Die Legende der Kronluchse | 1 ✓

|1| Es war einmal | ✓*

☽- ❞Karfunkel Saga❝ - ☾
I

Ein sanfter Lichtschein brach am frühen Morgen herein und stieg langsam und bedächtig am Horizont, bis über die höchsten Spitzen der mit Schnee bestäubten Berge empor. Es war ein fesselnder Anblick, der dem Tag Leben einhauchte und ihn mit einem beschwingten Lächeln willkommen hieß.

Hoch oben am blauen Himmel zogen Lerchen und so manch andere Vögel ihre Kreise. Dabei zwitscherten sie muntere Melodien, welche die Schlafenden mit sanfter Güte aus ihren Betten lockten. Laue Frühlingsbrisen wirbelten zart Prachtlibellen durch die Lüfte und trugen das unbeschwerte Gezwitscher der Vögel bis vor die Fenster der vereinzelt stehenden Berghütten.

Nur eine Person war zu so früher Stunde schon munter und auf den Beinen, dass sie von dem Gesang der Vögel nicht mehr überrascht werden konnte. Koralie war es gewohnt jeden Tag sehr zeitig am Morgen aufzustehen. Sogar die Vögel ruhten zu so früher Stunde noch in ihren gemütlichen Nestern. Waren sie erwacht, summte das junge Mädchen im Einklang mit ihrem Gezwitscher fröhlich vor sich hin und bereitete sich in aller Ruhe für den anbrechenden Tag und die zu verrichtenden Hausarbeiten vor.

Sorgsam schüttelte sie die Decke ihres Bettes aus, bevor sie die zusammengefaltete Decke auf ihre Matratze legte und die weichen Federpolster aufbauschte. Der Lack des weißen Bettrahmens aus Schmiedeeisen blätterte bereits an vereinzelten Stellen ab und offenbarte das glänzende Metall darunter. Dennoch schufen die geschwungenen Linien ein elegantes Gesamtbild und stellten einen hervorragenden Kontrast zu den sanften Farben der Bettwäsche dar.

Neben dem Bett befand sich an beiden Seiten jeweils ein kleines Nachtschränkchen. Darauf fanden sich eine erloschene Kerze, Bücher und auch das ein oder andere Plüschtier hatte sich dort bereits einquartiert. Die altertümlichen Kommoden waren ebenfalls mit einem weißen Anstrich versehen und harmonierten dadurch ausgezeichnet mit dem Bettgerüst.

Mit einem tatkräftigen Seufzen wandte sich Koralie zu ihrem Eckschrank aus solidem Kirschholz. Als sie die nach vorne gewölbten Türen öffnete, strömte ihr ein blumiger Duft entgegen. Über der Kleiderstange des Kastens gab es nämlich ein weiteres Fach, in dem ein strohgewebter Korb mit einigen bunten Seifen darin stand. Koralie hatte sie vor einiger Zeit mit ihrer Mutter hergestellt. Sie betrachtete ihre Kleidungsstücke für einen Moment und traf anschließend eine Wahl. Das lange Nachtkleid wechselte Koralie gegen eine ihrer Tagesroben, die sie zur Arbeit trug.

Auf ihrem Weg in die Küche, kam das Mädchen mit dem goldenen Seidenhaar an ihrem Holzregal vorbei. Sachte fuhren ihre Fingerkuppen über die ledrigen Einbände der alten Bücher, während sie diese stolz betrachtete. Mit einigen der Schriften verband sie wunderschöne Erinnerungen. Ihre Mutter hatte ihr oft zauberhafte Märchen vor dem Schlafen gehen vorgelesen, an die sie noch heute gerne zurückdachte. An so gut wie jedem Plätzchen in der Hütte ihrer Mutter schufen sie sich schöne Erinnerungen, die Koralie stets ein Lächeln auf ihre Lippen zauberten und sie mit positiver Energie durchströmten. Allerdings hieß das nicht, dass sie ganz ohne Sorgen lebten.

Denn nicht unweit von ihrem kleinen Hof entfernt, hefteten sich gigantische Berge, welche zusammen ein gefährliches und äußerst heimtückisches Gebirge bildeten, dicht aneinander. Dieses von Frost und Schnee durchwaltete Gebirge war seit langer Zeit der einzige Schutzwall zwischen dem gemeinen Volk und dem gnadenlosen Reich der Frostmonarchin Skadi. Als Gebieterin über die winterlichen Nordlande heckte sie stets bösartige Pläne aus.

Kein Mensch wagte es sich einen Weg durch die von Gefahren übersäte Gebirgskette in Skadis Reich zu bahnen. Denn wer ihr liebloses Eiskönigreich erst einmal betreten hatte, kehrte meist nicht mehr zurück. Es war ein einsames und kaltes Reich, das von Furcht und Schrecken überzogen wurde. Kein Stern ruhte am Firmament, kein Mond erhellte die Lande und auch die Sonne vermochte es nicht durch die immerwährende, tiefschwarze Wolkendecke hindurchzudringen. Es war nur zu treffend, dass die Menschen diesem Reich den Namen »Lande der ewigen Finsterzeit« gegeben hatten.