45« Davis

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Wie war es möglich von heute auf morgen sein gesamtes Lebensziel zu verändern?
Wie war es möglich, dass nur ein einziger Mensch von einer Sekunde auf die andere in der Lage war, das Leben eines anderen komplett über den Haufen zu werfen?
Wie war es möglich sich jeden Morgen aufs neue zu verlieben?

Seelenruhig lag ihr Kopf an meine Handfläche gelehnt. Über die Nacht hinweg hatte sie leicht gesabbert, aber das störte mich nicht.
Ihre satten Haare waren wild um das Kopfkissen verstreut und bedeckten meinen Arm bis hoch zur Schulter. Es störte mich nicht.
Die Bettdecke hatte sie im Laufe der Nacht von sich getreten und bis zum Fenster katapultiert. Später war ihr kalt gewesen und sie hatte sich mit unter meine Decke gekuschelt und damit ganz automatisch auch meine Betthälfte geteilt. Es störte mich nicht am Bettrand zu liegen und bei jeder nächsten Bewegung vom Bett zu fallen.
Mich störte gar nichts.
Nicht mehr, seit dieser Engel sich 'meine Freundin' nannte.
Nicht mehr, seit sie in mein Schlafzimmer, in mein Penthaus, gezogen war.
Nicht mehr, seit ich sie küssen konnte, wann und wo ich wollte, eifersüchtig sein und Männer, die es auch nur wagten sie anzugaffen, verprügeln und jeden Tag mit ihrem Lächeln gesegnet werden durfte.

Seit wir zusammen waren, galten ihre magischen Lippen nur mir. MIR!
Es war Glück, ungeheures Glück, dass in meinem Innersten rumorte und anschwoll, wenn Tears mich anlachte, wie ich es mir immer gewünscht hatte.
Ihr selig schönes Lächeln galt endlich auch mir.

Es gab nichts Schöneres, als sie glücklich und zufrieden zu sehen. Ich wusste, die Welt war ein Stück besser geworden, wenn Tears lächelte. Ich war süchtig nach ihrer Freude. Meiner Meinung nach, sollte sie den ganzen Tag über lachen. Nichts stimmte mich besser.

Genau darum war ihr Gelächter auch mein Klingelton geworden. Wenn mich ein Anruf erwartete, bei dem ich bereits wusste, dass er mir hinterher schlechte Laune machen würde, war es gut, unmittelbar vorher noch etwas Schönes gehört zu haben.

Tears war wunderschön.
Meine Augen galten nur noch ihr. Ich dachte an nichts anderes mehr, als sie und ihr liebliches Gesicht. Es fiel mir schwer mich zu konzentrieren, wenn ich wusste, dass sie zu Hause auf dem Sofa lag, tief in ein Buch oder ihre Klausurbögen versunken war und leise zur Musik summte, die sie von ihrem Smartphone über die Lautsprecher durch die Wohnung schickte.

Es verging kein Tag, an dem wir nicht zu zweit wild durch die Wohnung tanzten und all unseren Stress ausließen, bis wir abends auf der Terrasse landeten und unsere Körper vom Regen komplett durchnässen ließen.

Wir liebten den Regen.
Wie waren verliebt in kleine, scheinbar unbedeutende Tropfen Wasser, die uns doch so viel bedeuteten, als bedeutungslos zu sein.

Regen bedeutete Heimat.
England war ein Ort der Erde, der mir manchmal doch viel zu weit entfernt schien.
Ich hatte als junger Erwachsener nichts lieber gewollt, als von dieser Insel herunterzukommen, aber heute sehnte ich mich doch ab und zu nach meinen Eltern und den Tagen, die ich in dem kleinen, unscheinbaren Reihenhaus verbracht hatte.
Als ganz normaler Mensch.

Tears liebte den Regen.
Er bedeutete für sie alles, was man ihr über Jahre hinweg genommen hatte und das war eine Menge.
Ihre Familie, ihr Wohlgefühl, ihre Hoffnung, ihre Schwester, ihren Komfort, ihr Zuhause, ihr Lächeln, ihr Glück.

Wenn es regnete, dann bekam sie all das zurück. Sie wusste, dass Jane auf einer dunklen Wolke tanzte und auf sie hinabsah, frech lachend und auf ihren Kopf spuckend.
Das war alles, wonach sich Tears sehnte. Dass es ihrer Schwester gut ging. Mehr hatte sie nie verlangt und mehr würde sie auch in Zukunft nicht verlangen.
Nur das Wohlbefinden, der Menschen, die es geschafft hatten, ihr Herz zu besetzen.

In einem Punkt war ich mir sicher. Tears selbst hatte es in jedem Falle in mein Herz geschafft. Ohne Hindernisse hatte sie sich in mein tiefstes Innerstes zurückgezogen und dort alles auf den Kopf gestellt. Ich liebte ihre Unordnung und ich war verliebt in die Tatsache, dass dieses Chaos offiziell war.
Ich durfte Tears lieben und ich konnte es ihr jeden Tag ins Ohr flüstern.

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