Fliegen

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Sekunden. Mit ihm.
Minuten. Mit ihm.
Stunden. Mit ihm.
Tage. Mit ihm.
Wochen. Mit ihm.
Monate. Mit ihm.
Jahre. Mit ihm.

Die Zeit, die ich mit ihm verbrachte flog so schnell an mir vorbei. Es war, als würde ich träumen. Jeden Augenblick aufwachen. Aber es war kein Traum. Er existierte wirklich. Dieser Mensch, der meine Zeit rennen ließ. Dieser Mensch, der mich lehrte zu fliegen. Wir flogen gemeinsam.

Ich kannte seinen Namen. Sein Hauptfach. Seinen Großvater, der mir einen Gehstock geschnitzt hatte, obwohl er mich zu diesem Zeitpunkt noch nie getroffen hatte. Sein Alter. Seine schlechtesten und seine besten Witze. Die Worte, die er am häufigsten sagte. Seine Freunde. Die guten Dinge, die er getan hatte, die schlechten und die peinlichen. Seine Lieblingslieder. Lieblingsorte. Seine Wünsche und Träume. Zukunftspläne, sofern er welche hatte. Seine Lieblingseissorte. Die Hose, die er am liebsten trug und viel zu selten in die Wäsche warf. Das Feuerzeug, das seit Jahren nicht funktionierte, er aber trotzdem aufhob, weil er es schön fand. Alle Bücher in seinem Regal.

Ich kannte jeden Millimeter seines Körpers. Jede Narbe. Jeden Leberfleck. Jede Sommersprosse. Jede Falte seiner Hände, ich sah sie mir so gern an. Jede ach so empfindliche Stelle. Das Gefühl seiner Lippen auf meiner Haut, seiner Hände. Seine Stimme, ich würde sie überall heraushören.

In den letzten Jahren hatte ich so viel über ihn erfahren. Und obwohl ich oft das Gefühl hatte, ihn bereits zu kennen, lernte ich wieder neue Dinge über ihn.

Er wusch die schwarze Farbe aus meinem Leben. Er zog mich aus jeden auch so tiefen Loch. Er übernachtete heimlich bei mir im Krankenhaus. Er half meiner Mutter, als ich es nicht konnte und wurde der Held meiner kleinen Schwester, weil er mein Held war.

Mein Herz hämmerte, wenn ich ihn sah, ihn hörte, ihn spürte oder nur an ihn dachte.

Seine Hand glitt durch meine braunen Haare. „Woran denkst du?"

„Ans fliegen..." Ich öffnete meine Augen und sah Ursus an. „Und an dich."

„Wieso ans fliegen?"

„Weil ich das laufen vielleicht irgendwann aufgebe und zum fliegen brauche ich meine Beine nicht."

„Hmm... sag so etwas nicht..." Er zog mich enger an sich.

„Warum?"

„Weil ich deine Beine sein werde. Ich trage dich überall hin. Egal wie weit. Solange du es zulässt..." Er gähnte herzhaft und kuschelte sich enger an mich.

„Wieso bist du so?"

„Hä?" Er schmunzelte mich müde an.

Ich musste lachen. „Hä?", äffte ich ihn nach.

Er knipste umständlich das Licht aus. „Gute Nacht, Mika", flüsterte er.

„Nenn mich nicht so..."

„Wieso? Du heißt so. Mika."

„Weil es aus deinem Mund total verboten klingt..."

„Wieso bist du so?", stellte er die Gegenfrage.

Sekunden. Minuten. Stunden. Tage. Wochen. Monate. Jahre. Die Zeit mit ihm verging wie im Fluge. Aber das war okay, denn wir flogen gemeinsam. Weiter und weiter. Bis ans Ende. Der Welt? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt