26« Tears

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Mit Jane zersplitterte auch das letzte Stück meines Herzens in tausend Teile und verteilte sich in einem Haufen aus Tränen um mich.
Es war, als würde ich mir in all der Trauer selbst die Luft zum Atmen nehmen und daran trotzdem nicht ersticken.
Aber genau das wollte ich mit jedem Tag mehr, den ich ohne sie war. Ich wollte sterben und mich neben sie in den Sarg legen, der soeben in die Erde niedergelassen wurde. Ich wollte immer noch mit ihr tauschen, ihr ein besseres Leben ermöglichen und sie zu mir zurückholen.

Der Gedanke, dass ich sie gestern das letzte Mal gesehen hatte, war mir erst später gekommen. Als ich sie auf der Liege hatte liegen sehen und mit meinen Fingern hauchzart ihre blasse Haut entlang gefahren war, ihre rötlichen Lippen berührt und ihr einen Kuss in die krausen Haare gedrückt hatte, war ich zu eingenommen und stolz auf sie gewesen, als dass ich hätte weinen können.

Ein Lächeln hatte meine zittrigen Lippen erbeben lassen und ich hatte mich langsam damit angefreundet, dass diese Welt einfach nicht die Richtige für Jane gewesen war. In ihrem zweiten Leben würde es ihr besser gehen.
Sie wäre bei Mum und Dad, würde beide wieder in die Arme schließen können und vielleicht, vielleicht dachte ich, würde sie, wie ich damals, morgens das Haus verlassen und Grandpa in seinem Schaukelstuhl winken sehen.
Jane hatte sie alle wieder bei sich, das wusste ich. Darum trauerte ich auch nicht für sie.

Ich trauerte um meine Sehnsucht nach ihr, über das auf Wiedersehen, bei dem ich noch nicht wusste, wann mir der Zeitpunkt gegeben war und wir uns wirklich wiedersehen würden. Jane hatte immer verlangt, dass ich für sie das Leben lebte, das ihr nicht gegeben war. Ich sollte mich endlich uneingeschränkt bewegen und wieder das tun, was nach meinem Belieben war.

Mit Jane hatte ich auch die letzte Verwandte an eine Krankheit verloren. Meine Eltern waren beide Einzelkinder und meine Großeltern waren vor mir oder während meiner Kindheit gestorben. Sie alle hatte ich an eine Krankheit verloren, sie alle waren gegangen.

Nur ich war noch hier.
Ich saß als Einzige noch auf dem nassen Gras des Friedhofs und starrte auf den Grabstein meiner Schwester.
Nur ich lag noch nicht todkrank auf einer Liege und zählte meine Tage.

An Tagen, wie ihrer Beerdigung, dachte ich, wie unfair diese Tatsache war. Wie konnte es sein, dass ich noch immer hier war, gesund, und sie alle bereits weg waren? Wie konnten sie mich allein lassen? Wieso nahm man mir jeden Menschen, der mir lieb gewesen war?

Meine Mutter, die immer eine Schwäche für rote Kleider gehabt und sie immer und überall getragen hatte.
Meinen Vater, der morgens nie ohne eine warme Milch, die man eigentlich heiße Milch hatte nennen müssen, weil er sich jeden Tag an der Tasse seine Zunge verbrannt hatte, das Haus verlassen hatte.
Meinen Grandpa, der es liebte seinen Garten zu pflegen und in seinem Schaukelstuhl zu sitzen.
Meine Grandma, die bis zu ihrem Tod vergeblich versucht hatte dem Klischee zu entsprechen und mir einen Schal zu stricken.

Sie alle waren jetzt an jenem Ort, den die Gläubigen den Himmel nannten. Sie alle sollten laut den naiven Verheißungen der Menschen nun ihren Seelenfrieden gefunden haben, der ihnen auf der Erde nicht gegeben war.
Einsilbig gesagt: Sie waren alle tot.

Ich hatte meine gesamte Familie an den Tod verloren und stand selbst quicklebendig auf dem Friedhof und starrte auf ihren Namen.
Vor vier Tagen war Jane gestorben und es waren die schlimmsten Tage meines Lebens. Zu sehen wie ihr lebloser Körper in einen unbeweglichen Schlaf gefallen war und sie niemals wieder daraus aufwachen würde, meine Hand drücken würde, mir sagen, dass alles gut würde. Niemals wieder.
Niemals.

Dieses Wort ließ den Damm meiner Tränen erneut brechen und ich schlug mir eilig die Hand vor den Mund um nicht laut loszuschreien und zu wimmern, wie ich es die letzten Tage getan hatte. Die Liebe zu meiner Schwester war so unendlich aufrichtig, dass ich nun bis in die Unendlichkeit trauern würde.

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