Kapitel 17

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{Hope}
Enttäuscht drehe ich mich wieder um und die Menschen schauen mich mitfühlend an; sie scheinen mir meine Verzweiflung anzumerken. In Gedanken stimme ich ihnen zu, denn ich bin auf alle Fälle verzweifelt und vor allem enttäuscht. Wo ist er und warum ist er so schnell verschwunden?
Als ich zurück in den Backstage Bereich komme, kommt Molly auf einmal auf mich zu. Sie trägt ein breites Grinsen auf den vollen Lippen, allerdings erlischt es schlagartig, als sie meine düstere Miene sieht. Sofort breitet sie ihre Arme aus, um mich zu umarmen. Wortlos gehe ich auf sie zu und falle in ihre Arme. «Was ist los?«,fragt sie mich besorgt und streicht mir fürsorglich den Rücken hinab. Mir steigen fast die Tränen in die Augen, aber ich dränge sie zurück. Ich will nicht weinen, nicht wegen Kayden. Meine Freude war einfach zu groß, dass er hier war und mich unterstützt hat. Die Unterstützung war einfach die, ein bekanntes und vertrautes Gesicht in all diesen unbekannten, furchteinflößenden Gesichtern zu sehen. Aber da habe ich mich wahrscheinlich getäuscht, wie es aussieht. Das war gar nicht sein Ziel, wie ich vermute. Warum ist er dann überhaupt gekommen? Um neue heiße Flammen zu finden, die bereitwillig mit ihm ins Bett springen? Aber warum hat er mich dann so angeschaut, so schaut man doch keinen Menschen an, der einem nichts bedeutet. »Kayden.«,flüstere ich und meine Stimme versagt dabei fast. Molly weiß von dem Spektakel am Dienstag Bescheid, weshalb sie sofort weiß worauf ich hinauswill und drückt mich noch fester an sich. Ich bin ihr so unglaublich dankbar, dass sie ohne zu Zögern für mich da ist. Gerade dass sie nicht so viel mit Fragen löchert, ist gut. Sie muntert mich still auf und lässt mich bei sich ausheulen. Manchmal ist ein stiller Beistand mehr wert, als alles andere. Das ist das, was ich im Moment brauche. Molly ist die beste Freundin, die man sich vorstellen kann. Sie weiß immer, wie es mir geht und bemerkt, wenn es mir nicht gut geht. Jederzeit weiß sie, wie sie mich trösten kann. Das macht eine gute Freundschaft aus und ich bin verdammt stolz, dass ich sie meine beste Freundin nennen kann. Nicht viele sind mit dem Glück gesegnet, eine so enge Freundschaft zu haben. »Er ist nicht mehr da, er ist einfach gegangen«,schluchze ich und vergrabe mein Gesicht in ihre Halsgrube. Im Moment fällt es mir so schwer, nicht anzufangen in Tränen auszubrechen. Das wundert mich bei mir selber, weil ich sonst kein ach so emotionaler Mensch bin, der schnell weich wird. Kayden macht einen anderen Menschen aus mir und das bringt mich zur Weißglut. Er soll schleunigst aufhören damit. »Ich weiß. Aber ich kann nicht glauben, dass er einfach gegangen ist. Du bist Kayden wichtig, das merkt ein Blinder.« Ich würde lügen, würde ich sagen, dass ihre Worte ein beruhigendes und warmes Gefühl in meinem Magen verursachen. Aber trotzdem kann ich ihr einfach nicht glauben. Sonst wäre das alles nicht passiert. Warum kann nicht einfach alles so einfach sein?
»Na ja, er ist aber gegangen.« Langsam löse ich mich wieder von ihr und reibe mir die Augen. Ich zucke mit den Schultern und weiche Molly's untersuchendem Blick aus. Sie ist glücklich wegen Liam und ich lenke sie ab. »Hope, hör auf damit«,warnt sie mich und schaut mich streng an. Sie sucht meinen Blick und ich muss schmunzeln, als sie eine Augenbraue nach oben zieht. Früher habe ich sie immer bewundert dafür, dass sie das kann - ich kann das nämlich nicht. Traurig, was? »Na, das ist doch gut. So gehört sich das!«,sagt Molly glücklich und ihr Gesichtsausdruck hellt sich direkt auf. Sie zieht mich an dem Arm mit sich zu dem Buffet. Von dem sich eh niemand etwas holt, weil alle sich so vor Kohlenhydrate scheuen. Nur Molly ist das egal, das liebe ich auch so an ihr. Sie schnappt sich einen kleinen Muffin und nimmt einen großen Bissen. Genüsslich verzieht sie das Gesicht und stöhnt auf. Meine beste Freundin lächelt glücklich und bietet mir auch einen an. Kichernd lehne ich ab. Natürlich hat sie es wieder geschafft, mich zum Lachen zu bringen - wie immer. »Wann fliegst du morgen nach Florida?«,räuspert sie sich und schluckt ihren Bissen herunter. Stimmt, das habe ich ja fast vergessen. Morgen fliege ich nach West Palm Beach zu meinem Vater und seiner Familie. Augenblicklich steigt die Nervosität in mir und ein unwohles Gefühl macht sich in meiner Magengegend bemerkbar. War es wirklich die richtige Entscheidung? »Tut mir leid.« Molly verzieht das Gesicht und fährt sich nervös durch ihre schokobraunen Haare. »Nein, nein alles gut. Bin nur ein bisschen nervös. Morgen um zehn Uhr in der Frühe«,entgegne ich und schaue sie zuversichtlich an. Sie soll sich nicht schuldig fühlen für etwas, für das sie nichts kann. »Ich will mit zum Flughafen«,jammert sie und faltet ihr Hände, um mich anzubeten. »Ja okay. Aber beklage dich dann nicht, dass ich dir die Produktivität des Tages genommen habe«,weise ich sie zurecht. Molly ist ein Freak, was manchmal nicht so scheinen mag, aber sie ist es. In Sachen Organisation und Produktivität des Tages ist sie total pingelig. Sofort nickt sie eifrig und springt voller Euphorie auf und ab. »Danke, danke, danke!« Wie ein kleines Kind schreit sie hier herum und einige andere Mädchen drehen sich zu ihr um. Aber das ist ihr egal. Fröhlich springt sie mir in die Arme.
»Wofür denn?!«
»Keine Ahnung, aber danke!«
Ich bekomme einen starken Lachanfall und auf einmal sind all meine negativen Gefühle von vorhin verblasst. Das fasziniert mich am meisten an Molly, sie bringt einen in den schlimmsten Zeiten immer wieder zum Lachen. Doch sie drückt mich immer fester, bis ich irgendwann fast keine Luft mehr bekomme. Ich stöhne auf und beklage mich:»Nicht so fest!« Prustend löst sie sich von mir und rennt - ohne ein Wort zu sagen - zu der Damentoilette. Schallend schließt sich die Tür hinter ihr und ich schüttle lachend meinen Kopf. Oh Gott.
»Hope.« Ein Mädchen aus meiner Uni reißt mich aus meinen Gedanken, als sie auf mich zukommt und mich kritisch anstarrt.
»Hanna, was gibts?« Sie verschränkt ihre Arme vor der Brust und zieht ihre Augenbrauen nach oben. Ehrlich gesagt bin ich total verwirrt, warum sie gerade so ist. Sonst ist sie immer ein nettes Mädchen, das nicht wirklich viel spricht. »Hast du was mit Kayden?«,fragt sie mich unverblümt und ihre Stimme schreit nur so nach Stress. »Nein, was sollte ich denn mit Kayden haben?«,frage ich sie verdutzt und versuche ruhig zu bleiben. Dass sie mich das so frech fragt, gefällt mir nicht.
»Lüg doch nicht«,zickt sie mich an und verdreht provozierend die Augen. Auf einmal kann ich meine Wut nicht mehr zurück halten.
»Sag mal Hanna, ich verstehe gerade überhaupt nicht, was dein Problem ist? Kayden und ich sind Freude, aber was hat dich das überhaupt anzugehen?« Hanna ist auch auf der Columbia im zweiten Semester und ich hatte immer den Eindruck, als könne sie keiner Fliege etwas zu Leide tun.
»Kayden gehört mir!«,schreit sie mich an und spuckt mir förmlich ins Gesicht. Unwillkürlich muss ich anfangen zu lachen. Ich halte mir die Hand vor den Mund, weil meine Reaktion doch ziemlich unverschämt ist. Wobei ihre Ansage hier ist mehr als das. Wie erbärmlich ist das den bitte? Kayden gehört niemandem und wenn er das täte, würde er jedem gehören. Sie tut mir sogar fast leid, dass sie so naiv ist und denkt sie hätte wirklich eine ernsthafte Chance bei ihm. »Halte dich von ihm fern! Er liebt mich und wenn du dich nicht von ihm fern hältst, bekommst du ernsthafte Probleme, Hope Evans«,droht sie mir. Nur schade, dass sie mich mit ihrer Drohung überhaupt nicht packt. »Hanna, ich wollte dich nur daran erinnern, dass du hier mit der Tochter einer bekannten Modedesignerin sprichst. Bist du dir sicher, dass du wirklich so mit mir reden solltest und dich somit von deinem riesigen Traum Model zu werden zu verabschieden? Ich bin mir da nicht so sicher.« Gespielt ziehe ich meine Mundwinkel nach unten und mache einen dramatischen Schmollmund. Ich weiß sofort wie ich sie klein machen kann. Klingt zwar hart, ist aber leider so. Hanna träumt schon ihr Leben lang davon, für meine Mutter zu modeln und hat es schon öfters versucht. Allerdings ist sie zu klein mit ihren 160 Zentimetern.
»Ich werde dich zerstören, dass du nicht mehr so beliebt bist. Keine Sorge.« Sie versucht es aufs Neue, aber leider vergeblich. »Hanna, ich glaube du hast etwas falsches gegessen oder zu viel getrunken oder so. Du bist nicht ganz bei Verstand. Du solltest besser gehen«,antworte ich mit ruhiger aber bestimmter Stimme. Voller Empörung starrt sie mich an und ihr Mund klappt auf. Sie will noch etwas sagen, doch genau in diesem Moment kommt Molly aus der Toilette stolziert und stellt sich stirnrunzelnd neben mich. Auf einmal ist das große Selbstvertrauen von Hanna wie erloschen und sie tritt einen Schritt zurück. Zwei beliebte Mädchen sind also doch zu viel für sie. »Bye«,räuspert sich Molly neben mir und winkt Hanna zum Abschied. Dabei muss ich mir ein Lachen verkneifen - Molly kann wirklich eine echte Bitch sein. Hanna gibt nach und läuft mit langsamen unsicheren Schritt weg. Ganz genau ertappe ich sie dabei, wie sie »Bitch.« flüstert, nur schade, dass es mich nicht interessiert. Was zum Teufel war das gerade und was ist aus der ruhigen Hanna geworden? Ist sie so blind vor Liebe, dass sie die wirkliche Welt - in der sie lebt - vergisst? Hat Kayden sich so in ihr Gehirn gebannt und ihr irgendwas in den Kopf gesetzt? Ist ja klar, dass ein sensibles Mädchen, auf sowas direkt reinfällt. »Komisch.« Ich seufze und wende mich von Hanna und Molly ab, um meine Mutter zu finden. Meine beste Freundin feiert sich währenddessen selber dafür, dass sie Hanna erfolgreich verscheucht hat. So lange sie mit sich selber beschäftigt ist und bekloppt grinst, entdecke ich sie in dem großen Saal, wie sie sich unruhig mit einem Mann in ihrem Alter unterhaltet. Sie sitzen auf den Stühlen und sie rutscht nervös hin und her und schaut sich immer wieder um. Sie ist total bleich, als hätte sie einen Geist gesehen. Sofort mache ich mir Sorgen, meine Mutter ist nämlich wie ich nicht so leicht aus der Fassung zu bringen? Wer ist dieser Mann und warum ist sie so aufgewühlt? Der Mann wirkt ziemlich selbstsicher und trägt ein lockeres Hemd, das etwas zu weit aufgeknöpft ist und hat seine fast grauen Haare zur Seite gekämmt. Er ist ziemlich muskulös und hat breite Schultern. Ein wenig erinnert er an einen Bodyguard mit seiner aufrechten, trainierten Haltung. Weil ich ihn so lange anstarre, schaut er auf einmal in meine Richtung. Als ich seine stahlblauen Augen sehe, brauche ich keine Sekunde länger, um zu erkennen, wer der Mann ist. Sein Gesicht hellt sich auf. Meine Mutter folgt sie seinem Blick und als sie mich erblickt, erbleicht sie komplett. Die Angst ist ihr in das Gesicht geschrieben. Der Mann ist mein Vater.

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