Kapitel 55

42 2 0
                                    

{Hope}
»Ich weiß«,flüstere ich kaum hörbar.
»Woher?« Scheiße, sie klingt nicht so, als wäre es ihr gleichgültig. Ich hatte es geahnt, dennoch war diese Hoffnung da, dass sie endlich komplett über ihn hinweggekommen ist.
»Er hat es uns gerade am Esstisch erzählt«,erzähle ich und man hört eindeutig meine Stimmung heraus. Die nur noch mehr den Berg abgeht.
»Dieser Mann ist ein Arschloch.«
Leise höre ich es am anderen Ende der Leitung schniefen. Sie bemüht sich, dass man es nicht hört, doch dafür hab ich ein viel zu gutes Gehör.
»Mum, hör auf zu weinen.«
»Was? Warte nein, ich weine nicht. Ich...-«
Bevor sie weitersprechen kann, um mich weiterhin anzulügen, unterbreche ich sie knallhart.
»Mum, ich kenne dich. Lüg mich nicht an!«
Dennoch bemühe ich mich um einen ruhigen Ton, damit ich sie nicht nur noch mehr in ihre emotionale Phase treibe. Und ich weiß, wie lange sie in dieser Phase verweilt. Das will ich am Liebsten vorbeugen.
»Na gut. Ich weiß es auch nicht. Ich habe einfach nie wirklich abgeschlossen, schätze ich...«
»Du hattest noch Hoffnung...«,korrigiere ich sie und ich weiß, dass ich recht habe. Ich habe immer Recht, zumindest wenn es meine Mutter angeht.
Stille herrscht am anderen Ende der Leitung, was ich als Bestätigung verstehe.
»Ich komme nach New York«,beschließe ich kurzerhand. Sie braucht mich jetzt. Meine Mutter braucht mich jetzt und ich muss für sie da sein. So viel haben wir schon miteinander durchgemacht und ich weiß genau, dass es sie wirklich bedrückt. Und irgendwie kann ich sie sogar verstehen. Immerhin war mein Vater ihre erste große Liebe, vielleicht auch ihre einzige. Es ist schwer, mit dieser komplett abzuschließen. Würde ich jetzt noch sauer auf sie sein, dass sie so zerbrechlich wieder wird, aufgrund so einer Sache, würde ich alles nur noch verschlimmern. Wie könnte ich auch jemals auf sie sauer sein? Dies zeigt nur, dass sie ein Mensch ist und ein viel zu großes Herz hat. Ein Herz, dass in Tausend Stücke zerbrach, als mein Vater uns verließ. Ein Herz, dass viel zu sehr durchmachen musste, als es eigentlich durchhalten kann.
»Nein. Nein, denk nicht mal dran, Hope!«,versucht sie mir zu widersprechen, doch  sie wird es nicht schaffen. Ich denke, ich hab schon einen Beschluss getroffen und von diesem kann mich niemand mehr abhalten.
»Keine Widerrede! Es gibt ohnehin nichts, dass mich hier hält«,entgegne ich und hole meinen Koffer aus meinem Schrank. Ich schmeiße meine Kleidung achtlos in meinen Koffer und stopfe es irgendwie hinein, damit der Koffer auch noch zu geht.
»Du hast gerade erst deinen Halbbruder kennengelernt. Ihr habt so viel Zeit nachzuholen.«
»Diese Zeit geht auch nicht verloren, wir haben genug Zeit, Mum. Wir werden noch genügend Möglichkeiten uns zu sehen.«
Und das meine ich auch so. Ich würde nicht behaupten, dass mir Eathon weniger wichtig ist. Dennoch ist er im Moment zweitrangig, wenn meine Mutter in New York sitzt und mich braucht. So oft sie auch noch behaupten will, dass es nicht so ist, werde ich immer wissen, dass sie lügt.
»Du bist dir sicher? Wegen dem Ticket, da bekommst du sicher nicht so schnell eins.«
Sie will echt nicht locker lassen. Dabei weiß sie ganz genau, dass sie mich ohnehin nicht mehr umstimmen kann.
»Dad wird schon dafür sorgen, dass ich eins bekomme«,antworte ich überzeugt und verschließe meinen Koffer.
»Na gut. Halt mich auf dem Laufenden.«
Endlich. Endlich hat sie nachgegeben. Ich hatte zwischendurch echt daran gezweifelt, dass sie mich wirklich in diesen Flieger steigen lässt. Sie hätte mich trotzdem niemals davon abhalten können. Denn mir ist meine Familie - und vor allem meine Mutter - mit am Wichtigsten. Lange hätte ich es sowieso nicht mehr hier ausgehalten. Dafür zieht mich mein Vater zu weit herunter, zu viel Scheiße passiert hier. Klar, sind auch echt schöne Sachen geschehen, was ich gar nicht leugnen will. Aber in diesem Moment ist mir alles andere egal, außer das Wohl meiner Mutter.
All die Jahre stand sie an meiner Seite, war für mich da,kämpfte für mich und sie. Obwohl sie ganz alleine war und sich allein um mich kümmern musste. Ich kenne keine stärkere Frau als sie. Auch wenn sie jetzt für einen Moment vielleicht schwach ist, beweist das nur noch mehr Stärke. Im Moment könnte ich mich echt für ein paar Taten in der Jugendzeiten schlagen, wo ich sie nicht immer zu schätzen wusste. Desto mehr tu ich es jetzt.
Diese Frau - mal ganz abgesehen davon, dass sie meine Mutter ist - hat das Beste verdient. Einen Mann, der sie wahrhaftig schätzt und immer an ihrer Seite steht und sie bedingungslos liebt, genauso wie meine Mutter es immer macht.
»Ich liebe dich, Mum. Bis bald«,flüstere ich und lege danach direkt auf. Ich bin mir sicher, dass sie gerade auf ihr Handy schaut und lächelt. Ein Lächeln, dass so viel Schmerz versucht zu überspülen, aber auch ein wahres Lächeln, voller Stolz auf ihre Tochter. Ihre Tochter, für deren Charakter und Verhalten nur sie verantwortlich ist.

Schnell gehe ich die Treppen hinunter und atme erleichtert aus, als ich alle noch am Tisch vorfinde. Sie schauen mich erwartend an, also will ich sie nicht länger auf die Folter spannen.
»Ich bin gerade zu dem Entschluss gekommen, zurück nach New York zu fliegen. Sicherlich weiß ich, dass das ziemlich plötzlich ist, aber da sind ein paar Personen, die mich dort brauchen. Ich will für sie da sein und ihnen das zurückgeben, was sie mir schon alles gaben.«
Als ich den Blick von Kayden erhasche, wird es mir warm ums Herz. Anders als die anderen, die mich lediglich geschockt anstarren, lächelt er mich stolz an. Dieser Junge ist einfach perfekt. Perfekt für mich.
»Dad, kannst du mir bitte so schnell wie möglich ein Ticket besorgen?«,frage ich ihn und verschränke die Arme vor der Brust.
Perplex kramt er sein Handy aus der Tasche seines Jacketts und tippt etwas darauf herum.
Nach kurzer Zeit legt er es wieder weg und entgegnet:»Ja, dein Flug geht um 17 Uhr.«
Um die vier Stunden habe ich noch Zeit, was ziemlich praktisch ist, vor allem weil ich immer sehr gerne früher am Flughafen bin.
Außerdem gibt es noch Personen, von denen ich mich verabschieden muss. Für keine lange Zeit, was mir bewusst ist, dennoch ist ein Abschied und ein Dankeschön notwendig. Das ist es immer.
»Vielen Dank.«
Ich zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen und nicke ihm zu. Sofort wendet er seinen Blick ab und nimmt einen Schluck von seinem Wein.
Die einzige Sache, die er heute richtig gemacht hat, ist das Buchen des Tickets. Auch wenn es mir schwer fällt, bin ich ihm dafür sehr dankbar. Er hätte auch weiterhin einfach den Arschloch spielen können und mir es verbieten können.
Schließlich traue ich mich endlich auch mal zu Eathon zu schauen und als ich das mache, kann ich meinen Augen nicht trauen.
Sind das etwa Tränen?!
Nur mit Blicken kommuniziere ich mit ihm, dass er kommen soll, damit wir uns unterhalten. Ohne zu Zögern steht er auf und verschwinden oben auf mein Zimmer. Ein Zimmer, das nicht mal wirklich meins ist. Dennoch habe ich mich sogar daran gewöhnt, mit dem unglaublich bequemen Bett und dem unfassbaren Blick auf die Stadt.
»Hope, du willst jetzt schon gehen?« Tatsächlich habe ich mich nicht geirrt und da schimmern wirklich Tränen in seinen Augen.
»Ja, aber das liegt nicht an euch, besonders nicht an dir. Meine Mutter braucht mich gerade und ich will einfach für sie da sein, verstehst du? Aber hey, kleiner Bro, du kannst immer zu uns kommen und ich komme auch sicherlich regelmäßig hierher.«
Ich wuschele durch seine Haare und mache seine Frisur kaputt, wofür ich erst einmal einen zornigen Blick ernte.
»Versprochen?«,fragt er noch einmal verunsichert nach. Auf einmal kullert ihm eine Träne über die Wange, die er sofort wegstreicht, in der Hoffnung, dass ich sie nicht gesehen habe. Jedoch bin ich nicht dumm und habe es natürlich direkt gesehen. Immerhin bin ich Hope Evans.
»Versprochen. Und hey! Bald bist du offiziell auch ein Evans. Die Hochzeit ist auch bald, wo wir uns sehen werden. Siehst du, es dauert nicht einmal mehr lange.«
Ich lache und verspüre dieses Mal nicht einmal mehr einen Schmerz, der meinen Körper durchströmt, als ich das Wort »Hochzeit« erwähne.
»Stimmt. Wir telefonieren und schreiben uns.«
Zustimmend nicke ich und schließe ihn in meine Arme. Er erwidert die Umarmung sofort und drückt mich noch fester an sich. Wie auch mir, ist ihm Familie sichtlich auch sehr wichtig.
Was auch gut so ist. Freunde kommen und gehen, doch Familie bleibt für immer. Ein Satz, der so unglaublich viel bedeutet.
»Ich werde wahrscheinlich ein Date haben an der Hochzeit«,nuschelt Eathon auf einmal in die Umarmung hinein. Sofort löse ich mich von ihm und springe auf und ab, wie ein kleines Kind, das bekommt was es will. Was ja auch stimmt.
»Wohoooo! Mission completed!«jubele ich glücklich und falle ihm aufs Neue in die Arme.

My Happy-EndWo Geschichten leben. Entdecke jetzt