Mutti macht sich Sorgen

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Meine rechte Hand zitterte zu sehr, wenn ich krampfhaft versuchte den Bleistift festzuhalten, obwohl ich ihn kaum spüren konnte. Deshalb zeichnete ich mit der linken. Das war kaum ein Problem für mich. Schließlich hatte ich Jahre damit zugebracht es zu üben, einfach weil ich es cool fand mit beiden Händen zeichnen zu können. Es zahlte sich wohl aus.

Die Miene des Stiftes klopfte auf das gelbliche Papier meines Blockes. Es war ein anderer Zeichenblock als sonst. Nicht weil der andere voll war, sondern weil ich im Krankenhaus generell in andere Blöcke zeichnete. Das gelbliche Papier war eine Abwechslung zu dem sonst immer weißen Krankenhaus. Ich wusste, dass es inzwischen viele Krankenhäuser gab, wo nicht mehr nur noch alles weiß und öde war. Versteht mich nicht falsch, weiß kann sehr inspirierend sein. Dennoch mochte ich dieses ganz bestimmte weiß nicht. Egal wie gleich es aussah, es fühlte sich nicht gleich an. Weiß. Denn eben dieses Krankenhaus, in welchem ich mir das Zimmer jedes Mal aufs neue mit einem fremden Alten teilte, war so schrecklich weiß. Dieser sterile Geruch machte mich wahnsinnig. Wobei ich das ätzende Desinfektionsmittel nicht oft genug riechen konnte. Es ergab keinen Sinn.

Chris hatte ihren Kopf auf meine Schulter gelegt und folgte mit dem Blick den entstehenden Linien auf gelblichem Papier. „Du triffst sie immer so gut", flüsterte sie und warf unser Mutter einen kurzen Blick zu, welche uns gegenüber auf dem Stuhl saß und den Bericht meines Arztes studierte. Sie sah so besorgt aus. Jedes Mal. Bei jedem Wort. Dabei war es nicht der schlimmste Bericht. Und man wusste ja noch gar nicht, wie gut die Behandlung diesmal anschlug.

Ich sah auf den Schlauch, der von meinem Zugang hinauf zum Tropf führte. Mein Frühstück. Sozusagen. Denn es war noch früh. Was meine Familie hier bereits wollte, war mir ein Rätsel. Meine Mutti hatte nur deswegen ihr Nähstübchen abgeschlossen und machte blau. Typisch.

„Spatz..." Sie legte die Unterlagen weg, strich sich eine Strähne hinter das Ohr.

„Hmm...?"

„Bist du dir sicher, dass das Studium nicht zu viel ist?"

„Wie meinst du das?" Ich wusste, wie sie es meinte. Schließlich führten wir dieses Gespräch nicht zum ersten Mal.

„Ist es nicht doch etwas zu stressig für dich? Geht es dir gut damit? Ich meine, du könntest auch arbeiten gehen. Weißt du noch, ich hab dir die Informationsunterlagen gemailt. Die sind für Fälle... für Fälle wie dich da. Da gibt es Betreuer, die aufpassen und man kann besser acht nehmen auf... auf deine Krankheit. Spatzi..."

Ich schüttelte den Kopf, wedelte mit meinen Händen. „Mutti, Stopp!"

Sie sah mich an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ich würgte sie sofort ab. „Mama." Ich winkte sie zu mir. Sie erhob sich und setzte sich an meine Bettkante. Ich nahm ihre Hand. „Mutti, ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Und ich weiß, dass du nur willst, dass es mir gut geht. Und dass du dir viel Mühe gibst. Das ist mir wirklich bewusst und ich bin dir dafür auch unglaublich dankbar. Wirklich." Ich tätschelte ein wenig ihre Hände, die langsam doch verrieten, dass sie nicht mehr achtundzwanzig war. „Aber bitte glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich im Moment nichts mehr will als dieses Studium. Ich... nein wir... Wir haben uns den Arsch aufgerissen, dass ich dieses Stipendium bekomme. Ohne euch hätte ich das nämlich nie geschafft. Und ich liebe, was ich da tue. Ich möchte das. Ich möchte Kunst machen. Es ist ja toll, dass es solche... keine Ahnung Organisationen gibt, die Menschen mit Behinderungen die Chance geben ein normales Leben zu führen. Wenn man denn sagen kann, was ein normales Leben ist. Aber das ist nicht das, was mich glücklich machen würde. Hörst du, Mama?" Ich strich ihr über die Wange, weil sie mal wieder weinte. „Ich komme gut klar. Wirklich. Und wenn nicht, dann gibt es Leute, die mir helfen. Okay? Ich bin nicht allein, wenn ich jemanden brauche."

Sie nickte und fischte nach einem Taschentuch. „Aber du bist doch mein Baby...", jaulte sie.

Ich musste lachen, umarmte die Frau. „Ich bin aber kein Baby mehr, Mutti. Und Chris auch nicht."

„Wie werden dich trotzdem auf Ewig nerven", warf meine kleine Schwester ein und umarmte uns beide. „Auf Ewig."

„Und drei Tage", lachte unsere Mum weinend. „Ach ihr beiden. Ich hab euch lieb."

„Wir sich auch." Ich drückte ihr einen Kuss auf den Kopf.

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt