12« Tears

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Für einen kurzen Augenblick schloss ich die Augen und erlaubte mir zu genießen, was um mich war.
Der sündhafte Geruch von frisch gepressten Orangen und Rotwein lag in der Luft und das Klirren von Gläsern schwirrte um mich.
Menschen redeten.
Menschen lachten.
Menschen aßen.

Es war warm. Die gelblichen Energiesparlampen an der Decke tauchten das Lokal in ein gemütliches Dämmern. Von draußen schien Dunkelheit durch die Panoramafenster, doch von der kalten Nacht war drinnen nichts zu spüren.

Ich lächelte, als ich die zufriedenen Gesichter der Gäste überflog und sie alle in den Genuss eines guten Abends zu sein schienen. Niemand wirkte ärgerlich und mit niemandem hatte ich Stress.

»Es tut gut, wenn gerade mal niemand etwas zu meckern hat, oder?«
Tonys Stimme drang nah an mein Ohr und ich nickte, während ich meinen Kopf in seine Richtung drehte.
Leichter Schweiß perlte von seiner Stirn und als Kellner hatte er den deutlich schwierigeren Job von uns beiden.

Ständig hatte er sich Meinungen und Kritiken anzuhören und wurde von hier und da zu sich gerufen. An einem vollen Abend, wie diesem Sonntag, lief er mehr als bei einem Marathon. Es war manchmal zum Verrücktwerden.

»Ja, diese seltene Ruhe muss man genießen.« Er nickte und lächelte mich aus warmen braunen Augen an. Ich lächelte zurück. Tony war ein guter Mensch. Ein Freund.  Jemand, mit dem man sich gerne unterhielt. Nicht über das Leben, sondern über die Welt - über belangloses.
Neben ihm fühlte man sich auf eine ganz besondere Art lebendig und ich mochte wie offen und ehrlich Tony mit Menschen war. Er lebte unbeschwert - problemlos - und manchmal wünschte ich, dass auch mein Leben so leicht wäre.

»Du siehst müde aus«, stellte er fest und betrachtete mich neutral. Seine Augen zeigten seine offene Seele und ich wollte mich einen Moment verlieren, doch es gelang mir nicht. So gerne ich Tony hatte, in seinen Armen konnte ich mich nicht vollkommen fallen lassen. Es war nicht dasselbe.

»Sehe ich schlimm aus? Die letzten Nächte lag ich tatsächlich quicklebendig wach«, gestand ich und senkte meinen Blick für einen Moment. Was in mir vorging, war wirklich ermüdend, aber ich wollte nicht schlafen.
Ich konnte mich nicht neben Jane ins Bett legen und träumen, meine Angst war zu groß.

Ich wollte nicht schlafen und ihre Seele ohne weiteres gehen lassen.
Letztendlich würde ich es nicht kontrollieren können, doch ich mochte nichts unversucht lassen.
Jane ging es die letzten Tage schlechter, aber heute Morgen schien sie wieder einigermaßen gut auf den Beinen, dass sie sogar voller Eifer zu backen begonnen hatte.

Pancakes und Waffeln standen mit geschmolzener Schokolade auf dem Tisch und wir beide hatten es uns bis in den Nachmittag hinein gut gehen lassen.
Mit einem knalligen Rot hatte Jane meine Fingernägel lackieren dürfen und ich hatte mich sogar für eine merkwürdig schwarze Mitesser-Maske geopfert.
So hatten wir beide uns also tatsächlich einen klischeehaften Mädchentag zuhause gemacht, mit dem schwarzen Gebräu im Gesicht auf dem Sofa gelegen, und uns Filme mit Emma Stone angesehen.
Jane liebte Emma Stone. Sie war ein richtiger Fan und guckte jeden vorhandenen Film mit ihr.
Mein Lieblingsfilm war Spider-Man, dabei mochte ich den Film eher wegen des Inhalts.
Dass Emma Stone in den Anfängen die Freundin des Helden spielte, war mir dabei egal. Jane nicht. Sie guckte Filme nur wegen der Schauspieler. Eine Sache die uns beide in Meilen schied.

»Du siehst nicht schlimm aus, nur müde, keine Sorge.« Tony zwinkerte einmal und ich boxte ihm dafür auf die Schulter. Mir war klar, was für Absichten er hatte und seine Gedanken waren leicht aus seinem Blick zu interpretieren.

»Ich habe mich für niemanden schick gemacht heute und ich muss auch für niemanden aussehen«, stellte ich augenrollend klar und begann zu lachen.
»Nicht einmal für mich?« Er machte einen Schmollmund.
»Für dich erst recht nicht.«
Er schnappte empört nach Luft und kniff mir dann in die Seite. Ich begann aufzulachen und genoss unsere Sekunden der Witzelei.
Unbeschwert - so hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt, aber auch heute war es nur eine Illusion.

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