Ein Verbündeter

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Sam

Stille lag über Cirith Ungol.
Es war eine Stille, die von fehlendem Atem herrührte, von verklungenen Stimmen und erloschenem Feuer.
Eine Stille, die undurchdringlich war da es niemanden gab, um sie zu stören.

Kurzum- es war die Stille des Todes.

Sie hing über der mordorischen Festung wie eine Unheil bringende Wolke.
Vermutlich hätte sie lange dort gehangen, so lange, bis jemand die Stille bemerkte und ihren Ursprung ergründen wollte.

Doch dies geschah nicht.
Denn in diesem Moment wurde die Stille in Fetzen gerissen, als Schritte erklangen und zwei Stimmen.
Helle Stimmen, klar und rein, die nicht an diesen Ort passten.

Kurz waren sie das einzige Lebenszeichen, bis zwei Gestalten auf den mit Leichen übersäten Hof traten. Sie waren klein und liefen schnell, doch ihre Rüstungen klangen bei jedem Schritt.

"Ist alles in Ordnung, Herr Frodo?",
Flüsterte Sam, als er seinen Freund wanken sah.
Frodo winkte mit einer Hand ab, mit der anderen umklammerte er den Ring, der an einer Kette um seinen Hals hing.
"Es geht mir gut."

Sam bezweifelte dies, wandte aber dann den Blick von seinem Freund ab und ließ ihn über die Mauern streifen.
Er suchte den Schatten- Sigil, wie Frodo ihn genannt hatte.
Der Hobbit war sich mittlerweile zwar sicher, dass der Elb ihnen nicht feindlich gesinnt war, trotzdem machte ihn sein plötzliches Verschwinden mehr als nervös.

Doch alles blieb ruhig.
Sie waren das einzige Lebendige auf diesem Schlachtfeld. Vorsichtig stiegen sie über die Leichen, bis sie das Tor erreichten, in dem der dreiköpfige Wächter seine stumme Wache hielt.
Er war ihnen beiden unheimlich, weshalb sie sich beeilten, an ihm vorbeizukommen.

Kaum hatten sie das Tor hinter sich gelassen, beschleunigten sie ihren Schritt- nur um keine zehn meter weiter wie angewurzelt stehen zu bleiben.
Dort, an der Felswand, lehnte ein hochgewachsener Ork in voller Rüstung, das Gesicht verdeckt durch seinen Helm.
Ein orkischer Bogen hing über seinen Rücken, ein Schwert derselben Machart von seiner Seite.

Er sah sie direkt an, bewegte sich aber rein gar nicht.
Aus einem Gefühl des Beschützerinstinkts heraus stellte sich Sam vor Frodo und zog Stich.
"Wag es nicht, uns anzurühren, Ork."
Unter dem Helm drang ein schweres Seufzen hervor, dann erklang eine überraschend freundliche Stimme:

"Ork? Nun, ich habe mir schon viel angehört, aber das ist unter meiner Würde! "
Beim Klang der Stimme riss Frodo den Kopf hoch.
"Sigil?"
Dieser nickte, dann griff er sich an den Helm und nahm ihn mit einer schnellen Bewegung ab.

Nun sah auch Sam den Schatten von Ithilien das erste mal aus der Nähe.
Der Hobbit hatte ein dunkles, kaltes Gesicht erwartet, grimmig und gezeichnet mit den Narben alter Schlachten.
Doch der Elb vor ihm ähnelte in vielerlei Hinsicht Legolas.

Plötzlich streckte er die in einem Lederhandschuh steckende Hand nach Sam aus.
"Danke, dass du meine Sachen mitgenommen hast, Samweis. "
Erst jetzt fiel Sam wieder ein, dass er das Bündel und das Messer des Schattens nach wie vor bei sich trug.

Schnell gab er es ihm zurück.

Mit sichtlicher Erleichterung schlang sich der Elb das Bündel über den Rücken und steckte das Messer in eine leere Scheide an seinem Gürtel.
"Ich konnte den Bogen nicht mitnehmen...ich..",begann Sam, doch Sigil schnitt ihm das Wort ab.
"Es ist schon gut. Er wäre sowieso zu stark aufgefallen. Der hier erfüllt seinen Zweck auch. "

In seiner Stimme schwang ein leichter Widerwille mit, doch er verbarg es schnell. Schließlich stieß er sich von der Wand ab und wies mit dem Kopf auf den Weg.
"Wie sollten verschwinden, ehe noch irgendwelches Gesindel aus Minas Morgul hier aufkreuzt."

Er machte Anstalten, seinen Helm wieder aufzusetzen, doch Sam hielt ihn zurück. Ihm war dieser Elb immer noch unheimlich.
"Warum folgst du uns?"
Fragte er herausfordernd, "Was willst du?"
Sigil zog die Augenbrauen hoch.
"Ich weiß nicht.. Euch das Leben retten, Sauron vernichten und die Welt vor der Verheerung bewahren, vielleicht?"

Sam ließ jedoch nicht locker.
"Aber woher weißt du von uns? Wer hat dir gesagt, wo wir sind?"
Plötzlich begann der Elb, leise zu lachen.
"Wenn man so lange in dieser Welt lebt wie ich, dann hat man überall seine Augen und Ohren, glaub mir."

Kurz schwieg er, dann fügte er hinzu:
"Ich weiß dein Misstrauen zu schätzen, Samweis Gamdschie, aber hier hilft es dir und dem Ringträger nicht weiter. Und sieh es so: wenn ich den Ring hätte haben wollen, hätte ich ihn mir längst genommen."

Daraufhin presste Sam die Lippen beschämt aufeinander.
Plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Arm. Es war Frodo.
"Er hat mir geholfen, Sam. Ich glaube, wir können ihm vertrauen."
Er hob den Kopf und sah Sigil wieder an.

Seine grünen Augen strahlten Ruhe und Freundlichkeit aus. "Die Entscheidung liegt bei Euch. Obwohl es jetzt im Grunde schon egal ist, ob ich euch in den Schatten folge oder bei euch bin."
Es war Frodo, der antwortete, während Sam noch überlegte: "Wir würden uns über deine Gesellschaft freuen, Sigil."

Dieser nickte und setzte den Helm wieder auf.
"Dann kommt."

Elurín

Es war besser gelaufen, als er gedacht hatte.
Mit Sams Misstrauen hatte er gerechnet und er spürte dessen abschätzenden Blick immer noch im Rücken, als er die Hobbits die Straße hinauf führte.
Aber es war gut gelaufen.

Kurz vor dem Hang verließ er den Weg und benutzte einen schmaleren Gang in den Felsen.
Er half den Hobbits beim Aufstieg und zog zuerst Frodo und dann Sam zu sich auf das Plateau.
Die Rüstung behinderte ihn dabei, doch sie war zur Tarnung unabdingbar.

Genauso ärgerte es ihn, dass ihm von seiner ursprünglichen Bewaffnung nur sein Messer geblieben war.
Den Bogen hatte er aus zwei Gründen zurückgelassen.
Erstens hatte er die Hobbits vor Cirith Ungol abfangen wollen und hatte es aus Angst, sie zu verlieren, nicht gewagt, seinen Posten zu verlassen.

Zweitens war der Bogen eine vorzügliche Waffe, mit hoher Reichweite und Durchschlagskraft.
Er fiel auf, ebenso wie die Pfeile.
Also hatte er stattdessen einen orkischen Bogen mitgenommen statt seinen eigenen zu holen, obwohl es sich anfühlte, als ließe er einen alten Freund zurück.

Und sein Schwert...
Nachdem er Sam gerettet und sich eine Rüstung verschafft hatte, hatte er ganz Cirith Ungol nach der Klinge durchsucht.
Er hatte weder die Leiche des Hauptmanns, noch das Schwert selbst gefunden.

Schließlich hatte er sich resigniert den besten orkischen Stahl genommen, den er finden konnte.
Es war viel schlechter verarbeitet und auch viel schwerer als sein altes, aber es musste genügen.

Elurín blieb stehen und hielt mit einer Hand Sam und Frodo zurück.
Vor ihnen fiel der Hang steil ab und auf der Ebene darunter reihte sich Zelt an Zelt und Feuer an Feuer.
Der Elb schluckte und klappte das Visier herunter.

Zeit für einen Gang durch die Hölle.

Die Wächter der 9 GefährtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt