Nachtgeflüster

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'Oh mein Gott...!' Seine Stimme war noch tiefer als sonst. Kratzig. Rau. Ich sah sein zerknautschtes Gesicht förmlich vor mir. ‚Weißt du, wie spät es eigentlich ist?' Er schnaubte in den Hörer und es raschelte.

„Es ist 3:27 Uhr." Ich spielte an der Fernbedienung meines Bettes herum und fuhr es immer wieder hoch und runter.

‚Merkst selbst, wah?'

„Du hättest ja nicht ans Telefon gehen müssen", gab ich unschuldig von mir.

Schweigen.

„Und du könntest auch wieder auflegen." Ich legte die Fernbedienung auf den Nachttisch.

Schweigen.

Ich hörte ihn atmen. Schlafen tat er jedoch nicht.

„Ursi?"

‚Kannst du nicht schlafen?'

„Ich bin hellwach." Ich seufzte und sah aus dem Fenster.

‚Hm... mies.' Er brummte leise und wieder raschelte es. ‚Yannik hat gesagt, dass du im Moment nicht Zuhause bist...'

„Stimmt."

‚Wo bist du denn, Äffchen?'

Kurz zögerte ich. „Im Krankenhaus."

‚Hä? Was hast du gesagt?'

„Im Krankenhaus."

‚Wieso bist du im Krankenhaus?'

Ich fuhr mir durch die leicht fettigen Haare. „Ich... das... Ich erzählt es dir lieber persönlich. Irgendwann."

‚Okay.'

„Wirklich?"

‚Klar. Es ist deine Entscheidung. Theoretisch geht es mich auch nichts an, hm?'

„Aber wir sind Freunde?"

‚Auch Freunde müssen einander nicht alles erzählen. Mach dir keinen Kopf.'

„Okay." Ich kuschelte mich in meinen Hoodie. „Wäre nicht schlimm, wenn du wieder einschläfst", murmelte ich irgendwann.

‚Ich bleib wach, bis du eingeschlafen bist. Oder bis ich aufstehen muss. Wie auch immer.'

Meine Ohren wurden ganz warm. „Das ist lieb von dir", flüsterte ich.

‚Ich weiß.' Sein Flüstern war angenehm und ich konnte sein Lächeln förmlich spüren. ‚Möchtest du lieber reden oder schweigen?' Noch immer flüsterte er, als würde er etwas verbotenes tun.

Also machte ich einfach mit. „Ein bisschen von beidem?"

‚Worüber möchtest du reden?'

„Erzähl mir etwas über dich."

‚Das ist schwer. Willst du mich nicht etwas fragen?'

Ich überlegte. „Hast du eine Freundin?"

Er lachte leise auf. ‚Das hättest du sicherlich mitbekommen, Simia.'

Da hatte er wohl recht. Doch wollte ich es irgendwie hören. Von ihm. Und es fühlte sich gut an, zu wissen, dass er niemanden hatte. Auch wenn ich vielleicht selbst nicht mehr wollte als das, was wir eben hatten, war es ein angenehmer Gedanke, zu wissen, dass ich nicht gegen jemanden beständiges kämpfen müsste.

‚Hast du keinen Zimmergenossen?'

„Nein, hab ich nicht. Ich bin forever alone." Das fand ich nicht schlimm. So störte ich niemanden, wenn ich Nachts wach war. Außer Ursus. Aber er hätte ja einfach weiter schlafen können. „Gehst du eigentlich viel feiern?"

‚Zu viel, um ehrlich zu sein. Kein gutes Vorbild, wirklich nicht. Aber die Party in der Badewanne sollte es öfter geben.'

Ich grinste. „Meinst du?"

‚Meine ich.'

„Komm darauf zurück, wenn ich wieder raus bin."

‚Werd ich.'

„Ursus?"

‚Simia?'

„Warum flüstern wir?" Ich drehte mich auf die Seite und betrachtete den Zugang, der kurz über meinem Handgelenk in meinem Arm steckte.

‚Hast du nicht angefangen?'

„Weiß nicht."

‚Ich find es komisch im Dunkeln lauter zu reden.' Ich konnte die Verlegenheit in seinen Worten hören.

„Echt? Warum?"

‚Ich weiß es nicht. Als ich klein war, hatte ich ein Monster unter meinem Bett. Und ich hab mich mit ihm unterhalten. Geflüstert natürlich. Ich wollte nicht, dass mein Vater unser Gespräch mithört.'

Ich grinste, biss mir auf die Unterlippe, um nicht los zu lachen.

‚Du kannst ruhig lachen, ich weiß, wie bescheuert das ist.'

„Ist es nicht. Es ist irgendwie süß, sich dich als kleines Kind vorzustellen. Hast du damals schon immer Mützen getragen?"

‚Mützen?'

„Na ja du trägst doch immer den Elbsegler."

Er gähnte. ‚Ach so... Ich hab nur im Winter Mützen getragen. Wie alle anderen auch.'

„Und wieso jetzt?"

‚Ich steh drauf.'

„Ich auch", rutschte es mir heraus. „Also... ich... ähm..."

Er lachte leise. ‚Du bist komisch.'

Ich legte meine Hand über mein rotes Gesicht. „Ich weiß."

‚Du?'

„Hm?"

‚Wieso nennst du mich eigentlich so?'

Ich schmunzelte, schüttelte leicht den Kopf, obwohl er es ja gar nicht sehen konnte. „Sag ich nicht. Nicht jetzt."

‚Irgendwann?'

„Irgendwann bestimmt. Du kannst ja so lange darüber nachdenken, Herr Lehrer. Du bist doch so schlau?"

‚Rawr Herr Lehrer klingt schon nice.'

Ich grunzte ins Telefon.

‚Ich sollte dich lieber Schweinchen nennen.'

„Das klingt aber so... versaut." Ich kringelte mich vor Lachen.

‚Wie kann man sich selbst so feiern? Bei solchen flachen Wortspielereien?'

Ich grunzte nur noch lauter.

‚Fremdschämen. Wirklich!'

„Sorry", krächzte ich und wischte mir die Tränen weg.

Und wir schwiegen. Ich lauschte seinem Atem. Manchmal räusperte er sich oder hustete kurz. Seine Decke raschelte. Oder meine eigene. Ich wälzte mich hin und her. Mal fragte ich, ob er wach war. Mal fragte er mich, ob ich schon schlief. Flüsternd versteht sich. Denn es war schließlich dunkel. Bis zum Sonnenaufgang, den wir uns zusammen ansahen. Schweigend. Sein Atem als Geräuschkulisse und das klicken seines Feuerzeugs. Ich sah ihn praktisch in seinem Bett rauchen. Zigarette nach dem Sex. Ohne Sex. Aber besser. Vielleicht nicht besser. Aber gut.

„Darf ich dich öfter anrufen, wenn ich nicht schlafen kann?"

‚Jeder Zeit.'

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt