☽- ❞Karfunkel Saga❝ - ☾
XÜber den Wohnzimmertisch, der einige Meter entfernt vom Kamin stand, verteilte Priya die aus ihren Ketten gelösten Zaubersteine. Die rot- orangenen Steine wurden von weiß gebänderten Ringen umkränzt, die den Gesteinen eine faserige Form verliehen. Umso intensiver die rötlichen Farbentöne des Steins ausfielen, desto höher war der Anteil des magischen Eisens, das dem Frostritter zum Verhängnis werden würde.
Mit größter Präzision arbeiteten sie die geschliffenen Steine in einen der Dolche ihrer Mutter ein, um ihn mit der schützenden Magie zu benetzen. Wie honigfarbene Wachstropfen hefteten sich die Steinfragmente aneinander und verschmolzen unter der Hitze des Kaminfeuers allmählich mit dem Metall des Dolches. Zufrieden lächelte Koralie. Soeben hatten sie die ultimative Waffe gegen einen Frostritter geschaffen.
Erleichtert atmete das Mädchen durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Koralies Wangen waren von der Arbeit mit schwarzem Ruß beschmutzt. Mit einem prüfendenden Blick spähte sie zu dem großen, gegenüberliegenden Fenster.
So unauffällig wie das stille Meer war die Nacht urplötzlich herangerückt. Jähzornige Sturmwinde erhoben sich und brausten ungezügelt über die friedlichen Lande, die allmählich in dem Schatten der Dämmerung versanken. Als Boten von Leid und Klagen riefen sie einen tiefschwarzen Himmelsqualm herbei.
Eilig rannte Koralie zur Haustür und öffnete diese mit voller Wucht. Ein eiskalter Luftzug schlug ihr ins Gesicht, während die jauchzenden Stimmen des Jenseits ihren Weg ins Haus fanden.
An der Lichtung erhaschte das Mädchen die nervös raschelnden Blätter und die hohen Laub und Nadelbäume, die sich willenlos in alle Richtungen senkten. Jegliches Glück war augenblicklich wie weggeblasen. Die Elemente der Natur gaben ihre Panik an das Kommende deutlich Preis. Der Wind, die Bäume und sogar die Blätter hatten ein Eigenleben erlangt.
»Wenn trüber Nebel aufzieht und junge Blätter fallen, so flieht Heim, ehe die Sinfonien des Wintertodes laut erschallen«, sagte Bamuti auf und kam an die Seite des Mädchens. Mit einem leicht geneigten Kopf linste sie zu dem Luchs hinab und schluckte schwer.
»Was soll das bedeuten?«, fragte sie verängstigt.
»Es ist ein kluger Rat, den wir heute jedoch gänzlich missachten werden.«
Der Wald hatte etwas Bedrohliches an sich in dieser stürmischen und gleichzeitig so unnatürlich nebelverhangenen Nacht. Koralies Körper wurde von einer Furcht erfasst, die sich nicht leugnen ließ. Während Bamuti seine Rolle als Köder einnehmen würde, indem er auf der von Schnee bedeckten Wiese auf den Ritter wartete, würde Koralie entlang der Hütte schleichen und sich ein sicheres Versteck suchen. Unterdessen löschte Priya jede Kerze im Haus und zog ihre Waffe. Ihre Erfahrung bei der Jagd würde ihr heute zugutekommen. Heute war ihre Treffsicherheit gefragter, als je zuvor.
Angespannt beobachteten Koralie und ihre Mutter den tapferen Luchs, der sich mitten auf der Schneefläche niederließ und unüberhörbare Laute von sich gab. Das Wesen wurde von dem hellen Schein seines Karfunkels umgeben, als befände er sich in einer mystischen Lichtkugel. Anmutig und unerschrocken saß Bamuti wie eine Sphinx erhaben an seinem Platz und hielt sein Haupt erhoben. So ein furchtloses Kerlchen, dachte sich Koralie.
Das Mondlicht vermochte es zwar nicht durch die Wolkendecke hindurch zu dringen, doch Koralie bemerkte dennoch, dass sich die Büsche im Dickicht ungewöhnlich stark bewegten. Die Schatten der Nacht schienen urplötzlich zum Leben erwacht zu sein. Wie erwartet kam eine Gestalt zwischen dem Geäst zum Vorschein. Es war der Frostritter.
Sein kreidebleiches Gesicht leuchtete geradezu in der Dunkelheit, so bleich war seine Haut. In der linken Hand hielt er einen großen Sack, während er mit der anderen Hand den Knauf seines glänzenden Schwertes stählern umklammerte. Selbst aus der Entfernung war sein hasserfüllter und todernster Blick zu erkennen, während er mit unbeirrbaren Schritten geradewegs auf den Luchs zumarschierte.
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Die Legende der Kronluchse | 1 ✓
Fantasy»Was sein soll, hat große Kraft.« - Feenhoheit Saahr Einst war Gehinna ein friedlicher Ort, an dem ein jeder willkommen war. Doch ebenso wie ein von Krankheit befallener Körper leidet, so litt auch der gewissenhaft bewahrte Frieden unter dem unsagba...