immer.
In meinem Inneren kämpft diese Angst unerlässlich gegen die Sehnsucht und das Bedürfnis Taehyung in meine Arme zu schließen und ihn nie mehr loszulassen; mit ihm gemeinsam der Intoleranz vieler Menschen zu trotzen und aufzuhören, mich zu verstecken.

Mein falscher Stolz hatte mich vor einigen Monaten beinahe davor bewahrt, mich der Liebe meines Lebens hinzugeben und noch einmal würde er mir nicht im Weg stehen.
Taehyung war ein guter Mensch, ich wusste es, er hatte es mir zur Genüge bewiesen.
Und wenn er ein solches Opfer bringen konnte, dann konnte ich über einen Fehler hinwegsehen, den er gemacht hatte, bevor wir uns so nahe standen. Ich selbst hatte viele Fehler gemacht, es war ein Wunder, dass er mich nicht hasste. Aber das tat er nicht und genauso wenig konnte ich seine gesamte Persönlichkeit auf einen strategisch unklugen Schachzug reduzieren, der mich ihm letztlich näher gebracht hat.

Mein Leben lang hatte ich auf der Basis von meiner unzureichenden, subjektiven Wahrnehmung voreilige Schlüsse gezogen und Menschen verurteilt. Doch wie sie die Situation wahrgenommen hatten, daran habe ich nie auch nur einen einzigen Gedanken verschwendet. Meine Gefühle entschieden schon immer über meinem Kopf, doch dass es bei anderen genauso sein könnte und dass alle Menschen ihre persönlichen Beweggründe für alles hatten, was sie taten, hatte ich nie in Erwägung gezogen. Doch nur, weil ich es nicht verstehe, heißt es nicht, dass es falsch ist.

Und durch diese Beschränktheit sollte ich nicht den einen Menschen verlieren, der mich mehr bewegt hat, als ich es je für möglich gehalten hätte.

JK

Spotlight | Taekook [✔]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt