Prolog

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Das Licht des Halbmondes schien matt durch die dichten Wolken. Nur anhand der verschwommenen Helligkeit hätte man erraten können, wo genau das Gestirn sich verbarg. Die Sterne hatten es aufgegeben, ihre eigenen schwachen Strahlen auf die Landschaft zu schicken. Nur in weiter Ferne blinkten kleine Feuer zwischen den Zweibeinernestern, wo Monster auf und ab stürmten.

Der Kater, dessen Pelz mit einer dicken Schlammschicht bedeckt war, fuhr nachdenklich die Krallen ein und aus. Er war angespannt. Von den Schnurrhaaren bis zur Schwanzspitze. Was hatte es zu bedeuten, dass Nacht mit diesem rot-schwarzen Jungen im Holzsitz aufgetaucht war? Wusste es etwas? Wusste es, dass er es gewesen war, der die Kätzin des WindClans getötet hatte? Hatte es das sagen wollen, als es ohne Aufforderung angefangen hatte zu sprechen?

Die Krallen fuhren ein und aus, kratzten über die lockere Erde zwischen den hohen Halmen. Der Blattfall würde bald kommen. Warum hatte die Anführerin des WindClans noch nichts unternommen, um sich für den Tod ihrer Clan-Gefährtin zu rächen? Dann würden viel mehr Katzen erkennen, wie schwach der Große Stern eigentlich war! Zwar hatte der Große Stern angekündigt, jede WindClan-Katze zu töten, die jetzt noch die Grenze überquerte, aber das war bestimmt alles nur ein Schauspiel. Damit nicht noch mehr der Verbündeten verärgert über das Zögern des Großen Sterns waren. Musste er vielleicht noch etwas weiter nachhelfen?

Plötzlich raschelte es vor ihm. Der Kater zuckte mit den Ohren, hob den Kopf und lauschte. Als sich auch noch das Gras ungewöhnlich heftig bewegte, presste er seinen Körper dicht an den Boden und schielte zwischen den Halmen hindurch. Erst geschah nichts. Dann trampelten Pfoten vorbei. Schwarze, weiße, graue... Der Geruch von frischer Regenluft wehte ihm entgegen. WindClan!

Mit einem Schlag fiel die ganze Anspannung von dem Kater ab. Es hatte geklappt! Der WindClan war in das Territorium der Verbündeten eingedrungen, obwohl das Junge zurückgebracht worden war! Obwohl... Diese Katzen mussten viel früher losgezogen sein, sonst wären sie nicht so weit gekommen. Das heißt, sie konnten nicht wissen, dass der Große Stern ihnen das Junge zurückgeschickt hatte. Aber das brauchte ja niemand zu wissen...

Langsam bewegte der Kater sich rückwärts, bis er auf dem Pfad angelangt war, der zum Lager führte. Zufrieden mit sich schritt er über das flachgetretene Gras und folgte so den vielen Windungen, die für ein ungeübtes Auge kaum zu wahrzunehmen waren. Die Wolken vor dem Mond hatten sich kaum weiterbewegt, als er sich unter den niedrigen Ästen eines riesigen, verzweigten Stocks hindurch quetschte.

Auf der anderen Seite nickte er dem Wache haltenden Krieger kurz zu und lief hinüber zu einem Nest mit hoch aufragenden Wänden aus zusammengeflochtenen Grashalmen. Weiße Daunenfedern standen hier und dort ab.

»Meine Anführerin«, sprach der Kater die ruhende Kätzin mit respektvoll gesenktem Kopf an.

»Was gibt es?« Die verschiedenfarbigen Augen der Anführerin leuchteten so hell, als würden sie versuchen, das Mond- und Sternenlicht zu ersetzen.

»Eine Gruppe aus WindClan-Kriegern hat unser Territorium betreten.«

Die dunkelgraue Kätzin war sofort hellwach. Missmutig setzte sie sich auf. »Ich wusste, dass es ein Fehler war, das Junge nicht sprechen zu lassen«, murmelte sie mehr zu sich selbst. »Aber anscheinend hat Habichtmond recht behalten. Der WindClan ist uns feindlich gesinnt. Wer weiß, was passiert wäre, wenn du nicht so wachsam gewesen wärst. Vielleicht hätten sie mitten in der Nacht unser Lager überfallen.«

»Wie lautet dein Befehl, meine Anführerin?«

»Stelle eine Patrouille zusammen, die die WindClan-Katzen hierherbringt und unter Bewachung stellt. Ich selbst werde zu unseren Verbündeten aufbrechen, damit auch sie über den Grenzübertritt Bescheid wissen.«

»Aber der Große Stern hat doch befohlen, dass wir das Recht haben, jede WindClan-Katze zu töten, wenn nochmal jemand unser Territorium betritt!«, begehrte der Kater auf und wurde, wie er gehofft hatte, sogleich mit einer Schwanzgeste der Anführerin zum Schweigen gebracht.

»Das Recht, nicht die Pflicht!«

Damit sprang die Kätzin aus ihrem Nest und trottete zum Lagerausgang. Der zurückgelassene Kater unterdrückte ein zufriedenes Schnurren. Lange Krallen bohrten sich in lockere Erde.

***

Die weißen Pfoten des ansonsten flammenroten Katers berührten hastig die Wasseroberfläche des kleinen Sees. Das Bild darin verschwand sofort in den dadurch entstandenen, wogenden Wellen. Verlegen wandte er sich zu den anderen vier Katzen um, die das Ganze ebenfalls beobachtet hatten.

»Also, Donner, wie gedenkst du dieses Mäusehirn aufzuhalten, bevor es einen Krieg auslöst?«, fragte eine schwarze Kätzin mit grünen Augen. »Oder Wind? Irgendwelche Ideen?«

Der rote Kater schwieg betreten und wechselte einen ratlosen Blick mit einer braun getigerten Kätzin, die unruhig von einer Pfote auf die andere trat.

»Ich denke, wir sollten nicht überreagieren, Schatten«, meldete sich ein silbergrauer Kater zu Wort. »Wir haben immer noch die Prophezeiung, dass die Erde den Krieg zwischen den Clans verhindern wird.«

»Kann«, sagte die braun getigerte Kätzin trocken.

»Was?« Donner sah sie verwundert an.

»Die Prophezeiung lautet, dass die Erde den Krieg zwischen den Clans verhindern kann. Nicht, dass sie es wird«, stellte Wind klar. Frustriert wandte sie sich an den silbergrauen Kater neben ihr. »Warum musstest du, Fluss, auch unbedingt zu Terra gehen und ihr offenbaren, dass selbst der SternenClan sich nicht sicher ist, ob sie wirklich diese besagte Erde ist?«

»Es ist doch die Wahrheit. Warum sollte ich lügen?«, schnurrte Fluss leicht belustigt.

»Aber wer sollte es sonst sein?«, fragte Donner verzweifelt. »Ich möchte nicht, dass der WindClan und der DonnerClan sich gegenseitig zerstören! Du etwa, Wind?«

Die braun getigerte Kätzin schüttelte entschlossen den Kopf.

»Dann müssen wir uns anstrengen und nach einer anderen Katze suchen, die womöglich diese Erde sein könnte!«

»Such du ruhig«, miaute Schatten mit peitschendem Schweif. »Während wir hier diskutieren, zerfetzten die Überreste meines Clans sich die Pelze!«

»Habe Geduld«, versuchte Fluss die schwarze Kätzin zu beruhigen. »Auch der SchattenClan wird wieder zum Leben erwachen. Nur müssen wir uns zuerst um den DonnerClan kümmern.«

Schatten schnaubte verärgert, verstummte jedoch.

»Dann beobachten wir also«, fasste ein hellgrauer Kater zusammen, der sich bisher noch nicht zu Wort gemeldet hatte.

»Du hast es erfasst, Wolken«, bestätigte Donner. »Du hast es erfasst.«

Der rote Kater berührte erneut die Oberfläche des Sees. Das Wasser kräuselte sich und offenbarte allmählich den Blick auf eine weite Graslandschaft. Im Dunkeln der Nacht wirkte alles wie tot.

Warrior Cats - Schwarze SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt