Gezische und Versprechen

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Eluríns Vermutung bestätigte sich. Gollum hatte ihn nicht bemerkt, als der Elb sich an die Kreatur angeschlichen hatte, und seinen Weg unbehelligt fortgesetzt. Noch immer waren die Hobbits sein Ziel. Und wie vermutet holte er sie nachts ein.

Beigleitet von seinem Gezische von Dieben kletterte er gleich einer Spinne die Felswand über den schlafenden Hobbits hinab. Elurín wartete, den Bogen schussbereit in der Hand haltend, hinter den Felsen. Selbst ohne den Lorienmantel und dem Öl hätte Gollum ihn nicht bemerken können.
Denn er war weit außerhalb seines Sichtsfelds und der Wind wehte in Richtung des Elbs.

Gollum war weitaus vorsichtiger, als Elurín erwartet hätte. Er setzte seine Schritte mit Bedacht, und einmal abgesehen von seinem leisen Gemurmel bewegte er sich vollständig lautlos.

Der Elb war so angespannt, dass er jeden einzelnen Muskel spürte. Er kannte Gollums Geschichte und wusste, dass er für den Ring jederzeit über Leichen gehen würde. Er stellte für die Hobbits und somit für das Schicksal Mittelerdes eine ernstzunehmende Bedrohung dar.

Als Gollum die Hälfte der Strecke überwunden hatte, zog Elurín die Sehne zurück. Auch wenn er Gollums Leben zuerst geschont hatte, würde er nicht zögern, ihn zu töten, wenn es wirklich notwendig wurde.

Er würde für das Leben eines Mörders, der zweifellos- wenn auch unbewusst- im Dienst Saurons gestanden hatte, nicht  das Schicksal von ganz Mittelerde riskieren.

Inzwischen hatte Gollum die restliche Strecke zu den Hobbits überwunden und streckte bereits die Hand nach Frodo aus. Elurín hatte die Sehne bis zum Anschlag zurückgezogen, die schwach schimmernde Pfeilspitze war auf Gollums Herz gerichtet.

Würde er jetzt schießen, wäre die Kreatur sofort tot. Er wusste, dass er sich dann zeigen müsste, aber das war ihm egal. Die beiden Hobbits  würden sowieso weder mit dem Namen Elurín noch mit Sigil  etwas anfangen können.

Was der Elb allerdings nicht wusste, war die Tatsache, dass Frodo und Sam Gollum bemerkt hatten und ihr Schlaf nur vorgetäuscht war.Als die beiden plötzlich aufsprangen und Gollum packten, war Elurín so überrascht, dass er beinahe geschossen hätte.

Gerade noch rechtzeitig riss er den Bogen nach unten, sodass der Pfeil nur gegen Gestein prallte, ein Geräusch, das im Kampf der Drei vor ihm vollständig unterging.

Trotz der Überraschung und der Überzahl seiner Gegner, behauptete Gollum sich gut, vermutlich hatte er einige Erfahrung in solchen Kämpfen. Elurín hatte den Bogen nun wieder im Anschlag.

Auch wenn er das Gefühl hatte, sich noch nicht heute offenbaren zu sollen, war er sich der Gefahr bewusst, in der Gollum die Hobbits  brachte. Sollte der Kampf zeigen, dass Gollum ein zu schwieriger Gegner war, wäre er sofort tot.

Mittlerweile zeichnete sich Gollums Vorteil immer deutlicher ab. Ob er sich mit den schmutzigsten Tricks aus Sams Griffen wand, oder Frodo ansprang wie ein blutgieriger Wolf, er behielt die Oberhand.

Elurín fluchte. Er hatte bereits erkannt, dass die Hobbits verlieren würden, aber der Elb konnte Gollum nun nicht mehr erschießen. Und diesmal war es nicht aus Gnade, sondern allein deshalb, weil er entweder Frodo oder Sam dabei töten könnte.

Bei anderen Verhältnissen, wäre der Schuss kein Problem gewesen. Aber nicht bei diesem Licht.
Außerdem lag Frodo, noch betäubt von Gollums Angriff, auf dem Boden.
Wenn er aufsprang, um Sam zu helfen, stünde er direkt in Eluríns Schusslinie.

Und dann schaffte Gollum es, Sam zu packen und zu Boden zu reißen, den Arm um Sams Hals geschlungen, in dem Versuch, ihn zu erwürgen. Elurín fluchte erneut, ließ den Bogen fallen und zog sein Messer.

Doch so schnell er auch war, Frodo  war schneller. Stich glänzte bleich in der Finsternis,  als die kurze Elbenklinge an Gollums Hals lag. Augenblicklich kehrte Stille ein.

"Lass ihn los oder ich schneide dir die Kehle durch."

Von Eluríns Position aus konnte er nicht sehen, wie sich die Blicke der beiden trafen, er bemerkte nicht, wie die Furcht in Gollums Augen kroch.
Aber er sah, wie Gollum den Griff um Sams Hals lockerte und dieser sich aufrappelte.

Noch immer lag Frodos Klinge am Hals ihres Angreifers. Gollums Starre hielt noch einige Augenblicke.

Dann legte er den Kopf zurück und stimmte ein markerschütterndes Geheul an.


"Jeder Ork in ganz Mordor wird dieses Geschrei hören!"
Das war Sam.
Er hatte damit nicht ganz unrecht. Gollums Heulen hallte in den Bergen wider, wurde von den Felswänden zurückgeworfen und vervielfältigte sich zu einer ohrenbetäubenden Lautstärke.

Elurín stieß ein leises Knurren aus. Seine Ohren waren viel empfindlicher als die der Hobbits und mittlerweile wurde das Geheul für ihn fast schmerzhaft. Zudem würde jeder Späher im Umkreis von einer Meile auf sie aufmerksam werden.

Die Hobbits musste ihn zum Schweigen bringen, und zwar bald, bevor eine ernsthafte Bedrohung daraus wurde.
Sam drehte sich zu Frodo um.
"Wir fesseln ihn und lassen ihn hier."

Gollums Geheul wurde zu einem Betteln. Bei den Valar, bist du verrückt? Dachte Elurín, als Sam seinem Vorschlag brachte. Sobald ihn irgendjemand hier findet, habt ihr die Nazgul im Nacken! Tötet ihn schnell!

Doch Frodo lehnte Sams Vorgehensweise sowieso ab. Elurín wusste nicht genau, ob er erleichtert sein sollte. Misstrauisch wurde er dann, als Gollum plötzlich vor Frodo niederkniete  und ihm Gefolgschaft schwor.
Als er auf den Schatz schwor.

Aber vermutlich war dies der einzige Schwur, den er zu halten bereit und imstande war. Elurín hoffte nur, dass die Hobbits ihn loswerden konnten, bevor Gollum merkte, zu welchem Zweck sie nach Mordor gekommen waren.

Wenn er erkannte, dass sie den Ring, seinen Schatz, vernichten wollten, wäre sein Schwur nur noch ein Haufen wertloser Worte.

Elurín seufzte. Das konnte jederzeit passieren. Von nun an musste er doppelt wachsam sein. 

Als Gollum nun aber eifrig aufsprang, um den Hobbits den Weg nach Mordor zu weisen, war der Elb sich sicher, dass er zumindest heute noch treu bleiben würde. Zeit genug, um sich ein wenig umzusehen.

Langsam erhob er sich aus seiner Position. Dann befestigte er sein Schwert und rannte los. Ja,  in diesen Teilen der Emyl Muil war es möglich zu rennen. Vor allem, wenn man ein Elb war.

Schnell kletterte er eine Wand hinauf und ließ sich auf der anderen Seite hinabfallen. So kam er wesentlich zügiger voran als die Hobbits.
Elurín hatte das vermisst. Als Eluréd und er aus Mordor geflohen waren, hatten sie ebenfalls diesen Weg genommen.

Da sie wussten, dass etwas im Norden passierte, hatte ihnen das den Umweg über Ithilien erspart. Was Eluréd wohl gerade tat? Hatte er Merry und Pippin gerettet? Oder war irgendetwas anderes geschehen, das niemand erwartet hätte?

Elurín kletterte über sein nächstes Hindernis und alle Gedanken wurden schlagartig hinweggefegt. Vor ihm erstreckte sich eine riesige Moorlandschaft, ekelhafter Gestank schlug ihm ins Gesicht.

Sie hatten die Totensümpfe erreicht.

Die Wächter der 9 GefährtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt