Zwei Dumme...

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Ursus saß rittlings auf meinem Schoß, das Kinn auf meine Schulter gelegt, während er irgendein abgewetztes Buch las. Manchmal war er sehr anhänglich, ganz kuschelig. Aber das mochte ich irgendwie. Auch wenn das Malen dadurch etwas erschwert wurde.

„Du Ursi?"

„Hm...?"

„Ich war doch letztens bei dieser Kunstausstellung."

„Ja... hast erzählt, dass du hin wolltest."

„Na jedenfalls war ich dort. Ich kannte den Künstler nicht, der dort ausgestellt hat. Auf jeden Fall sprach mich irgendwann einer an und fragte mich nach meiner Meinung und so. Hab sie ihm gesagt, hab die Bilder kritisiert. Na ja natürlich auch positiv. Aber einiges fand ich halt nicht so gut."

„Und?"

„Der Kerl, der sich mit mir unterhalten hat, war der Künstler, der die Bilder ausgestellt hat."

„Wo liegt das Problem?"

„Ich hab seine Kunst teilweise total nieder gemacht. Hab mich mega schlecht gefühlt deswegen."

„Aber er hat dich nach deiner Meinung gefragt oder? Und du hast ehrlich geantwortet. Jeder interpretiert Kunst doch anders, oder? Bei Büchern ist es doch das gleiche. Du solltest dir nie die Frage stellen, was der Autor dir mit seinem Text sagen will. Du solltest dich fragen, was der Text dir sagt. Also welche Gefühle hast du selbst, wenn du es liest. Wie wirkt die Geschichte auf dich, inwiefern haben die Worte Einfluss auf deine persönliche Gedankenwelt. Und so ist es bei Kunst doch auch?"

„Hm..." 

„Oder würdest du nicht wollen, dass dir jemand ehrlich antwortet, wenn du andere fragst, was sie von deinen Bildern halten?"

„Doch... schon. Denke ich."

„Ehrliche Kritik, positiv wie negativ, ist die einzige Kritik, die dich irgendwie weiter bringt. Das behaupte ich jetzt mal." Er zuckte mit den Schultern. „Wie ging's weiter?"

„Nachdem er sich vorgestellt hat, hat er sich bei mir bedankt. Und er hat mir seine Telefonnummer gegeben, mich gefragt, ob ich vielleicht mal Lust hätte das Gespräch fortzusetzen."

„Das klingt doch gut."

„Ja sehr. Deswegen hab ich mich mit ihm auf einen Kaffee getroffen. Wir haben viel geredet. Über alles mögliche. Natürlich auch über zukünftige Projekte.... und da komme ich zu meinem eigentlichen Punkt..."

„Der da wäre?" Er richtete sich etwas auf und sah mich an.

„Ich habe ihn gefragt, ob ich vielleicht bei seinem neuen Projekt helfen darf. Und er war total angetan von der Idee. Allerdings... lebt und arbeitetet er etwas weiter weg von hier." Ich sah Ursus vorsichtig an. Irgendwie hatte ich Angst vor seiner Reaktion. Immerhin würde das bedeuten, dass ich fort gehe.

Aber alles was er mir zeigte war ein warmes Lächeln. Ein ehrliches. „Hey. Wieso so ein Gesicht? So eine Gelegenheit solltest du dir nicht entgehen lassen." Er lehnte seinen Kopf wieder an meine Schulter. Sein Atem kitzelte meinen Hals. „Außerdem... oh Gott, das klingt wahrscheinlich total mies. Also... na ja irgendwie trifft sich das gut. Weil... weißt du, ich hab mich doch an einigen Schulen beworben. Auch an welchen, die nicht hier im Umkreis sind. Und ich wurde angenommen. Es ist eine wirklich gute Schule, ich war auch schon dort für Gespräche. Na ja... ich hab den Vertrag bereits unterschrieben... I-Ich wollte es dir eigentlich schon längst gesagt haben."

Ich stellte den Pinsel in ein Wasserglas und legte meine Arme um seine Taille. „Das sind wirklich großartige Neuigkeiten."

„Du bist nicht böse?", nuschelte er, als er sein Gesicht in meinem Shirt vergrub.

„Nein,  natürlich nicht!" Ich knuddelte ihn. „Es freut mich wirklich, dass die dich wollen. Es wäre doch Quatsch, wenn du nur meinetwegen eine schlechtere Stelle nehmen würdest."

„Hat irgendwie etwas komisches... Wir beide bekommen wahrscheinlich die Chance unseres Lebens zur gleichen Zeit, aber an so völlig verschiedenen Orten..."

„Vor allem entscheiden wir uns zur gleichen Zeit dafür, fort zu gehen..."

„Da sag ich nur: Zwei Dumme..."

Ein leises Seufzen entfuhr mir. „... ein Gedanke."

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt