Schwere Last

526 46 28
                                    

Die Strahlen der Sonne schienen ungehindert auf Terras Pelz, der sich langsam aufheizte. Müde hob sie den Kopf, blinzelte und schaute zur Seite, wo Hechtkralle sich zusammengerollt hatte. Ein Wunder, dass er diese Nacht nicht geschnarcht hatte. Sie stand auf, trat zu ihm und stupste ihn mit einer Pfote an der Schulter an. Dann sprang sie weg und versteckte sich hinter dem massigen Körper von Brud.

Ich führe mich auf wie eine Schülerin, dachte die Kriegerin. Aber seinen Gesichtsausdruck ist es wert.

Hechtkralle fuhr hoch und drehte den Kopf verwirrt hin und her – auf der Suche nach demjenigen, der ihn geweckt hatte. Eine Weile starrte er nachdenklich die Grashalme vor seinen Pfoten an, bis Terra hinter dem grauen Wolf hervorkam und ihren Gefährten von hinten erschreckte.

»Beim SternenClan, du bist es!«, rief er, nachdem er vor Überraschung heftig zusammengezuckt war. »Und ich habe mich schon gefragt, ob ich Halluzinationen habe.«

»Ganz bestimmt«, schnurrte Terra und leckte ihm sanft über die Stirn. »Komm, wir sind spät dran.«

»Wofür denn?«

»Schon vergessen? Funkenpfote hat gestern die Kriegerprüfung bestanden und bekommt heute seinen Kriegernamen!«

Hechtkralle schaute sie verwundert an, fing dann aber zu schnurren an. »Du benimmst dich schon so wie eine richtige Clan-Katze. Ich bin stolz auf dich.«

Der Clan ist meine Familie, dachte die gefleckte Kätzin und spürte sogleich einen Stich im Herzen. Sie wünschte sich selber Junge. Hechtkralle auch, das wusste sie. Aber offenbar hatte der SternenClan etwas gegen sie. Oder er hatte andere Pläne für sie. Mit Schmerzen erinnerte sie sich an die quälenden Bauchschmerzen und kurz darauf das blutbesudelte Gras. Zum Glück war sie da weit weg vom Lager gewesen, sodass niemand es mitbekommen hatte. Doch dieser Verlust schmerzte mehr als jede Wunde.

»Terra!«

Die Kriegerin drehte sich nach Aqua um, die zu ihr gesprungen kam. Mit einem Kopfnicken bedeutete sie Hechtkralle, schon mal vorzugehen.

»Was ist los? Du siehst ja richtig aufgeregt aus!«, rief Terra ihrer Freundin schon von Weitem zu.

»Ami hat endlich ihre Welpen bekommen! Drei Stück! Sie sind so niedlich! Wir müssen sie uns nachher unbedingt mal ansehen!«

Terra quälte sich ein Schnurren aus der Kehle, obwohl sich ein Kloß in ihrem Hals gebildet hatte. Selbst die Wölfe haben Nachwuchs bekommen! Was ist falsch mit mir? »Klar sehen wir sie uns an. Haben sie schon Namen?«

»Keine Ahnung.« Aqua zuckte kurz mit den Schnurrhaaren. »Ich verstehe das Geknurre der Wölfe nicht. Wusstest du, dass Wölfe ihre Welpen außerhalb des Lagers zur Welt bringen? Ami ist heute Nacht anscheinend den Fluss ganz weit flussabwärts gelaufen, hat ihre Welpen geboren und ist mit ihnen den ganzen Weg wieder zurück gegangen.«

Terra riss erstaunt die Augen auf. Was eine Mutter nicht alles tut...

»Alle Katzen des Clans mögen sich zu einer Versammlung am Ufer einfinden!«, hallte Schattensterns Stimme durch das gesamte Lager.

Die Katzen, die noch nicht wach waren, standen auf und schüttelten sich die Müdigkeit aus dem Pelz. Terra beobachtete, wie Vogelschweif und Tannennadel ihre Jungen um sich scharten. Sie waren mittlerweile zwei Monde alt und streunten immer wieder mal durch das Lager, um ein paar Krieger zu ärgern. Sturmjunges, Vogelschweifs freche Tochter, hatte Terra mal absichtlich Mäusekot ins Nest gepackt. Der Gestank war widerlich gewesen, aber sie war nicht wütend auf die kleine Kätzin gewesen. Sie war nun mal so.

Die gefleckte Kriegerin ließ sich neben Hechtkralle nieder, der sie bereits erwartet hatte. Er schubste sie schalkhaft an und sie schubste zurück, woraufhin beide zu Schnurren anfingen. Aqua setzte sich auf ihre andere Seite und warf ihnen einen belustigten Blick zu, bevor sie zu Schattenstern schaute. Auch Terra schenkte ihre Aufmerksamkeit nun der WindClan-Anführerin. Sie hatte sich auf einen Stein gestellt, den einige Krieger vor einem Mond dorthin gerollt hatten.

»Wir haben uns hier versammelt, um einem Schüler seinen Kriegernamen zu geben. Funkenpfote, tritt vor!«

Der dunkelbraune Schüler stand auf und bahnte sich seinen Weg durch die Menge nach vorne. Er wirkte nicht mal nervös, sondern eher gefasst und ernst. Terra hatte Geschichten von dem gehört, was ihm als Junges angetan worden war. Die zerfetzten Ohren zeugten davon. Wenn er andere Eltern gehabt hätte, wäre er vielleicht ein fröhlicherer Kater geworden, dachte Terra.

»Funkenpfote«, sprach Schattenstern den Schüler an. »Ich bin stolz darauf, jemanden wie dich in meinem Clan zu haben. Dein Mut und deine Entschlossenheit haben dich weit gebracht. Du hast nie die Hoffnung aufgegeben und dich nie über etwas beschwert, denn du weißt, dass es viel schlimmer hätte kommen können.«

Die gelben Augen des Katers fingen bei ihren Worten an zu leuchten.

»Versprichst du also, das Gesetz der Krieger zu ehren und deinen Clan zu beschützen, selbst wenn es dein Leben kostet?«

»Ich verspreche es!« Die Antwort kam sofort und ohne Zögern.

»Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Von diesem Augenblick an wirst du Funkenlicht heißen. Als Erinnerung daran, dass man selbst in der tiefsten Dunkelheit den Lichtpunkt eines Funkens sehen kann. Selbst in dunklen Zeiten gibt es Hoffnung.«

Schattenstern sprang herunter und legte dem Kater den Kopf auf die Stirn. Er war mittlerweile fast so groß wie die Anführerin, aber um einiges muskulöser. Luchsohr hatte gute Arbeit geleistet. Er war es auch, der den neuen Namen seines früheren Schülers als erster rief:

»Funkenlicht! Funkenlicht!«

Und bald fiel der gesamte Clan ein.

»Funkenlicht! Funkenlicht!«, jubelte auch Terra und freute sich für den jungen Kater, der sich nun freudestrahlend zu seinen Clan-Gefährten umdrehte. Die Ernsthaftigkeit, die er zuvor gezeigt hatte, war verflogen. Einige WindClan-Katzen kamen auf ihn zu, um ihn nochmal persönlich zu beglückwünschen. Terra wollte sich gerade auch auf den Weg machen, als sie aus dem Augenwinkel plötzlich eine Bewegung ausmachte.

Sie war nicht die einzige, die es gesehen hatte. Efeubein sprang trotz seines steifen Beins ungewöhnlich flink auf die Pfoten, sträubte sein Fell und fauchte: »Wer ist da?«

Die WindClan-Katzen verstummten und starrten in die Richtung, in die der dunkelbraune Krieger blickte. Tannennadel und Vogelschweif sammelten ihre Jungen um sich, wobei Dachsjunges sich jedoch weigerte, mit den jüngeren Katzen zusammengescheucht zu werden. Er schaute ebenfalls aufmerksam auf die Kätzin, die nun ihren Kopf aus einer kleinen Senke steckte, in der sie sich zuvor versteckt hatte.

Sie hatte strahlend weißes Fell und eisblaue Augen, die sie angstvoll weit aufgerissen hatte. Terra schätzte sie auf vier Monde, wobei das schon eine sehr großzügige Schätzung war. Irgendwie erinnerte diese Kätzin sie an jemanden, aber sie kam nicht darauf, an wen. Vielleicht an jemanden von den Clanlosen?

»Wer bist du?«, fragte Efeubein erneut. Diesmal jedoch weniger feindselig. Eine so junge Katze konnte für den WindClan keine Bedrohung sein.

»Ich...«, presste die fremde Kätzin mit großer Anstrengung heraus. Dann wirbelte sie herum und stürmte davon in Richtung Zweibeinerort, von wo sie wohl auch gekommen war.

Ratlos schaute Efeubein und der Großteil des WindClans zu Schattenstern, die genauso verwirrt war. Schließlich sagte sie: »Bestimmt war das irgendeine von Mutprobe, der die Kätzin sich stellen musste. Ich glaube nicht, dass sie eine Gefahr für uns darstellt.«

Daraufhin fuhren die Katzen fort, Funkenlicht zu seinem Kriegernamen zu beglückwünschen. Aber Terra ging das Aussehen der Kätzin nicht aus dem Kopf. An wen erinnert sie mich bloß?

Warrior Cats - Schwarze SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt