Ernste Gespräche

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„Es ist bestimmt nur Einbildung... das geht wieder weg", versuchte ich mir selbst einzureden, während ich erschöpft in meiner Küche am Tisch saß und meinen fünften Kaffee trank, der wie die letzten vier rein gar nichts bringen würde. Seit Tragen wir ich total schlapp und erledigt und konnte mich zu nichts aufraffen. Das Summen in meinem rechten Arm war mal da und mal nicht. Mal hatte ich mehr Gefühl darin, mal weniger. Trotzdem war es beunruhigend.

„Ich bin trotzdem der Meinung, dass du ins Krankenhaus solltest. Nur zur Sicherheit. Wenn es falscher Alarm ist, dann fährst du einfach wieder nach Hause." Yannik setzte sich mir gegenüber.

„Ich will aber nicht ins Krankenhaus." Stur starrte ich in meine Tasse, umklammerte sie fester mit meinen Händen.

„Ich weiß, Mika." Mein bester Freund räusperte sich, was aber nichts an seiner immer heiseren Stimme änderte. „Aber..."

Ich unterbrach ihn. „Nichts aber! Ich will nicht und Punkt!"

Yannik beugte sich zu mir vor und schnipste mir gegen die Stirn. „Dein Dickkopf macht es nicht besser. Das weißt du ganz genau. Und dir sollte klar sein, dass es nur schlechter wird, wenn du dir nicht eingestehst, dass es eben wieder so weit ist. Du kennst deinen Körper am besten. Du weißt, wie sich deine Krankheit bei dir auswirkt. Was neu oder was inzwischen normal ist. Natürlich kann ich nicht wissen, wie du dich dabei fühlst. Ich kann nicht sagen, dass ich dich verstehe. Das will ich auch gar nicht. Aber verdammt, Mika, ich mach mir Sorgen um dich."

Ich biss die Zähne zusammen. Deswegen wollte ich es niemandem erzählen. Es wurde zu greifbar. Zu real. Zu wenig wie ein schlechter Traum.

„Wenn du magst, kann ich auch deiner Mutter Bescheid sagen", bot er mir an.

Leicht schüttelte ich den Kopf. „Ich mach das schon..." Ich hatte ihr versprochen, sie anzurufen, wenn ich einen Schub bekam. Der letzte war einige Zeit her und ich war so froh darüber. Doch vor kurzem hatte ich so ein komisches Gefühl gehabt. Sowas wie eine Vorahnung und danach ging es mir schlechter.

„Sag mal, hast du... wie nennst du ihn immer? Ursus? Hast du Ursus davon erzählt?" Yps nahm einen Schluck von seinem Tee, betrachtete mich. Er konnte so cool tun wie er wollte, ich sah in seinem Blick, wie sehr er sich sorgte. Auch wenn meine Symptome vielleicht sogar nichts in meinem Leben verändern würden, machte es ihn fertig, wenn meine Krankheit wieder präsent war.

Leicht schüttelte ich den Kopf. „Er könnte es höchstens ahnen. Aber was ich jetzt genau hab, weiß er nicht. Also ich hab es ihm nicht gesagt."

„Und warum?"

„Na ja wir kennen uns erst so kurz. Ich will nicht, dass er mich deswegen vielleicht anders behandelt oder so... Keine Ahnung. Vielleicht würde es ihn verschrecken...? Dabei verstehen wir uns so gut..." Ich biss mir auf die Unterlippe.

„Aber irgendwann solltest du es ihm sagen. Glaub mir, er macht sich echt Gedanken."

„Meinst du wirklich?"

Mein Freund lachte auf. „Aber hallo. Er ist mitten in der Vorlesung zu dir gefahren, als ich meinte, dass es dir nicht so gut geht."

Ich zog meine Schultern hoch. „Wir sind halt Freunde...?" Ich lächelte verlegen.

Yannik stützte seinen Kopf, sah mich mit diesem komischen Grinsen an. „Freunde?"

„Ja, wir sind nur Freunde!" Ich trank einen Schluck Kaffee. „Und das ist auch gut so. Denke ich."

„Aber du stehst auf ihn."

„Bohr doch weiter in der Wunde. Arschloch." Ich zeigte ihm meinen Mittelfinger. „Aber ich will halt nichts überstürzen. Ich will ihn erstmal kennenlernen. Vielleicht mag ich ihn ja doch nur als einen Freund? Und nicht mehr? Ich weiß es nicht. Das spielt ja auch keine Rolle. Ich mag, was da zwischen uns ist."

Noch immer dieses Grinsen seinerseits. „Das ist doch schön."

Ich nickte und sah zu meinem Handy. „Ich glaub... ich sollte doch im... Krankenhaus anrufen." Ich nahm mein Mobiltelefon.

Yps klopfte mir auf den Oberarm. „Es ist besser so, hm?" Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln.

Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, wandte ich mich wieder an meinen Kumpel. „Kannst du mich hinfahren?"

„Klar."

„Und... kannst du schon mal ein paar Sachen für mich packen? Ich würd dann einmal mit meiner Mum sprechen."

Er erhob sich von seinem Stuhl. „Ja, mach ich. Lass dir Zeit." Er stupste mich an.

Ich atmete tief durch, fuhr mir über das müde Gesicht, ehe ich die Nummer meiner Mutti wählte.

‚Ja, hallo?'

Ich schluckte schwer, als ich ihre Stimme hörte. Wir sprachen inzwischen so selten miteinander.

„Mama, ich bin's." Ich konnte nicht vermeiden, dass meine Stimme zitterte.

‚Mika, Spatz, wir haben ja lange nicht mehr geredet! Wie geht es dir? Klappt alles in der Uni?'

„In der Uni ist alles toll, Mama." Ich fuhr mir über die Augen, in denen meine Tränen brannten.

‚Das hör ich doch gern.'

Stille.

‚Spatzi, was ist los?' Sie wusste schon immer, wann es mir schlecht ging.

Ich holte tief Luft. „Mama, ich geh ins Krankenhaus."

Stille.

„Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich ein Schub ist. Aber es ist glaub ich besser. Aber mach dir keine Sorgen, okay? Yannik fährt mich und sobald ich mehr weiß, ruf ich wieder an, okay? Hast du gehört, Mama?"

Ich wusste, wie sehr es sie mitnahm. Jedes Mal. Ich wusste, dass sie weinte. Auch mir liefen stille Tränen über die Wangen.

‚Okay, mein Spatz.' Sie schniefte. ‚Chris und ich kommen dich besuchen, ja? Du bist nicht allein.'

„Ich weiß, Mama."

Ursus [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt