Schleichende Wesen

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Luchsohr beugte sich zu Tannennadel hinunter und drückte seine Stirn an die ihre. »Sie sind wunderschön«, flüsterte er ihr zu. Seine Jungen schliefen am Bauch der hellbraunen Kätzin. Sie wirkten so klein und zerbrechlich. Und er wusste, er würde sie mit seinem Leben beschützen!

»Fichtenjunges hat deine spitzen Ohren geerbt«, schnurrte Tannennadel und deutete auf den kleinen Kater, der sich gerade auf die andere Seite drehte. »Und Mohnjunges wird im WindClan ein gutes Leben führen können.«

Luchsohr nickte bedächtig. Seine Tochter hatte einen rotbraunen Fleck auf der Stirn, der wie eine Mohnblüte aussah. Wäre er noch beim ErdClan, hätte sie getötet werden müssen. Das konnte er sich nicht vorstellen... Einfach so ein Junges zu verlieren... Ein Teil von ihm wäre dann mit seiner Tochter gestorben.

»Warum sind sie so klein?«, fragte ein Kater, der von der Größe her schon sechs Monde erreicht haben musste. Er hatte ein rundes Gesicht und schmale, gelbe Augen, die Fichtenjunges und Mohnjunges neugierig musterten. Neben ihm stand sein Bruder, ein mindestens genauso großes Monstrum. Warum waren sie noch in der Kinderstube?

»Sie sehen aus wie Beute«, sagte der Kater mit dem runden Gesicht und zeigte die Zähne. »Können wir mit ihnen spielen?«

»Nein!«, fauchte Luchsohr und stellte sich schützend vor Tannennadel. »Sie sind noch viel zu jung!«

»Aber uns ist langweilig!«, maulte der andere Kater.

»Wutjunges, Klauenjunges, ihr könnt mit mir spielen!«, ertönte eine dünne Stimme und eine etwas jüngere Kätzin von vielleicht fünf Monden tauchte hinter ihnen auf. Sie schien Angst vor den zwei Brüdern zu haben, denn ihre Flanken bebten, reckte aber mutig den Kopf.

»Mit dir spielen?« Der Kater mit dem runden Gesicht warf seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu. »Du weißt, wie unsere Spiele funktionieren?«

»Ja«, miaute die Kätzin kleinlaut. Nun erkannte Luchsohr in ihr das Junge, das bei der Ankunft des WindClans direkt zu den Wölfen gelaufen war. Ihr Name war Gelbjunges. So hatte ihre Mutter, die Flinke, sie jedenfalls gerufen.

Es war auch die Flinke, die jetzt die Kinderstube betrat. Ihr Blick fiel auf ihre Tochter, die sich Wutjunges und Klauenjunges entgegen gestellt hatte. Sie stieß einen Schrei des Entsetzens aus, packte Gelbjunges am Nackenfell und trug sie aus der Kinderstube hinaus.

»Schade«, sagte der Kater mit dem runden Gesicht und wandte sich nun zu Vogelschweif um, die Dachsjunges aus Reflex sofort dichter an ihren gewölbten Bauch presste. »Und der da? Können wir mit dem spielen? Er sieht auch aus wie Beute.«

»Sieh nur! Wie hässlich er ist!«, jaulte sein Bruder. »Er sieht aus wie eine Kreuzung aus Wiesel und Reh! Lange Schnauze und kurze Beine!«

Beide Kater fingen an zu lachen und rollten auf dem Boden umher. Luchsohr beobachtete sie mit finsterer Miene. Sie gefielen ihm gar nicht. Eine gefährliche Ausstrahlung umgab sie, bei der sich sein Nackenfell aufstellte. Mit ihnen war nicht zu spaßen. Es widerstrebte ihn, Tannennadel mit den zwei Brüdern alleine zu lassen, aber er war der zweite Anführer. Er musste Patrouillen einteilen und dafür sorgen, dass kein Streit zwischen den WindClan- und WirbelClan-Katzen ausbrach.

»Ich muss gehen«, flüsterte er Tannennadel zu. »Pass auf dich und unsere Jungen auf.«

»Die zwei Bestien sollten sich besser nicht mit mir anlegen«, erwiderte sie mit einem Feuer in den Augen, das er schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte.

Luchsohr verließ die Kinderstube. Sofort umfing ihn die Eiseskälte und er plusterte sein Fell auf, um den Wind wenigstens etwas abzuhalten. Der Schneefall hatte nachgelassen, aber jetzt war zum ersten Mal auch eine weiße Schicht liegen geblieben. Nicht nur auf dem Boden. Auch auf den Spitzen der Halme glänzten die hellen Flocken und fielen bei der kleinsten Berührung runter.

»Luchsohr!« Bei Schattensterns Stimme drehte der gelbbraune Kater sich um. Die schwarze Kätzin kam auf ihn zu gerannt. »Ich mache mir Sorgen um Nebelpfote, Sprenkelpfote, Efeubein und Kräuselsturm«, hob sie, bei ihm angekommen, an. »Der Schnee ist jetzt liegen geblieben und sie haben keinen warmen Ort, um sich zurückzuziehen. Ich glaube, die WirbelClan-Katzen haben sich jetzt halbwegs beruhigt und wir können riskieren, sie zurück ins Lager zu holen.«

»Ich werde mich darum kümmern«, antwortete er und sah sich schon nach einer WindClan-Katze um, die nicht beschäftigt war, als Schattenstern wild den Kopf schüttelte.

»Nein, du gehst selber«, bestimmte sie. »Der WirbelClan kennt dich mittlerweile gut genug. Wenn du sie zurückbringst, werden sie sich nicht gegen dich stellen.«

Luchsohr war überrascht. Warum nicht? Was erzählen sie sich über mich, dass sie solchen Respekt vor mir haben? Aber er neigte den Kopf. »Ich werde sofort aufbrechen.«

Er schlüpfte unter den untersten Ästen des verzweigten Stockes hindurch und fühlte sich sogleich an seine Zeit beim ErdClan erinnert. Als er noch Wolfsherz, nein, Wolfsmond als Gefährtin hatte. Als sie sich um ihn gekümmert hatte, damit er den Grünen Husten überlebte. Und dann, als sie beim Kampf am alten Stein versucht hatte, ihn zu töten.

Worte sind wie Krallen, dachte er. Man kann mit ihnen zuschlagen und töten oder kitzeln und zum Schnurren bringen. Aber ich gehöre jetzt Tannennadel und meinen Jungen.

Sie hatten den Kater in Anlehnung an die Fichte benannt, unter der Tannennadel und er sich immer heimlich getroffen hatten, und die Kätzin nach Tannennadels Schwester Mohnblatt. Was wohl mit ihr passiert war? Er könnte Wolfsmond fragen, aber das wagte er nicht.

Luchsohr blieb stehen und witterte. Wegen dem Schnee waren die meisten Gerüche verwaschen und undeutlich. Hätte er jetzt Tannennadel bei sich, wäre er schon lange bei seinen Clan-Gefährten angekommen. Sie war die beste Spurenleserin im ErdClan gewesen.

Auf einmal bewegten sich die Halme rechts neben ihm. Er fuhr herum. Etwas Schnee war heruntergefallen, aber die Gestalt war verschwunden. Wer war das? Oder war es nur ein Kaninchen, das sich hierher verirrt hat? Einem Instinkt folgend brach er aus dem getrampelten Pfad aus und tauchte in das Labyrinth der hohen Grashalme ein.

Vor ihm zog sich eine Spur aus runtergefallenem Schnee dahin. Er folgte ihr. Von dem Wesen, das sie verursacht hatte, war nichts zu sehen oder zu riechen. Irgendwann stolperte er ins Freie. Vor ihm lag der Fluss, an dem der WindClan eine Weile gelagert hatte.

»Luchsohr!«, rief jemand aufgeregt und ein dunkelgrauer Kopf tauchte am Ufer auf. Nebelpfote. Dann entdeckte der gelbbraune Kater auch Kräuselsturm und Efeubein. Der ältere Krieger mit dem steifen Bein ging auf ihn zu.

»Bist du hier, um uns ins Lager zurück zu rufen?«, fragte Efeubein.

»Ja«, antwortete Luchsohr. »Schattenstern denkt, dass es jetzt ungefährlich für euch ist.« Er schaute zwischen den drei Katzen hin und her. »Wo ist Sprenkelpfote?«

»Sie hängt wahrscheinlich wieder bei diesem zugefrorenen Schlammloch rum«, sagte Nebelpfote und verdrehte die Augen. »Sie ist verrückt danach. Bald fängt sie auch noch an, sich den Pelz dreckig zu machen.«

»Ich hole sie«, bot Kräuselsturm sich an.

Im selben Moment ertönte ein spitzer Schmerzensschrei. Alle vier Kater fuhren herum. Und stürmten los.

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Zwei Sachen:

1. Ein paar fleißige Leser und ich haben uns ein Zeichen für die Schwarzblüte-Reihe ausgedacht. Und zwar ein schwarzes Herz: 🖤 Es sieht so ähnlich aus wie ein schwarzes Blütenblatt (Schwarzblüte) und symbolisiert gleichzeitig die dunkle Seite von Schattenstern (ein schwarzes Herz eben). Außerdem hat es eine noch verborgene Bedeutung, aber das werdet ihr schon herausfinden :)

2. Ein anderes Warrior Cats- Buch von mir (Zeit des Kampfes) wird mit dieser Reihe verknüpft sein. Aber keine Sorge, ihr müsst es nicht lesen, um »Schwarze Sonne« zu verstehen und umgekehrt.

Warrior Cats - Schwarze SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt