Die Bleistiftmine kratzte über das Papier. Das Mixtape lief zum dritten Mal auf Seite B.
„Machst du mir auch mal eins?"
„Hä?" Er sah nicht von dem Buch in seiner Hand auf.
„Ein Mixtape."
„Klar. Was magst du so?" Der Rücken des Buches war gebrochen. All seine Bücher sahen irgendwie missbraucht aus. Schäbig. Vergilbe Seiten vom Zigarettenqualm.
„Überrasch mich."
Er sah kurz über den Rand seiner Lesebrille zu mir rüber, ehe er wieder in seine Welt versank. Die Brille stand ihm gar nicht. Trotzdem ließ sie ihn schlau aussehen. So konnte ich mir etwas besser vorstellen, dass er mal Lehrer werden würde. Dennoch ein komischer Gedanke, wenn er so mit aufgeplatzter Lippe und roten Fingerknöcheln da saß. Er sah aus wie ein Schläger. Keine Ahnung, was passiert war. Reden wollte er nicht darüber. Das war okay.
Sein nackter Fuß glitt immer wieder ein Stück unter mein Hosenbein. Er war ganz warm. Füßeln. Ich mochte das. Viele fanden Füße eklig. Ich fand sie irgendwie faszinierend.
Ursus legte das Buch auf seine Oberschenkel, um sich eine Zigarette zu drehen. Der Tabak krümelte auf seine Boxershorts und blieb dort liegen. Ein kurzes Zucken einer Augenbraue, als er die Kippe zwischen seine geschwollenen Lippen klemmte. Anzünden tat er sie jedoch nicht.
„Wenn du rauchen willst, musst du sie schon anzünden", meinte ich und blätterte meinen Block um.
Ein Brummen seinerseits. Er las einfach weiter, ohne die Ziese anzustecken.
Die Musik ging aus. Niemand von uns bewegte sich vom Fleck. Ich konnte meinen Atem hören. Und seinen. Das Kratzen vom Stift auf Papier. Die beiden Perlen, die an seinem Fußbändchen hingen klimperten aneinander. Ganz leise.
„Ursus?"
„Simia?"
„Darf ich dich öfter zeichnen?"
Er sah mich an, nahm seine Brille ab. „Das tust du doch schon andauernd." Durch die Zigarette nuschelte er furchtbar.
Meine Wangen wurden warm. „Gar nicht wahr..."
Er lachte rau auf. „Wer's glaubt." Der junge Mann packt sich meine Beine und zog mich zu sich ran, um mir meinen Block abzunehmen. Er präsentierte mir meine Zeichnungen. Alle zeigten ihn.
„Whoops." Ich lachte. „Vielleicht bist du ja sowas wie meine Muse."
Ursus beugte sich zu mir vor. „Müsste ich nicht dafür mit dir schlafen?" Er drehte uns so, dass er über mir auf seinem kratzigen Teppich lag.
„Können ja mal ausprobieren, ob mich das noch mehr inspiriert als dich nur anzuschauen."
Seine tiefe Lache ließ seinen Körper vibrieren. „Wahrscheinlich würdest du es wirklich tun."
„Wahrscheinlich", bestätigte ich seine Annahme schmunzelnd.
Er ließ sich auf mich sinken und blieb einfach liegen. Sein Körper war schwer, er presste den meinen auf den harten Boden. Das Atmen wurde schwerer. Es fühlte sich gut an. Sein Gewicht zu spüren war herrlich. Ich spürte seinen Atem an meinem Hals.
„Weißt du was?" Er flüsterte nur.
„Was weiß ich denn?"
„Ich bin echt froh, dass wir uns begegnet sind. Bei dir hab ich nicht das Gefühl nur befreundet sein zu können. Nur bekannte. Nur Familie. Nur Beziehung. Weißt du was ich meine? Es könnte eben alles möglich sein. Alles oder gar nichts. Und alles und auch gar nichts fühlt sich mit dir total gut an."
Ich nickte leicht. „Ich versteh was du meinst. Keine Ahnung. Mit dir kann ich so gut reden. Dich küssen einfach so. Hab aber nicht das Gefühl, dir irgendwie Rechenschaft schuldig zu sein, hm? Bei dir mach ich mir keine Gedanken, ob ein Kuss aus Freundschaft eine Partnerschaft macht oder ein Wort aus Familie Feinde."
„Ich finds echt cool."
„Ich auch", hauchte ich. Ich ließ meine Finger durch seine wirren Haare gleiten. Irgendwie war es so einfach mit ihm...
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Ursus [boyxboy]
Romansa„Wieso sprichst du ihn nicht einfach an?" „Er will sicher keinen Typen. Schon gar nicht einen, der im Rollstuhl sitzt. Sieh mich doch an." „Gut, dann zeichne ihn halt für den Rest deines Lebens nur in dein Skizzenbuch ohne je ein Wort mit ihm gewech...