Der Pfad eines Jägers

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Eluréd

Der ebene, grasbedeckte Boden flog unter  ihm dahin. Seine Füße trommelten auf die Erde, als er mit einer Geschwindigkeit, die nur ein Elb über lange Zeit halten konnte durch Rohan rannte.

Er wusste, dass er die drei Jäger längst  überholt hatte und ihnen bereits Stunden vorraus war. Legolas musste schließlich auf Aragoen und Gimli Rücksicht nehmen, da sie beide nicht imstande waren, eine so hohe Geschwindigkeit lange aufrechtzuerhalten.

Als Eluréd auf gleicher Höhe mit ihnen gewesen war, war er nach links geschwenkt, sodass er nun beinah geradewegs auf den Fangorn-Wald zurannte. Die Uruk-Hai, die Merry und Pippin in ihrer Gewalt hatten, gehörten Saruman an. Deshalb war es am wahrscheinlichsten, dass sie die beiden Hobbits nach Isengart brachten.

Er hoffte nur, dass er sie rechtzeitig einholte. Die Drei Jäger würden es trotz ihrer Anstrengung nicht mehr schaffen, die Uruk-hai waren zu schnell. Somit lag es an ihm sie aufzuhalten und Merry und Pippin aus Sarumans Klauen zu befreien.
Dieses mal, schwor er sich, komme ich nicht mehr zu spät.

Sein Plan war, entlang des Fangorn-Waldes zu laufen, bis er und die Orks parallel zu einander rannten, dann eine Abkürzung durch den Wald zu nehmen und ihnen einen Halb-Tagesmarsch von Isengart entfernt aufzulauern.

Wenn er ihre Geschwindigkeit und Ausdauer, sowie seine eigenen Fähigkeiten richtig einschätzte, müsste er  in etwa einem Tag  mit den Uruk-Hai auf gleicher Höhe sein. In Anbetracht des Weges, den er sich sparte wenn er die Waldabkürzung nahm, dürfte Eluréd ein paar Stunden vor den Orks an dem Straßenabschnitt sein, den er für den Hinterhalt ausgewählt hatte.

Dann blieb nur noch eine Frage, nämlich was er mit den Hobbits machte, sobald  er sie gerettet hatte. Sie so nah an Isengart einfach sich selbst zu überlassen wäre mehr als unverantwortlich, andererseits wollte Eluréd nicht, dass Merry und Pippin den drei Jägern von ihm erzählten. Er wusste schließlich nicht, was dies für Konsequenzen nach sich ziehen konnte.

Aber darum  konnte er sich kümmern, wenn er sie eingeholt hatte.

Eluréds Gedanken wanderten zu Elurín. Sein Bruder war irgendwo östlich von ihm und jeder einzelne Schritt trug sie weiter auseinander.
Eluréd hätte seinen kleinen Bruder jetzt gerne an seiner Seite gehabt.

Doch Elurín war nicht hier. Er hatte seine eigene Mission.

Seufzend verbannte er die Gedanken an seinen Bruder und konzentrierte sich auf die Wegstrecke vor ihm. Der Fangorn-Wald zeichnete sich bereits vor ihm ab, kurz vor Einbruch der Dunkelheit hätte er ihn erreicht.


Kurz bevor der Elb den Wald betrat, kam der auf Spähflug geschickte Morethir zurück. Eluréd blieb stehen und hob den rechten Arm, damit sich der Rabe auf seinem Handgelenk niederlassen konnte.

Eluréd erfuhr, dass er den Uruks schon  näher war, als er eigentlich gedacht hatte. Ihre Kraft lässt nach. Bald müssen sie rast machen.
Der Elb rannte noch etwas weiter, blieb aber dann erneut stehen. Nicht nur den Uruks gingen langsam die Kräfte aus. Auch er selbst war erschöpft von der Flussdurchquerung und diesem Dauerlauf.

Er könnte noch weiterlaufen, um den Abstand weiter zu verringern. Doch vorerst  war es noch nicht notwendig. Außerdem hatte die körperliche Anstrengung doch ihren Tribut gefordert. Er sollte sich ausruhen. Wenigstens für ein paar Stunden.

Eluréd ging weiter in den Wald hinein. Dann kletterte er auf den nächstbesten Baum- es war kein Ent, davon hatte er sich vorher überzeugt- und ließ sich in einer breiten Astgabel nieder. Dann aß er ein wenig und schlief ein.

Es war Mitternacht, als Eluréd wieder aufwachte. Einige wenige Mondstrahken bahnten sich ihren Weg durch das Blätterdach. Er schätzte, dass er ungefähr fünf Stunden geschlafen hatte. Für einen Menschen wäre das vermutlich nach einer vergleichbaren Anstrengung zu wenig, doch ihm reichte es vollkommen aus.

Eluréds Zähne blitzten kurz im Mondlicht auf, als er sich lächelnd vom Baum fallen ließ. Durch jahrtausende lange Gewohnheit, immer Wache zu halten, hatte er die Fähigkeit entwickelt, genau dann augzuwachen ,wann er selbst es wollte.

Der Elb pfiff leise in die Dunkelheit. Morethir flatterte daraufhin ebenfalls vom Baum und setzte  sich auf Eluréds Schulter . Dabei ließ er ein verärgertes Krächzen hören.

Elurèd schüttelte lächelnd den Kopf, dann bahnte er sich seinen Weg aus dem Fangorn-Wald  herraus. Obwohl er gut Deckung gab, war er beim Laufen doch nur hinderlich. Und mitten in der Nacht brauchte er sowieso keinen Sichtschutz.
Zudem sorgte der Lorienmantel dafür, dass er mit den Schatten verschmolz.

Morethir flog los um die Position der Uruks  und die der drei Jäger zu ermitteln. Eluréd wollte wissen ob sie seiner Vermutung entsprechend irgendwo die Nacht verbrachten. Aragorn, Legolas und Gimli hatten es sicherlich nicht getan. Der Elb war sich ziemlich sicher, dass sie nicht ruhen würden, bis sie über das Schicksal ihrer Gefährten Bescheid wussten.

Eluréd unterbrach seinen Lauf und  streckte sich auf dem Boden aus. Er hatte ein Ohr auf die Erde gepresst und lauschte. Schwach, ganz undeutlich, konnte er tatsächlich Schritte vernehmen- das rücksichtslose Trampeln von mehreren Dutzend in weiter Ferne.

Eluréd rappelte sich fluchend auf und begann zu rennen. Er hatte falsch gelegen mit seiner Vermutung, dass den Orks die Kräfte ausgegangen waren.  Jetzt konnte er nur noch hoffen, die verlorene Zeit wieder Wettzumachen.
Egal wie ausdauernd diese Mistkerle sind- ich bin schneller.

Als Morethir zurückkehrte, wurde Eluréds Verdacht zur Gewissheit. Die Uruk-Hai waren wieder weit vorraus. Doch der Rabe hatte noch eine Interessante Nachricht: Es gab einen Zweitausend Mann starken Trupp der Rohirim,  die in diesem Augenblick nordwärts ritten.

Dies veranlasste Eluréd, noch schneller zu laufen. Denn auch wenn  die Reiter von Rohan keine Feinde waren- in einem Gefecht konnten zwei Hobbits leicht unmerklich getötet werden.

Die Nacht schritt voran. Eluréd lief ohne Unterbrechung. Während die Stunden verstrichen kamen ihm jedoch Zweifel an seinem Plan auf, die seiner Sorge um die Hobbits geschuldet waren. Zwei am Boden liegende, in Elbenmäntel gekleidete Halblinge, übersah man schnell.
Bei Einem Angriff der Rohirim konnten sie schließlich genauso sterben wie bei dem Chaos, das ein unsichtbarer Scharfschütze auslöste.

Seine Bedenken wurden jedoch sofort zerschlagen, als er in der Ferne Kampfgeräusche vernahm. Das Wiehern von Pferden und das Geschrei von Menschen und Orks vermischten sich zu einem Eluréd nur allzu bekannten Lärm.

Der Elb wusste, dass er sie nicht mehr rechtzeitig erreichen würde. Der Wind wehte in seine Richtung, er hatte die Geräusche zu ihm getragen, doch bis er den Kampfplatz erreichte, wäre es Mittag. Dennoch beschleunigte er seinen Schritt noch weiter. Darauf hoffen, dass die Halblinge noch lebten, wenn er dort eintraf, konnte Eluréd ja noch.


Seine Hoffnung wurde schlagartig zerstört, als er gegen Mittag am Schauplatz des Kampfes ankam. Verdeckt durch den Wald näherte er sich dem Schwelenden Leichenhaufen. Auf einer im Boden steckenden Lanze war ein Orkschädel aufgespießt worden. Die Rohirim hatten ganze Arbeit geleistet.

Eluréd verließ seine Deckung und ging den blutdurchtränkten Boden ab. Es gab keine Anzeichen dafür, dass irgendjemand der Angegriffenen überlebt hatte. Mitleid wallte in ihm auf. Wenn die drei Jäger hier entrafen, würden sie feststellen,  dass ihre ganze Jagd umsonst gewesen war. Ebenso wie seine eigene. Als er niedergeschlagen den Scheiterhaufen umrundete und bei der Lanze ankam, fielen ihm allerdings zwei kaum erkennbare Abdrücke im Boden auf.

Die Hobbits hatten hier gelegen.  Neue Hoffnung wallte in Eluréd auf, als er sah, dass die Fußabdrücke der Hobbits erkennbar waren. Er folgte dem Wilden Zick-Zack Lauf der beiden bis zum Waldrand. Sie waren verfolgt worden, den Spuren nach von einem Ork.

Dessen zertrampelte Leiche fand der Elb keine zehn Meter hinter dem Waldrand. Dort endeten auch die Spuren der Hobbits. Von dieser Stelle aus führte eine neue Fährte tiefer in den Wald.
Das war ein Ent.

Eluréd richtete sich auf und wollte den Ent-Spuren folgen.
Doch dann hörte er hinter sich, leise, kaum vernehmbar, sich nähernde Schritte. Und dann erklang eine seltsam vertraute Stimme:
"Ihr also seid einer der Wächter."

Eluréd fuhr herum und zog das Schwert . Doch was er nun vor sich hatte, führte dazu ,dass er zum ersten Mal seit zweihundert Jahren sein Schwert fallen ließ.



Die Wächter der 9 GefährtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt