„Hast du eigentlich viel Sex?" Ich drehte meinen Kopf nach rechts, sodass ich sein schönes Profil betrachten konnte.
„Hä?" Er drehte seinen Kopf ebenfalls, erwiderte meinen Blick. Seine Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen.
„Hast du viel Sex?" Ich drehte mich komplett auf die Seite. „Mit irgendwelchen Mädchen. Auf Partys. Keine Ahnung."
„Hm... nö. Wie kommst du darauf?"
„Du gräbst jeden heißen Hintern an."
Er lachte auf. „Das heißt ja aber nicht, dass ich gleich Sex mit jeder Schnalle hab, die ich angrabe. Oder es versuche."
„Du wirkst aber wie jemand, der öfter sowas wie One Night Stands hat."
Er drehte sich ebenfalls auf die Seite. „Ich hatte vielleicht einen. In meinen ganzen Leben. Eine Weile hatte ich sowas wie Freundschaft Plus mit einer süßen Lady. Eine wirklich gute Freundin. Immer noch. Aber das war eben nicht das, was mich irgendwie... keine Ahnung glücklich gemacht hat."
„Also bist du keine Jungfrau", kicherte ich.
„Natürlich nicht. Du etwa?" Er grinste mich an.
„Nö." Ich schüttelte den Kopf. „Also hast du meistens nur Sex mit jemandem, mit dem du zusammen bist?"
Er nickte. „Ich hatte bis jetzt zwei feste Freundinnen. Und insgesamt hab ich mit vier verschiedenen Menschen geschlafen. Vielleicht fünf."
Ich nickte leicht.
„Und du?"
„Hä?"
„Was ist mit dir?" Er stützte seinen Kopf auf und nahm einen Schluck von seinem Bier, das wohl inzwischen echt scheiße schmeckte. „Beziehungen? Dein erstes Mal? Es interessiert mich."
Ich drehte mich wieder auf den Rücken und sah an die fremde Zimmerdecke. Die Musik dröhnte bis hierher. Wir lagen gemeinsam auf einem Bett, von dem ich nicht wusste, wer normalerweise darin schlief. Dieses Haus hatte keine Badewanne. Deshalb diesmal ein Bett. Ich stellte meine Bierflasche auf meine Stirn, versuchte sie zu balancieren, was natürlich nicht funktionierte, was bedeutete, dass ich mir den letzten Schluck Bier über schüttete.
Ursus lachte. „Du Genie!"
Ich grunzte, setzte mich etwas auf. Die Bierdusche machte nichts. Das lag wohl aber daran, dass ich bereits genug von dem Zeug in mich hinein geschüttet hatte. „Also ich hatte eine Beziehung. Bis jetzt. Und mit dieser Person hatte ich auch mein erstes Mal."
„Warum seid ihr nicht mehr zusammen?"
„Weil wir beide erstmal mit uns selbst klar kommen mussten, um mit dem anderen klar zu kommen. Weißt du... ich hab innerliche Kämpfe zu kämpfen. Und er wahrscheinlich noch mehr, die ich eben nicht verstehen kann. Versteh mich nicht falsch, ich mochte ihn wirklich."
Nun setzte sich der Kerl neben mir ebenfalls auf. „Er?"
Ich nickte leicht. „Also naja... auf jeden Fall... also... an sich ist er ein Mann. Oder ein Junge oder wie auch immer. Aber wir hatten keinen Sex, wie eben zwei... biologisch vollständige Männer miteinander Sex hätten."
Er brauchte wohl einen Moment. „Also ist er Trans? Oder du?"
Ich wedelte leicht mit der Hand. „Ich bin nicht Trans."
„Das muss scheiße sein. Also ich meine... quasi im falschen Körper zu sein."
Ich nickte. „Weißt du, deshalb meine ich ja... Ich versteh nicht, was in ihm vorgeht und ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann. Und genauso weiß er nicht, was in mir vorgeht. Es war zu kompliziert. Irgendwie. Aber ich bereue nichts. Weder die Beziehung noch die Trennung. Weißt du?"
Er nickte wieder, sah mich einfach an. „Hätte ich nicht gedacht."
„Hä?" Das war irgendwie zu unserem Ding geworden. Hä. Ich mochte das. Egal wie dämlich es klang.
„Na ja dass du nicht... hetero bist? Keine Ahnung."
„Also erstens finde ich es unglaublich unnötig, dass alles einen Namen hat. Also wieso musst du dich festlegen, ob du homo oder hetero bist? Oder trans oder wie auch immer. Und zweitens... ich steh auf alternative Ansichten der Dinge. Scheiß auf Scheuklappen und Zwangsjacken. Ich esse, was ich will. Ich ziehe an, was ich will. Ich zeichne, was ich will. Ich bin, was ich will. Und ich liebe, wen ich will. Scheiß auf die Meinung anderer."
„Irgendwie sind alle Künstler ein wenig... alternativ oder?" Er schmunzelte.
Ich nahm die volle Bierflasche, die ich mitgenommen hatte und öffnete sie mit seinem Feuerzeug. „Das weiß ich nicht." Ich nahm einen Schluck. „Legst du dich denn fest, dass du ausschließlich mit Frauen zusammen sein willst?"
Er schüttelte den Kopf. „Bisher hab ich mich zwar nur zu Frauen hingezogen gefühlt, aber wer weiß denn, was noch so kommt?"
Mir wurde ganz warm. Lag wohl am Alkohol. Oder doch an seinen Worten? Ich lächelte ihn an. Er erwiderte es.
„Ursus?"
„Simia?"
„Hast du jemals einen Typen geküsst?"
Er schüttelte den Kopf. „Glaub nicht."
„Willst du?" Ich sah ihn an. Angetrunkener Mut.
„Aber... aber meine Mami hat gesagt, Jungs küssen keine Jungs." Das sagte er so niedlich wie ein kleines Kind.
Seine Lippen fühlten sich so gut an. Warm und weich. Und dennoch ein bisschen zu trocken. Er schmeckte nach Bier und Zigaretten. Eine hässliche Mischung, die in jener Nacht so geil schmeckte. Schwere Zungen vom Alkohol. Es war ein einziger Kuss. Er bedeutete nichts. Weder für ihn, noch für mich. Und es war ein gutes Gefühl, zu wissen, dass dieser Kuss im Suff nichts zwischen uns ändern würde.
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Ursus [boyxboy]
Romantizm„Wieso sprichst du ihn nicht einfach an?" „Er will sicher keinen Typen. Schon gar nicht einen, der im Rollstuhl sitzt. Sieh mich doch an." „Gut, dann zeichne ihn halt für den Rest deines Lebens nur in dein Skizzenbuch ohne je ein Wort mit ihm gewech...