»Epilog || Tears Brief«

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Ich widme diesen Brief einem Mädchen, das mir alles bedeutet.
Ich weiß gar nicht, was ich ihr schreiben will.
Ihr Brief ist der Letzte.
Ihr Brief ist der Wichtigste.

Liebe Hanna, dieser Brief geht an dich.
Die ersten Zeilen gehören dir, denn du bist damals immer meine Hanna gewesen.
Ich hoffe du weißt, dass du viel mehr als nur meine Schwester gewesen bist.
Du warst nie einfach nur meine Schwester. Du warst ein Grund am Leben zu bleiben und wir beide wissen, wie kostbar das Leben ist.

An stürmischen Regentagen, wenn Blitze durch die Luft funkelten, warst du mein Sonnenschein.
Du weißt, ich hasse Gewitter.
Ich habe Angst, wenn es donnert, aber du ... du warst immer schon mutig, hast dich sogar getraut, unter der Decke hervorzukriechen und aus dem Küchenschrank Taschenlampen zu holen.
Du warst meine Heldin.

Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, an Mama und Papa denken musste oder einfach schlecht geträumt hatte, warst du wie Balsam, der sich um meine Seele legte und sie zur Ruhe brachte. Der Schlaf hat mir so manches Mal alle Nerven geraubt. Du weißt wohl am besten, dass ich es immer gehasst habe, meine Augen zu schließen.
Ich wollte nichts verpassen.
Kaum hatte ich schlecht geträumt, warst du da.
Du hast immer gewusst, wann ich eine Tasse Kakao brauchte und wann lieber nur eine Umarmung mit feuchten Küssen auf der Wange.

Du kennst mich auswendig.
Du kanntest mich immer in- und auswendig.
Ich habe dich bewundert, für alles, was du wusstest.
Du warst mein Vorbild.
Du hast mir so viel beigebracht, mich so viel gelehrt und nur deinetwegen bin ich überhaupt in der Lage dir in krakeliger Schrift mitzuteilen, dass ich dich bis ans Ende dieses Weges liebe.
Ich liebe dich.

Liebe Schwester, du bedeutest mir alles. Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Ohne dich wäre ich nie bis hier hingekommen. Nur dank dir, habe ich so lange leben können. Du bist meine Atemluft gewesen und heute, mit diesem Brief, gebe ich dich ein für allemal wieder frei.
Du bist frei.

Als ich krank wurde, dachte ich, dass ich schon am nächsten Morgen nicht mehr würde gehen können und mein Testament mit elf Jahren zu schreiben hatte.
Du weißt gar nicht, wie viel Angst mir die vielen Arztbesuche und Untersuchungen gemacht haben. Jedes Mal, wenn ich wieder vor dem riesigen Gebäude stand, überschlug sich mein Herz und drohte mir wegzurennen. Ich dachte manchmal, ich würde vor lauter Aufregung sterben, aber so weit ist es nie gekommen.
Denn du warst da. Immer. Du warst immer da und ich werde nie richtig zu schätzen wissen, wie dankbar ich dir dafür bin.

Damals, am Strand, da hättest du mich einfach wieder wegbringen können.
Du hättest bleiben und so lange warten können, bis man mich wieder abgeholt hätte, aber du bist gegangen.
Du hast deine Schmerzen hinter eine riesige Verantwortung und Last geschoben und bist mit ihr – mit mir – fortgegangen.
Du hättest Mum und Dad damals nicht verlassen müssen, aber du hast es getan. Für dich selbst, aber in erster Linie auch für mich.

Du wolltest mich bei dir haben. Du wolltest mich nicht alleine lassen, wolltest mir ein Leben bieten, mich aufwachsen sehen, mich aufziehen und so weiter machen, wie viele Jahre zuvor. Du hast nicht aufgegeben. Nicht mal dann, als alles wie aufgegeben schien. Du hast dich durchgekämpft. Durch all die Schmerzen, Tage, Jahre, Tode und Probleme.
Du hast nicht aufgehört zu leben, zu kämpfen, zu überstehen.

Und sieh dich um. Sieh dir an, was du geschafft hast. Du bist so weit gekommen.
Ich glaube, du siehst gar nicht, wie weit.
Ich bin so unglaublich stolz auf dich. So stolz, auf unsere kleine Wohnung in der dreckigsten Straße in Seattle.

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