Die letzten Schritte

412 39 11
                                    

Ohne die Orks war Gorgoroth eine staubige, tote Wüste.
Sie war zerklüftet und karg, die Felsen ragten auf wie gefrorene Wellen.
In ihren schweren Rüstungen schleppten sich zwei Hobbits und ein Elb voran.

Elurín ging vorne, suchte Frodo und Sam den einfachsten Weg. Der Ringträger war am Ende seiner Kräfte, genauso wie Sam, der sich allerdings noch besser auf den Beinen hielt.
Am anderen Ende der Ebenen ragte der Schicksalsberg auf - greifbar nah und doch schien er unerreichbar.

Auf einmal hörte Elurín ein lautes, klirrendes Geräusch. Er fuhr herum und sah Frodo, der unter der zusätzlichen Last der Rüstung endgültig zusammengebrochen war.
Sam hatte sich zu ihm hingekniet und zog ihn sanft in eine aufrechte Stitzhaltung.

Elurín ging zurück und hockte sich zu den beiden hin.
Sam hob den Blick zu ihm.
"Wir Sollten nichts mitnehmen, das wir nicht unbedingt brauchen." Der Elb nickte, nahm den Helm ab und warf ihn in einen Abgrund, der sich neben ihnen auftat.

Mit einigen geschickten Handgriffen half er Frodo und Sam, ihre Rüstung abzulegen, die sie dem Helm hinterher schickten. Als auch Elurín sich der Stahlplatten entledigt hatte, trugen sie nichts mehr außer ihrer Kleidung und der absolut notwendigen Ausrüstung.

Befreit von dieser Last fiel ihnen das Gehen leichter - nur ein wenig, aber immerhin. So schleppten sie sich weiter, in ständiger Angst, dass das Auge Saurons sie trotz dem Schutz der aufragenden Felsen entdecken würde - dann wären sie alle verloren.

Frodos Zustand zwang sie zu einem quälend langsamen Tempo, sodass die Ebenen von Gorgoroth auch nach einigen Stunden des Marsches endlos erschienen.

Schließlich rasteten sie hinter einem großen Stein, wo Saurons Blick sie nicht erreichen konnte.
Trotz dem feurigen Schicksalsberg in der Nähe war es eisig kalt. Frodo und Sam saßen deshalb dicht beieinander, während sich Elurín in seinen Umhang hüllte.

Schaudernd blickte Sam zum wolkenverhangenen Himmel auf. Plotzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht. "Sieh mal, Herr Frodo. Da ist Licht. Hoch oben, wohin kein Schatten dringt..."
Doch Frodo hörte ihn nicht mehr. Er war, an Sams Schulter gelehnt, eingeschlafen.

Aber Elurín blickte hinauf und sah einen hellen Stern, der durch eine Lücke in den dichten Wolken schien.  Obwohl er keine anderen Sterne sehen konnte, wusste der Elb, welcher es war. Fast schien es ihm unmöglich, dass sein Licht selbst in Mordor nicht vollständig auszulöschen war.

"Gil- Estel, Earendil. Der Stern der hohen Hoffnung,"sagte Elurín leise und sah  zu Sam hinüber, "Es ist ein schönes Zeichen für uns. Für alle." Wieder hob Sam den Blick zum Himmel. "Ihr Elben verehrt diesen Stern, nicht wahr?"

Elurín nickte.
Kurz herrschte Stille, dann fragte der Elb: "Kennst du sie, Sam? Die Geschichte von Earendil?"
Der Hobbit wirkte überrascht. Er zögerte kurz, bevor er erwiderte: "Teilweise. Earendil war ein Seefahrer, der zusammen mit seiner Frau Elwing und einem Edelstein, den man Silmaril nannte, nach Valinor segelte...er war der erste Sterbliche, dem das gelungen ist."

"Genau," antwortete Elurín, "Er segelte nach Valinor, um die Hilfe der Valar gegen Morgoth, dem Herrn alles Bösen, zu erbitten. Die Valar segneten sein Schiff und hoben es in den Himmel, von wo aus das Licht des Silmarils als Stern zu sehen ist.
Und Elwing... " er schluckte schwer, als er den Namen seiner Schwester aussprach, " und Elwing erbauten sie einen Turm. Dort wartet sie auf Earendil und hält Ausschau nach ihm, wann immer er den Häfen Valinors wieder nahe kommt. Dann kommt sie ihm entgegen."

Sams Lächeln war breiter geworden. "Das ist eine schöne Geschichte, Sigil."
Auch Elurín lächelte schwach, doch seine Gedanken schweiften in eine andere Richtung. Weiß Elwing, dass wir noch am Leben sind und noch nicht in Mandos Hallen wandern? Hält sie Ausschau nach uns, so wie sie es für Earendil tut? Kurz sprangen seine Erinnerungen zu seiner Kindheit zurück.

Wie sehr wir uns verändert haben seit dem...wie sehr sich Elwing verändert haben muss...
Würde sie uns überhaupt noch erkennen?
Der Gedanke erschreckte ihn.
Schaudernd verdrängte er ihn und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.

Doch das Gefühl von Trauer und Sehnsucht ließ ihn nicht los, auch nicht, als er die Augen schloss und versuchte, zumindest ein wenig zu schlafen.

Durch die anhaltende Finsternis wusste keiner von ihnen, wie lange sie sich ausgeruht hatten, als sie ihre Reise fortsetzten.
Elurín und den Hobbits schien es, als kämen sie viel zu langsam voran, obwohl sämtliche Muskeln in seinem Körper nach Ruhe schrien.

Je näher sie dem Orodruin kamen desto stickiger und staubiger wurde die Luft. Sie dörrte ihnen die Kehlen aus und machte selbst das Atmen zu einer Qual. Als sie das nächste mal rasteten, fast am Ende ihres Weges, der sie durch so viel Leid und Trauer geführt hatte, waren die Hobbits am Ende ihrer Kräfte.

Elurín ging es noch besser - aber nur geringfügig.
Hustend griff Frodo nach seiner Wasserflasche und stellte entsetzt fest, dass sie leer war.
"Hier nimm meinen," sagte Sam und hielt Frodo seinen eigenen Schlauch hin. Der Hobbit nahm ihn dankbar an und trank die letzten Tropfen, die sie noch bei sich hatten.
Elurín hatte seinen Wasservorrat ebenfalls bereits verbraucht.

"Jetzt haben wir nichts mehr für den Rückweg...",flüsterte der Ringträger. Elurín sagte nichts dazu, doch es wunderte ihn, dass Frodo noch immer glaubte, sie würden das hier lebend überstehen. Er selbst war sich schon lang nicht mehr sicher.
"Ich glaube nicht, dass es einen Rückweg geben wird," gab Sam dem Elb unwissentlich recht.

Doch er hielt Frodo die Hand hin.
Der ergriff sie und stand auf, während sich Elurín ebenfalls aufrappelte.
Sie hatten eine Aufgabe zu erfüllen.
Der Ringträger wankte.
Der Elb stützte ihn kurz, dann setzten sie ihren Weg vorsichtig fort.

Der Schicksalsberg ragte nun als feuriger Schatten vor ihnen auf. Elurín fiel auf, dass Frodo jetzt, da sie vielleicht nur noch ein paar Stunden Marsch von ihrem Ziel trennte, immer unnahbarer wurde.

Er hielt den Ring ständig umklammert, reagierte kaum mehr auf Fragen und schlug in die Luft, als würde er halluzinieren.
Bald, sagte der Elb sich und legte die Hand auf sein Messer, suchte Kraft und Sicherheit in der vertrauten Waffe, Bald ist es vorbei.

Er atmete tief durch und sah sich um. Wo sie jetzt standen, war Gorgoroth beinahe flach, kaum ein hoher Felsen schützte sie vor Saurons Blick. Sie mussten hier schnell sein. Sonst-
"Vorsicht!", schrie Sam plötzlich, in dem Moment, in dem Elurín das Licht um sie herum bemerkte.

Der Elb warf sich flach auf den Boden, ebenso wie Sam.
Doch Frodo tat nichts. Er stand mit trübem Blick da und sah mitten in das flammende Auge.
"Frodo!", brüllte Sam. Wenn Sauron jetzt von ihnen erfuhr...

Elurín zögerte nicht mehr. Er sprang auf und riss Frodo mit sich zu Boden.
Zitternd lagen sie da, bis sie sahen, dass das Licht weiterzog und Sauron den Blick von ihnen abwandte.
Der Elb ließ Frodo los und kroch mit ihm zusammen zu Sam hinüber.

"Meinst du...meinst du, er hat uns gesehen?," fragte Sam entsetzt.
"Aber er kann...doch nicht kommen. Er...hat die Orks doch...weggeschickt. Für eine Schlacht.", warf Frodo leise ein.
Doch Elurín schüttelte den Kopf. "Er wird Barad-dûr nicht ohne eine Garnison zurücklassen. Wenn er dich gesehen hat, Frodo, wenn er nur einen Verdacht geschöpft hat, dann wird er eine Patrouille schicken. Wir sollte uns auf so etwas gefasst machen."

Er seufzte und blickte zur Seite. Der Schicksalsberg nahm nun schon den gesamten Himmel ein.
Er sog die heiße Luft in seine Lungen.
Bringen wir das zu Ende.
Mit einem schiefen Grinsen wandte er sich wieder den Hobbits zu.

"Bereit für die letzten Schritte?"

Die Wächter der 9 GefährtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt