Ein, zwei Bier

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Die Luft war unglaublich schlecht. Alle waren betrunken. Es wurde getanzt, gelacht und rumgemacht. Die Bässe dröhnten in meinen Ohren. Ich wusste nicht, wer in diesem Haus wohnte und ich war mir sicher, dass die wenigsten den Hausbesitzer kannten. Das war allerdings auch egal. Seine Anlage war geil und der Alkohol lief. Alles andere war irrelevant.

Ich hielt die Glasflasche fest in meinen Händen und versank tiefer in dem siffigen Sessel. Das Bier war inzwischen warm und meine Freunde hatte ich längst aus den Augen verloren. Genau wie meinen Rollstuhl. Wahrscheinlich wurde er gerade für illegale Straßenrennen verwendet. Ich schnaubte und nahm einen großen Schluck von meinem Getränk, ehe ich den Fremden weiter beim Tanzen zusah. Vorausgesetzt man konnte ihre undefinierbaren Bewegungen als tanzen bezeichnen. Im Grunde waren die schwitzenden Gestalten nichts anderes als wilde Tiere. Die Kerle zeigten den Weibchen, dass sie sie ficken wollten. Die Weibchen machen die Männchen scharf und lassen sie dann doch mit einem Ständer zurück. So lief das eben.

Und einer von den Männchen tanzte besonders bescheuert. Er war völlig verschwommen, was entweder an meinem Alkoholkonsum lag oder an der Tatsache, dass meine Brille nicht auf meiner Nase sondern in meinen Haaren steckte. Trotzdem wusste ich genau, wer sich dort bewegte wie der letzte Vollidiot. Er wirkte total steif und hatte gar kein Rhythmusgefühl. Der Kerl wirbelte sich herum, seine Arme, seine Beine. Dennoch schwappte kein bisschen von seiner Mische aus dem roten Plastikbecher. Erstaunlich. Faszinierend. Beeindruckend. Ich war hin und weg und rätselte wie er das anstellte. Sein Elbsegler hin schief auf seinem Kopf, der Schweiß hatte längst sein Shirt durchnässt und immer wieder klebte er irgendeiner Bitch am Arsch. Das war mir allerdings egal, denn gerade war alles egal. Ich wusste nur, dass er dort zwischen den anderen Wilden unglaublich sexy war. Verschwommen aber sexy.

Ich stieß die Luft auf meiner Lunge und legte den Kopf auf die Rückenlehne des Sessels. Die Decke war unglaublich interessant. Sie drehte sich langsam. Ich konnte nicht sagen, wie lang ich sie anstarrte.

„Ich wusste gar nicht, dass die Malaffen auch eingeladen sind!", brüllte eine tiefe Stimme über die Musik hinweg.

Mein Blick glitt von der Decke zu dem Kerl, der vor meinem Thron für den heutigen Abend stand. Ich hatte meinen Kopf zu schnell bewegt und alles verschwamm nur noch mehr. Ich umklammerte meine Flasche. „Du bist echt unscharf", war das einzige, was Ich herausbrachte. Meine Zunge war schwer und ich mochte dieses Gefühl irgendwie.

Seine Pranken kamen mir entgegen und griffen nach meiner Brille, um sie mir auf die Nase zu setzen. „Also wenn das eine Anmache wäre, wär ich drauf angesprungen", lachte er.

Ich zuckte mit den Schultern und leerte meine Bierflasche, welche ich neben mich auf einen kleinen Beistelltisch stellte. Mein Blick fuhr herum. „Fuck..."

„Alles okay?" Der große Mann hatte sich vor mich gehockt.

„Ich muss so hart pissen...!" Ich fasste mir an die Stirn.

Er lachte wieder und stellte seinen Becher zur Seite. „Kannst du laufen?" Er erhob sich und hielt mir seine Hände hin.

„Seh ich so aus?", lallte ich.

Ich wusste nicht mehr genau, wie ich ohne meinen Rollstuhl ins Bad gekommen war. Oder in die Badewanne.

Meine Beine lagen zwischen seinen, während wir uns gegenüber saßen. Ich stützte meinen Kopf und betrachtete ihn. „Mal angenommen, ich wechsle die Zeitzonen... Du weißt schon, im Urlaub oder so. Bin ich dann ein Zeitreisender?"

Er sah von der Badezimmerdecke zu mir. „Darüber hab ich mir nie Gedanken gemacht."

„Ich auch nicht. Das kam mir gerade spanton."

„Spanton?" Er lachte.

Ich lachte ebenfalls. „Heißt das nicht so?"

„Spontan."

„Was?"

„Es heißt spontan", meinte er.

„Sag ich doch, spanton..."

„Spontan!"

„Hört sich beides scheiße an", entschied ich.

Wir sahen uns an, schwiegen eine Weile. Irgendwann griff ich nach seiner Mütze und setzte sie mir selbst auf. Ich hatte nicht mitbekommen, dass er ein Foto von mir machte.

„Steht dir." Er deutete auf meinen Kopf.

„Mir steht alles!" Ich grunzte.

„Im ernst, grunzt du immer, wenn du lachst?"

„Finds heraus!" Ich grinste dämlich.

Er schüttelte nur den Kopf und betrachtete mich. „Wie viel hast du eigentlich getrunken?"

„Ein, zwei...?"

„Ach auch egal." Er fuhr sich durch die wilden Haare. Da das Bad rote Puffbeleuchtung hatte, war seine Haarfarbe nicht klar definierbar.

Manchmal kamen irgendwelche Leute rein und benutzen das Klo, doch das bekam ich kaum mit. Und ich wusste, dass der zweite in der Wanne und ich uns über viele belanglose Dinge unterhielten, jedoch nicht über welche. Das meiste war wie weggepustet.

„Ursus...", stieß ich irgendwann hervor.

„Was?"

„Ursus."

„Wer ist das?"

„Du."

„Hä?"

„Bist du dumm?", fragte ich.

„Vielleicht." Er lachte auf.

„Du bist Ursus."

„Aber ich heiße..."

Ich unterbrach ihn. „Für mich bist du Ursus!", stellte ich klar und wedelte mit meinen Händen herum.

Kurz schwieg er. „Also sagst du mir sicher auch nicht deinen Namen?"

„Niemals!", rief ich und warf meinen Kopf in den Nacken, hielt meinen Finger in die Luft. „Du musst mir auch einen Spitznamen geben."

„Okay. Ich überleg mir etwas."

„Das muss ganz spanton sein."

„Spontan." Er klaute sich seine Mütze zurück.

Wir sahen uns die ganze Zeit an. Das gefiel mir sehr. Genauso gefiel mir, wie er seine Zigarette hielt. Wie er sie zwischen seine Lippen klemmte. Es störte mich nicht, dass er rauchte. Bei ihm wirkte in dieser Nacht alles sexy. Die Musik ließ das Haus vibrieren. Im Schein der roten Lampen wirkte seine Haut rosa.

Ich sah, wie sein Mund irgendein Wort formte, jedoch hörte ich es nicht. Und er lächelte, behielt es in jener Nacht für sich.

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt