Kapitel 23

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ALEJANDRO

Krampfhaft versuchte ich meine Maske aufrecht zu erhalten. Doch es gelang mir nicht. Sie fiel und zum ersten mal seit langer Zeit zeigte ich echte Gefühle.
Seit Jahren habe ich meine Kinder immer wieder von mir gestossen und mich auf die Arbeit konzentriert. Ich habe meine eigene Tochter erpresst ihr Geheimnis für sich zu behalten um unseren Ruf zu schützen.
Ich ganz alleine bin Schuld an ihrem Tod. Nicht Kaden. Nicht Reece. Auch Ivana nicht. Hätte ich mich nicht nur für mich und meinen Erfolg interessiert, wäre sie noch hier. Hätte ich sie damals bloss in den Arm genommen hätte und ihr gesagt dass ich immer an ihrer Seite stehen würde und sie immer unterstützten werde.
„Wieso? Wieso warst du nicht da als wir dich gebraucht haben?" Mein eigener Sohn stand tränenverschmiert vor mir. Traurig blickte er mich an.
„Wieso hast du dich einen Scheissdreck für uns interessiert?" fragte er mit lauter Stimme. Ich wich seinem Blick aus.
„Ich konnte nicht" stammelte ich. Früh hatte ich gelernt nie Schwäche zu zeigen. Immer selbstsicher zu wirken und niemanden seine Gefühle anzuvertrauen. Aber das hier war meine Familie.
„Wieso konntest du nicht?" Mein Blick schweifte zu Kaden. Seine Augen ware gerötet und er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er hatte sich inzwischen wieder neben Kiara gestellt.
„Ich konnte euch nachdem was passiert ist nicht mehr in die Augen schauen" gab ich zu.
„Wieso?" Kiara blickte mich fragend an. Sie und Aurelia hätten sich gut verstanden. Beide hätten alles aufgegeben für ihre Familie. Manchmal fragte ich mich wie sie in so kurzer Zeit die Herzen meiner Söhne gewonnen hat. Die beiden liebten sie genauso sehr wie sie Aurelia geliebt hatten und es noch immer tun.
„Weil er sie nicht akzeptieren wollte" zischte Ivana. Wütend drehte ich mich zu ihr.
„Du wolltest genauso wenig wie ich dass es rauskommt" zischte ich zurück.
„Dass was rauskommt?" hakte Kiara nach.
„Aurelia war lesbisch" antwortete ich mit brüchiger Stimme.

REECE

Mein Hals wurde ganz trocken und es schnürte mir die Kehle zu. Ich schnappte nach Luft und klammerte mich an den Tresen hinter mir fest. Kaden und Kiara blickten besorgt zu mir.
Mein eigener Vater war ein Homophobe?
„Was?" presste ich hervor.
„Was hast du ihr gesagt?" brüllte Kaden und stürmte auf meinen Vater zu. Er blieb direkt vor ihm stehen.
„Was hast du zu ihr gesagt?" wiederholte er seine Frage.
„Sie solle es für sich behalten" antwortete er. „Es würde unserem Ruf schaden."
Kaden stolperte einige Schritte zurück und blickte unseren Vater voller Wut und Ekel an.
„Wie konntest du nur" hauchte er. Kiara legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Ich wusste nicht was ich tun sollte" versuchte er sich rauszureden.
Wie konnte ich diesen Mann bloss als Vorbild ansehen? Als Helden? Sogar nach den letzten Jahren hätte ich ihm alles vergeben. Aber ich würde ihm niemals vergeben können was er Aurelia angetan hatte.
„Du wusstest nicht was du tun solltest?" brüllte Kaden. Die Ader an seinem Hals stach heraus. Er war wütend. Sehr wütend. Das letzte mal sah ich ihn so wütend als sich jemand über Aurelias Selbstmord lustig gemacht hatte. Er hatte die Kontrolle über sich verloren und auf den Typen eingeprügelt bis er bewusstlos war.
„Es war keine einfache Situation." Kaden lachte falsch auf.
„Du hättest für sie da sein sollen. Anstatt ihr zu sagen nicht zu sich selbst zu stehen" zischte er.
„Ich konnte nicht" erwiderte der Mann den ich als Vater angesehen hatte.
„Wieso? Weil die arroganten reichen Schnösel sich den Mund zerrissen hätten? Weil du zu wenig Mut hattest dich schützend vor deine Tochter zu stellen?"
Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und starrte ihn wütend an. Unseren Vater. Auch wenn er es nicht verdient hatte so genannt zu werden.
„Ja es ist deine Schuld. Hättest du nicht wie ein egoistisches homophobes Arschloch reagiert wäre sie noch hier" erwiderte ich kalt.
Mein Vater blickte mich erschrocken an.
„Ich bin nicht..." begann er.
„Doch bist du" unterbrach ich ihn.
Kalt blickte ich ihn an, auch wenn in mir alles zerbrach. Wut, Trauer, Ekel und Enttäuschung zerrissen mich innerlich.
Wut, darauf es nicht bemerkt zu haben und dass ich nicht für sie da war.
Trauer, weil es noch immer weh tat zu wissen dass meine kleine Schwester nie mehr zurück kommt.
Ekel, weil mein eigener Vater ein Homophobe ist.
Enttäuschung, weil er mein Vater war und ich das niemals von ihm erwartet hätte.
Verdammt und wie ich enttäuscht war. Wer weiss wie lange Aurelia gelitten hat und sich verbogen hat. Und das werde ich auf keinen Fall tun. Weder für meinen Vater noch für die homophoben Freunde meines Vaters.
„Ich kann dich nicht länger ansehen" zischte ich und verliess die Küche. In ihr liess ich Angst und die Liebe für einen Menschen zurück.
Die Angst vor meinem Outing.
Die Liebe zu dem Mann denn ich immer als Vater angesehen hatte. Wie konnte ich ihn noch länger lieben nachdem was ich erfahren hatte? Alleine schon das er ein Homophobe ist lässt mich an ihm zweifeln. Aber ich hätte ihm eine Chance gegeben. Er hätte es vielleicht verstanden.
Aber das was er Aurelia angetan hatte würde ich ihm niemals verzeihen können.
Sollte ich jedes mal wenn ich ihm in die Augen blickte an das erinnert werden? Nicht an die schönen Momente? Wie als er mir das Schwimmen zeigte? Oder mir gezeigt hat, wie man Auto fährt? Sollte ich jetzt immer daran erinnert werden, dass er meine Schwester auf dem Gewissen hatte?

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