Im Kerzenschein

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Ich betrachtete die Kerzen, die langsam nieder brannten, während mein Kopf auf seinem Schoß ruhte. Er hielt ein Buch in der Hand und las vor. Das mochte kitschig oder kindisch klingen, aber ich mochte es sehr, wenn er mir vorlas. Seine Stimme wirkte so beruhigend auf mich. Ich hörte ihm unglaublich gerne zu. Seine Finger glitten durch mein Haar. Ein wenig fühlte es sich an wie eine Zeitreise. Es lief die Musik, die er damals schon gehört hatte. Seine Anwesenheit, seine Nähe. Die Art, wie er roch und schon immer gerochen hatte. Wie er mit meinen Haaren spielte. Alles war wie damals. Und ich liebte es. Ich liebte ihn.

Er machte eine kleine Pause und legte das Buch zur Seite, um einen Schluck von seinem Kaffee zu nehmen.

„Weißt du, wie ich mich fühle?", fragte ich ihn, drehte mich so, dass ich zu ihm hinauf sehen konnte.

Leicht schüttelte er den Kopf, setzte seine Tasse an.

„Wie damals, wenn wir in deiner kleinen Bude lagen. Stundenlang. Geredet oder geschwiegen haben. Den Unistress vergessen für ein paar Stunden. Nur wir zwei, während alle anderen auf irgendeiner Party waren und sich besoffen haben. Als wären die letzten Jahre nie gewesen. So fühlt es sich an."

„Ich hoffe, dass es gut ist."

„Sehr sogar." Ich schenkte ihm ein Lächeln. „Und vielleicht ist das schönste daran, dass die letzten Jahre eben doch existieren und wir dennoch so zusammen liegen wie damals."

Er schmunzelte und ließ seinen Finger über meinen Nasenrücken gleiten. „Ich finde es auch schön", flüsterte er mir zu. Er lehnte seinen Kopf an das Bücherregal, das hinter ihm stand. „Weißt du, manchmal kann ich es einfach nicht glauben, dass ich dich wieder hab. Du warst so lang nicht in meiner Nähe. So lang hab ich deine Stimme nicht gehört."

Ich nickte leicht und richtete mich auf. Meine Lippen fanden sein Kinn. „Ich bin wirklich hier. Und ich hab auch nicht vor wieder weg zu sein."

„Das hör ich wirklich gern." Er streichelte meine Wange. „Und meine Worte gelten immer noch. Solang du mich lässt, werde ich bei dir sein, mit dir durch jedes Hoch oder Tief gehen. Da sein. Dich auf Händen tragen bis ans Ende der Welt und noch weiter."

„Weißt du, worauf ich Lust habe?" Ich küsste kurz seine nach Kaffee schmeckenden Lippen.

„Hm?"

„Ich habe Lust zu tanzen!" Natürlich war mir bewusst, dass ich nicht tanzen konnte. Dennoch durfte ich durchaus Lust darauf haben.

„Ich hab eine Idee", meinte Ursus nach einer kurzen Weile. „Komm!" Er half mir auf die Beine. Das Laufen hatte ich bereits aufgegeben, aber stehen konnte ich, solang ich mich festhielt. „Stell dich auf meine Füße."

Umständlich stieg ich auf seine nackten Füße, wie man es als kleines Kind bei den Eltern getan hatte. Der Mann hielt mich in seinen Armen, wodurch wir uns so unglaublich Nahe waren. Meine Finger krallten sich in sein Shirt.

Wir beide konnten uns kaum halten vor Lachen, während seine Füße uns beide durch den Kerzenschein trugen. Aus den Lautsprechern seiner Musikanlage ertönte alte und kitschige Musik. Dieser Moment war so romantisch wie er unromantisch war. Zwei Tanzende im Kerzenlicht, gackernd wie aufgeregte Hühner. Und es kam wie es kommen musste, wir beide verloren das Gleichgewicht und fielen auf den harten Dielenboden, was uns beide nur noch lauter lachen ließ.

Schnaufend stützte ich mich neben seinen Kopf ab. Tränen vom Lachen tropften auf sein Gesicht und vermischten sich mit den seinen. Ich konnte nicht sagen, wie lang ich auf ihm lag und wir einander einfach nur in die Augen schauten. Wir verloren uns in den Blicken des anderen, versanken in den unendlichen Tiefen des Seins. Tiefer und tiefer. Unsere Herzen schlugen wie eins. Unser Atem hatte den gleichen Rhythmus. Unsere Körper leben im Einklang und unsere Gedanken waren so frei, dass sie aus unseren Köpfen schwebten, hinaus in die weite Welt. Dabei hatten wir sie nicht einmal gehört, bevor sie fort flogen.

Und seine Worte zerbrachen das Schweigen, das keinesfalls unangenehm war.

„Ich liebe dich, Äffchen."

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt