Bekanntes Gesicht

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Ein Tag wie jeder andere auch. Vermeintlich. Ich war gerade dabei meinen Platz vorzubereiten, als ich ein lauteres Gespräch vor der Tür mitbekam.

„Wieso muss ich denn jetzt für euch Malaffen Modell stehen? Ich hab andere Dinge zu tun."

„Ich geb beim nächsten Mal aus", meinte mein Mitstudent. Er hatte im letzten Kurs versprochen, er hätte auf jeden Fall ein neues Modell für uns. Hatte er anfangs auch, allerdings wurden seine Pläne durchkreuzt. Also schien er einen seiner Saufkumpanen anzuschleppen. Und schon saß der Unbekannte auf dem Stuhl in der Mitte eines Kreises aus Studenten.

„Na gut." Er seufzte geschlagen. „Aber nicht sabbern, wenn ihr mich die ganze Zeit so anstarrt." Ich blickte auf und er grinste dämlich, wackelte mit seinen Augenbrauen. Seine Augen waren auf die Mädels aus der Gruppe gerichtet. Eine von ihnen bewarf ihn daraufhin mit einem Radiergummi. „Vollidiot."

Ich musste lachen, richtete meinen Blick auf das Brett auf meinem Schoß, während ich mein Papier einklemmte. Danach machte ich noch schnell meine Brille mit meinem Shirt sauber und setzte sie zurück auf meine Nase.

Gerade hatte ich schon geahnt, dass mir der Fremde dort in der Mitte sehr bekannt vorkam. Jedoch hatte ich es schlichtweg für eine Verwechslung gehalten. Ich lag falsch. Es war keineswegs eine Verwechslung. Denn er war es tatsächlich. Er, der Mann, den ich immer und immer wieder zeichnete. Nun hatte ich tatsächlich die Gelegenheit ihn dabei anzusehen. Ihn ansehen. Ohne, dass es komisch wäre. Denn in diesem Raum sahen ihn alle an. In meinem Bauch begann es zu kribbeln. Er, dem ich erst ein einziges Mal begegnet war, saß direkt vor mir und ich durfte ihn stundenlang ansehen.

Jedes Mal, wenn ich von meiner Zeichnung aufsah und sich unsere Blick zufällig trafen, wurde ich rot. Dennoch hielt ich stand und wandte mich nicht sofort ab. Das wäre auffällig gewesen.

Das erste Mal bekam ich seine Gesichtszüge so richtig gut hin. Seine Haare. Die kräftigen Schultern. Sogar die Mütze war mir sonst nie richtig gelungen. Dieses Mal zeichnete ich tatsächlich ihn. Ihn und niemand anderes, der ihm vielleicht ähnelte. Ich zeichnete einzig und allein diesen jungen Mann.

In der Pause, legte ich mein Brett zur Seite und trank einen Schluck.

„Darf ich mal gucken?"

Noch ehe ich etwas sagen konnte, hatte er sich bereits meine Zeichnung gekrallt und begutachtete sie. Mein Gesicht glich wohl einer Tomate und mein Herz sprang förmlich aus meiner Brust. „E-es ist noch n-nicht..."

„Da krieg ich ja gleich kalte Füße", stieß er hervor und verzog sein Gesicht ganz merkwürdig.

„Hä?"

„Na weil mich das total aus den Socken haut!" Er grabschte mit seiner starken Hand auf meine Schulter und rüttelte an mir. „Ich wusste ja, dass ich gut aussehe. Aber auf deiner Zeichnung bin ich einfach der Hammer!"

Ich zog meine Augenbraue hoch. „Bitte was?" Ein Lachen konnte ich mir wirklich nicht verkneifen.

„Es ist, als würde ich in einen Spiegel sehen. Wow!"

„Und trotzdem erkennt er nicht, dass er aussieht wie der letzte Vollidiot", rief das Mädchen, das vorhin den Radierer nach ihm geworfen hatte.

Ich betrachtete ihn. Sein zu großer Pulli ließ ihn kleiner wirken als er tatsächlich war. Das machte ihn irgendwie echt süß. Genau wie seine Mütze. Ohne sie schien er wohl das Haus nicht zu verlassen. Sie passte zu ihm. Trotzdem würde ich gern seine Wuschelhaare sehen, wenn sie nicht darunter versteckt waren.

„Du starrst..." Er beugte sich leicht zu mir runter. „Dabei malst du mich doch gerade gar nicht."

„Du..." Ich schluckte. „Hast da noch irgendwas vom Mittagessen am Kinn." Ich deutete mit meinem Finger auf mein Kinn.

Er wurde rot und richtete sich wieder auf, wischte mit dem Ärmel über sein Kinn. „Das hätte man mir früher sagen können!"

Ich lachte. „Du bist echt witzig..."

„Was?"

„Du bist echt witzig!" Ich grunzte vergnügt.

„Wenn hier jemand witzig ist, ist es deine Schweinchenlache!"

Ich musste nur noch mehr lachen und dadurch nur noch lauter grunzen.

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt