Schmerzende Wahrheit

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Die Tage nach der Hinrichtung von Habichtmond und des Fauchers durch die gesamten DonnerClan-Katzen flogen nur so dahin. Die Verbündeten wussten im ersten Moment nicht, was sie nun tun sollten. Es gab keinen Großen Stern mehr und auch niemanden, der seinen Platz einnehmen könnte. Der alte Große Stern war immer noch nicht aufzufinden. Genauso wenig wie Wolfsherz. Sie schienen wie vom Erdboden verschluckt.

Als Streifenmond ihre Jungen bekam und eines davon ein Sohn war, glaubten die Verbündeten, einen neuen Anführer gefunden zu haben. Schließlich war dieses Junge der Sohn des Großen Sterns. Doch viele waren dagegen und besonders die DonnerClan- und WirbelClan-Katzen weigerten sich, das Junge als neuen Großen Stern anzuerkennen.

»Rankenjunges ist viel zu klein. Er kann keine klugen Entscheidungen treffen geschweige denn vier Clans führen«, regte Fliegenpfote sich wieder auf. Der junge Kater hatte sich von den schweren Wunden erholt, die sein eigener Vater ihm zugefügt hatte. Einen Mond hatte es gedauert, bis sie so sehr verheilt waren, dass Weises Reh ihn zurück ins WirbelClan-Lager gelassen hatte. Trotzdem besuchte er Sprenkelpfote und den WindClan fast jeden Tag.

»Das geht schon zwei Monde so«, schnaubte er. »Können sie nicht einsehen, dass es keinen Zweck mehr hat, zu versuchen, die Hierarchie der Verbündeten aufrecht zu erhalten?«

»Wen meinst du mit ›sie‹?«, fragte Sprenkelpfote und schmiegte sich eng an ihn. Direkt nach dem Tod von Habichtmond und des Fauchers hatte nur Tatze ihren Pelz vom Schlamm gesäubert, doch mittlerweile liefen alle WirbelClan-Katzen ohne die Matschschicht herum. Fliegenpfotes Pelz wurde von Tag zu Tag weicher und jetzt konnte sie mit Bestimmtheit sagen, dass er nach nassem Moos roch.

»Vor allem Streifenmond und Goldmond«, antwortete der schwarze Kater leicht grummelnd. »Erstere möchte Rankenjunges unbedingt als neuen Großen Stern sehen. Nur, weil sie früher mal Anführerin war. Aber sie ist strohdumm. Und man kann nicht mit ihr diskutieren.«

»Wer führt jetzt eigentlich den DonnerClan an?«, wollte die Schülerin wissen. Während Fliegenpfotes Wunden vergleichsweise schnell verheilt waren, hatte Sprenkelpfote länger bei Weises Reh bleiben müssen. Die Verletzung an ihrer Kehle hatte sich entzündet und die WindClan-Heilerin hatte sogar befürchtet, dass sie ihre Stimme verlieren würde. Zum Glück war das nicht geschehen. Dafür prangte nun eine hässliche Narbe knapp unterhalb ihres Kinns, wo kein Fell mehr wuchs.

»Ich glaube Vogel.« Fliegenpfote neigte nachdenklich den Kopf. »Sie ist die Schwester von Knurrkralle, dem früheren Wächter des Großen Sterns.«

»Er hätte nicht sterben dürfen«, murmelte Sprenkelpfote.

Der Kater an ihrer Seite nickte. »Ich verstehe immer noch nicht, warum der Rote ihn zum Kampf herausgefordert hat, obwohl es gar keinen Großen Stern mehr gibt, den er beschützen könnte. Und dann möchte er auch noch, dass wir ihn Rotkralle nennen. Als ob irgendwer das tun würde!«

»Die BlitzClan-Katzen tun das.«

»Ja, aber auch nur, weil sie Rankenjunges als neuen Anführer haben möchten und der braucht natürlich einen Wächter.«

Sprenkelpfote seufzte und beschloss, das Thema zu wechseln: »Wie geht es Eichelpfote?«

»Sie schläft noch schlechter als sonst.« Fliegenpfote senkte niedergeschlagen den Kopf. »Meine Mutter sagt, dass es an dem liegt, was Vater gemacht hat.« Sie spürte, wie ein Schauer durch sein Fell fuhr. »Ich hätte... Ich habe bis zuletzt nicht daran geglaubt, obwohl es so offensichtlich war. Er... Ich war ihm egal...«

»Ich glaube nicht, dass du ihm egal warst.« Die gesprenkelte Kätzin strich ihm beruhigend mit dem Schweif über den Rücken. »Der Faucher hat zwar viel Unrechtes getan, aber er wurde von Habichtmond manipuliert. Das weiß mittlerweile jeder. Niemand wirft dir etwas vor.«

»Wutpfote und Klauenpfote haben sich heute Morgen geweigert, mit mir auf Grenzpatrouille zu gehen, weil sie ›mit dem Sohn eines Verräters nichts zu tun haben wollen‹«, erzählte Fliegenpfote bitter.

»Wir hatten uns doch schon darauf geeinigt, dass die Zornige eine schreckliche Mutter ist und ihre Söhne zu unaussprechlichen Grausamkeiten erzieht. Weißt du noch, als Wutpfote und Klauenpfote sich ins WindClan-Lager geschlichen haben, um Mohnjunges und Fichtenjunges ›aus Spaß‹ anzugreifen?«

»Wutpfote meinte nachher im WirbelClan-Lager, dass sie immer noch wie Beute aussehen.« Fliegenpfote zuckte mit den Ohren. »Wenigstens hat er jetzt eine Schramme auf der Nase, wo Dachsjunges ihn erwischt hat, als er gerade nach Mohnjunges beißen wollte.«

Sprenkelpfote schnurrte. »Dachsjunges mag Mohnjunges. Das weiß jeder.«

»Vielleicht liebt er sie ja? So wie ich dich?« Der schwarze Kater blickte ihr direkt in die Augen. »Ich liebe dich, Sprenkelpfote. Ich möchte mein gesamtes Leben nur mit dir verbringen.«

»Ich auch, Fliegenpfote. Ich auch.« Sie schmiegte sich in seine Halsbeuge und sog den Duft nach nassem Moos ein. Gleichzeitig erfasste sie eine tiefe Traurigkeit. Schon mehrmals hatte Fliegenpfote ihr vorgeschlagen, sich dem WirbelClan anzuschließen, aber sie hatte dann schnell das Thema gewechselt.

Schattenstern wird es mir sowieso nicht erlauben. Und kann ich es mir überhaupt vorstellen, nicht mehr bei meinen Clan-Gefährten zu sein? Nebelpfote... Ich würde ihn schrecklich vermissen und er ist schon so traurig genug, weil Dunkeljunges immer noch mit Funkenstern irgendwo umherirrt. Ob ich ihn jemals wiedersehen würde? Und dann ist da noch Flammenzorn...

Mittlerweile kannte sie den Namen ihres Vaters. Als sie mit der entzündeten Wunde bei Weises Reh gelegen hatte, hatte er sie beinahe täglich in ihren Träumen besucht und hatte ihr die wahre Geschichte über Schattenstern erzählt. Wie sie ihn für einen anderen Kater verlassen hatte. Und dass sie ihn dann kaltblütig ermordet hatte, obwohl er schon so geschwächt gewesen war. Dabei hatte er sie nur um Hilfe gebeten. Hätte er die Kämpfe gewonnen, hätte er als erster Kater keine weitere Kätzin gewählt, sondern Schattenstern als seine einzige Gefährtin behalten. Aus Liebe zu ihr.

»Du musst denen treu sein, die du liebst«, hatte Flammenzorn ihr eingeflößt. »Aber deinem Clan noch mehr. Dein Clan ist deine Heimat. Dein Zuhause. Würdest du dein Zuhause für einen Kater verraten, von dem du dir nicht sicher bist, ob er dich wirklich liebt?«

Sprenkelpfote hatte verneint. Zuhause ist Zuhause. Ich werde den WindClan nicht verlassen. Wenn, dann muss Fliegenpfote zu mir kommen. Aber wird er seine Familie verlassen können? Genau deswegen traute sie sich nicht, ihn zu fragen.

»Die Sonne geht unter«, sagte der Schüler auf einmal und deutete zum Horizont, wo der Himmel sich langsam orange verfärbte. Wie ein zweites Meer aus gelben Grashalmen sah es aus. Seit die Blattleere vorbei und der Schnee geschmolzen war, war es immer wärmer geworden und die Halme hatten sich wieder hoch aufgerichtet. An ihren Spitzen wuchsen nun Körner, die man – laut den Katzen der Verbündeten – essen konnte.

»Kommst du morgen wieder?«, fragte Sprenkelpfote, während Fliegenpfote sich von ihr löste, aufstand und seinen schwarzen Pelz schüttelte.

»Natürlich.« Er drückte seine Nase zum Abschied an die ihre und trottete dann davon in Richtung des Grasmeers. Erst, als seine Gestalt vollständig zwischen den gelben Halmen verschwunden war, machte auch Sprenkelpfote sich auf den Weg zurück ins WindClan-Lager. Schattenstern hatte vor zwei Monden beschlossen, auf der anderen Seite des Flusses zu bleiben, um die Verbündeten nicht zu provozieren. Bisher klappte es ganz gut.

Die Schülerin sprang ohne zu zögern ins Wasser. Aqua hatte allen WindClan-Katzen das Schwimmen beigebracht, sodass sie keine Probleme mehr mit der Überquerung des Flusses hatten. Sprenkelpfote beschleunigte ihre Schritte. Ob Ami ihre Welpen in dieser Nacht bekommen würde? Sie wusste nicht, wie lange Wölfe trächtig waren, aber sie freute sich schon darauf, mit den kleinen Wolfswelpen zu spielen.

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So, das war der kleine Zeitsprung von knapp zwei Monden. Ich hoffe, er hat euch gefallen :) Die Chancen stehen hoch, dass heute oder morgen noch ein weiteres Kapitel kommt :)

Warrior Cats - Schwarze SonneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt