Schattenstern

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»He! Du da! Gibt es hier auch Beute oder lasst ihr uns absichtlich nichts übrig, damit wir verhungern?« Blendfeuer funkelte den mit getrocknetem Schlamm überzogenen Kater wütend an, der die WindClan-Patrouille zusammen mit zwei weiteren Katern bewachte. In einer von ihnen meinte Schattenstern den großen Kater mit der brummigen Stimme zu erkennen, dem sie schon mal begegnet war.

»Komm, Blendfeuer, es hat keinen Sinn«, miaute sie dem weißen Kater beruhigend zu. Dieser fauchte verärgert, peitschte mit dem Schweif und wandte sich ab. Er macht sich Sorgen um seine Gefährtin, sonst wäre er viel zurückhaltender. Wenigstens sieht man, dass er Vogelschweif wirklich liebt. Auch wenn sie mir die Schuld für Weißklees Tod zugeschoben hat. Aber sie hat recht. Als Anführerin muss ich mich mehr um meine Clan-Gefährten kümmern.

Schattenstern hatte gehofft, Sprenkeljunges wiederzufinden und ihrem Clan gleichzeitig zu zeigen, dass sie sich ab jetzt mehr um das Wohlergehen aller Katzen kümmerte. Und was hatte sie nun davon? Nur weitere Probleme. Ihre Tochter war immer noch wie vom Erdboden verschluckt und sie selbst wurde mit Blendfeuer, Hechtkralle, Wolfsherz und Kräuselsturm in einem fremden Lager festgehalten.

Sie schüttelte den Kopf. Bloß nicht daran denken, was Sprenkeljunges alles passiert sein könnte. Trotzdem beschleunigte sich ihr Herzschlag und die Sorge um die kleine Kätzin schien übermächtig zu werden.

»Beruhige dich«, sagte auf einmal Hechtkralle. Offensichtlich hatte sie, ohne es zu wollen, ihr Fell gesträubt. »Ich bin mir sicher, dass sie uns bald gehen lassen werden. Irgendwann muss schließlich deren Anführer auftauchen und uns die Gelegenheit geben, uns zu erklären.«

Im selben Moment gerieten ihre Wachen in Bewegung und eine Lücke tat sich auf. Voller Anspannung erhob Schattenstern sich auf die Pfoten und bedeutete ihren Clan-Gefährten, auf ihren Plätzen zu bleiben. Sie musste sich dazu zwingen, nicht zusammenzuzucken, als eine Stimme ertönte. Von rechts. Ausgerechnet von der Seite, auf der sie blind war.

»Der Große Stern erwartet dich bereits.«

Nachdem die Anführerin den Kopf gedreht hatte, erhaschte sie einen Blick auf die Katze, die gesprochen hatte, bevor diese sich auch schon umgewandt und davongetrabt war. Es war eine langhaarige, dunkelgraue Kätzin gewesen. Die erste überhaupt, die ohne diese seltsame Schlammschicht herumlief. Was ist nur der Sinn davon? Ohne weiter darüber nachzudenken, forderte sie den Rest der Patrouille dazu auf, ihr zu folgen, doch eine der Wachen stellte sich ihnen in den Weg.

»Nur du«, brummte der große Kater, der sie bereits aufgesucht und die Warnung überbracht hatte. Mittlerweile war sie sich vollkommen sicher.

»Ich habe vor meinen Clan-Gefährten nichts zu verbergen«, entgegnete die Anführerin.

Der Kater zögerte. Seine bernsteinfarbenen Augen wanderten über Hechtkralle, Kräuselsturm, Blendfeuer und blieben dann bei Wolfsherz hängen. »Sie darf auch mitkommen«, bestimmte er und trat beiseite.

Schattenstern wechselte einen überraschten Blick mit der ehemaligen ErdClan-Anführerin. Sie hatte sie nur mitgenommen, damit sie sich beweisen konnte. Aus demselben Grund war Kräuselsturm hier; auch wenn sie ihm mehr vertraute als der strubbeligen Kätzin. Wolfsherz war einfach nur seltsam. Sie wirkte verschlossen und abweisend, jedoch nur, wenn Kater in der Nähe waren. Ihre Geschichte musste eine sehr traurige sein, aber keiner wagte es, sie darauf anzusprechen.

»Nun gut.« Die Anführerin winkte Wolfsherz zu sich, warf den drei WindClan-Kriegern einen warnenden Blick zu, als sie sich anspannten, und verließ schnellen Schrittes das Gefängnis aus zusammengewebten Ästen.

Das Lager der fremden Katzen bestand praktisch aus einer einzigen, großen Kuhle mitten im hohen Gras. In der Mitte erhob sich ein mickriger Frischbeutehaufen, nach dem Blendfeuer sich so sehr gesehnt hatte. Auf der anderen Seite entdeckte sie einen kaum sichtbaren Pfad aus niedergetrampeltem Gras, vor dem die dunkelgraue Kätzin wartete.

»Ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten«, begrüßte die unbekannte Kätzin Schattenstern und Wolfsherz. »Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Großen Stern finden konnte. Der Große Stern war... nicht dort, wo der Große Stern sein sollte.« Sie verstummte als hätte sie zu viel gesagt. »Mein Name ist Regenmond.«

»Ich bin Schattenstern und das ist Wolfsherz«, stellte die Anführerin sich und ihre Begleiterin höflich vor und bemerkte im selben Moment, dass Regenmond verschiedenfarbige Augen hatte. Eines blaugrau und eines hellgrün.

»Meine Besonderheit ist nicht zu übersehen«, schnurrte die dunkelgraue Kätzin, während sie sich in Bewegung setzte. Die beiden WindClan-Katzen folgten ihr. »Die der anderen ist schwieriger zu erraten. Der Große Stern ist sehr wählerisch.«

Wovon redet sie?, dachte Schattenstern völlig verwirrt und wunderte sich gleichzeitig über ihre Höflichkeit. Von Himmelglanz' Mördern hatte sie mehr Feindlichkeit erwartet. Vielleicht ist Sprenkeljunges doch nicht in einer so großen Gefahr wie ich erwartet hatte.

Um nicht so unfreundlich rüberzukommen, fragte sie: »Du die Gefährtin des Großen Sterns?«

»Ja«, antwortete Regenmond. »Eine von vier.«

Ein Kater der vier Gefährtinnen hat. Das fängt ja gut an...

»Du hast Glück gehabt, dass du ausgerechnet in mein Territorium, in das des WirbelClans eingedrungen bist«, fuhr die dunkelgraue Kätzin fort. »Glaub mir, bei dem des DonnerClans wärt ihr allesamt getötet worden.«

»Was?« Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Ich dachte, der Große Stern verbietet es euch, andere Katzen zu töten? So hat es einer deiner Krieger uns jedenfalls mitgeteilt.«

Regenmond blieb stehen. In ihren Augen spiegelte sich ehrliche Verwirrung. »Nacht sollte euch eigentlich gesagt haben, dass der Große Stern den Befehl gegeben hat, jeden von euch zu töten, sollte nach dem Jungen noch jemand die Grenze übertreten.«

»Ein Junges?« Die schwarze Kätzin horchte auf. »Feuerrot mit schwarzen Sprenkeln? Wo ist sie? Was habt ihr mit ihr getan?« Sie musste sich zusammenreißen, um die Katze vor ihr nicht anzuschreien.

»Nacht hat sie euch zurückgebracht«, miaute Regenmond verwirrt. Während Schattenstern noch sprachlos da stand, teilte die langhaarige Kätzin das Gras vor ihnen und schubste die WindClan-Anführerin und Wolfsherz hindurch.

Sprenkeljunges ist außer Gefahr! Danke, SternenClan! Gerade hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, als sie plötzlich von den Pfoten gestoßen wurde. Spitze Krallen gruben sich in ihre Flanken. Erschrocken schrie sie auf.

»Warum lasst ihr uns nicht einfach in Ruhe! Warum!«, kreischte eine Katze ihr ins Ohr.

Warrior Cats - Schwarze SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt