Die Legende der Kronluchse | 1 ✓

|2| der schwarze Hengst | ✓

☽- ❞Karfunkel Saga❝ - ☾
II

Kraftvoll und trittsicher zugleich fegte Abraxas über die hügelige Graslandschaft, die sich zwischen Koralies Zuhause und der Stadt erstreckte. Mehrere Wegstunden legte sie bereits auf ihrem kohlschwarzen Rappen zurück und ritt dabei unermüdlich. In dieser Zeitspanne hätte das sie das Dorf schon längst erreichen und ihre Besorgungen tätigen können. Die große Stadt, in der sich alle guter Arbeit erfreuten, lag allerdings noch eine erhebliche Landstrecke weiter entfernt.

»Bald sind wir da«, sprach Koralie ihrem Pferd zu und streichelte über seinen einstweilen leicht verschwitzten Hals. Abraxas war ein gutes Tier. In der Vergangenheit hatte er sein Durchhaltevermögen, sowie seine Unerschrockenheit unzählige Male unter Beweis gestellt.

Koralies Mutter hatte den temperamentvollen Abraxas vor einigen Jahren um ihr gesamtes Erspartes von einem Händler aus den westlichen Graslanden erworben. Viele Interessenten boten damals schon vor dem offiziellen Verkauf hohe Summen für den vierjährigen Jungspund. Sie beabsichtigten das Tier an ihre Kutschen zu spannen, oder es als Streitross einzusetzen und es an diverse Ritter weiterzuverkaufen. Doch Priya wollte dem schwarzen Hengst, welchem sie den Namen Abraxas zudachte, ein gnädigeres Schicksal zuteil werden lassen. Er sollte dem zweckdienlichen Verkauf an einen Reiter der Kavallerie oder der harten Arbeit als Kutschenpferd edlerer Herren entgehen. Da die junge Mutter jedoch nicht die geringste Chance gegen ihre wohlhabenden Mitbieter hatte, bediente sie sich einer äußerst gewagten List.

Von einem Schneider aus der Umgebung lieh sie sich eine edle Robe und trug einen protzigen Kristallring, den ihr ihre Mutter einst vermacht hatte. In einer pompösen Aufmachung lief sie scheinbar zufällig noch vor der Auktion dem Händler über den Weg und kam mit ihm ins Gespräch. Sie schwärmte in den höchsten Tönen von dem jungen Ross, in das sie sich sofort verliebt hatte. Irgendwann schweifte sie zu ihrer Tochter ab und erzählte, dass diese bald einen angesehen Grafen aus den östlichen Landen ehelichen würde und sich zu diesem feierlichen Anlass kein weniger edles Ross, als diesen jungen Hengst wünschen würde. Sie spielte ihre Rolle so glaubwürdig, dass der Händler sich ganz und gar von ihr verzaubern ließ.

Als Priya dann fälschlicher Weise gestand, dass sie aufgrund zeitbedingter Umstände nicht bis zur Auktion bleiben könne, hatte der Händler gleich eine Lösung parat. Leutselig schlug er ihr vor den Hengst um einen erschwinglichen Preis zu erwerben, angesichts der glücklichen Vermählung ihrer Tochter. Priya willigte ein, woraufhin der Händler ihr den rassigen Hengst mit besten Glückwünschen überreichte und sie noch am selben Tag die Heimreise antrat.

Koralies Mutter hatte dieses Erlebnis schon des Öfteren stolz ihrer Tochter erzählt. Diese empfand das gefährliche Täuschungsmanöver ihrer Mutter als ebenso gewitzt wie tollkühn. Mit Abraxas hatte sie einen wahren Volltreffer gelandet. Nicht ohne guten Grund wurde der Rappe, wohin er auch kam, von einem jeden bestaunt.

***

Die pralle Sonne stand im Zenit als Koralie und Abraxas endlich an ihrem Ziel angelangt waren. Die Stadt. Nirgends herrschte mehr Betriebsamkeit als hier in Schilfsend. Kaum hatte Koralie den Blauen Strom über eine große Brücke passiert, befand sie sich schon inmitten des Geschehens.

Die Straßen waren mit beladenen Getreidekarren, Kaufständen und tüchtigen Arbeitern, die regsam von Ort zu Ort huschten, übersät. Viele Stimmen mit den unterschiedlichsten Akzenten waren deutlich vernehmen. Sie riefen wild durcheinander und plauderten lauthals.

»Frischer Fisch! Heute um den halben Preis!«, rief einer der Verkäufer, als Koralie an den Ständen, unmittelbar hinter den Stadtmauern, vorbeiritt und die besseren Viertel im Zentrum der Stadt ansteuerte. Nun wurden die Straßen langsam breiter und gepflegter. Der schlammige Boden, in dem Abraxas bei jedem Schritt, den er tätigte, versank, ging schließlich in eine gepflasterte, stabile Straße über.