Kapitel 11

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„Man hat mich gerufen?“, fragte die Frau, Atianna. Sie stand nun auf einem kleinen Sockel in einer gewissen Höhe, doch man erkannte deutlich ihre Schönheit. Sie hatte blasse, reine Haut und lange, schneeweiße Haare. Ihre Haare gingen ihr bis zum Bauchnabel und waren offensichtlich zu Locken gedreht. Da drin steckten rote Muscheln, die anscheinend als Spangen dienen sollten. Atianna trug ein langes, feuerrotes Kleid und hatte einen Lippenstift drauf in derselben Farbe. Sie hatte eine perfekte Figur, lange dünne Beine, eine gute Oberweite und eine superschöne Taille. Ich merkte, wie ich eifersüchtig wurde und versuchte, nicht links zu Zack zu gucken.

„Der Rat wünscht, dass wir mit Ihnen reden.“, antwortete dieser in einem höflichen Ton. Atiannas Augen wanderten von mir zu ihm und blieben an Zack hängen. Ein Ausdruck huschte auf ihr Gesicht, wahrscheinlich der gleiche wie bei mir, wenn ich mich in Zacks Aussehen verlor.
„Der Rat hat schon lange nichts mehr von mir und meinem Volk gewünscht. Wieso jetzt auf einmal?“, erwiderte Atianna.
„Es gab…einige Zwischenfälle in letzter Zeit. Und nun braucht der Rat die Hilfe von Ihnen und Ihrem Volk.“

„Was springt dabei für mich raus? Wie du sicher weißt, habe ich nicht gerade Sympathie für den Rat über.“
Ich wurde wütend. In meinen Forschungen, die ich zu Hause gemacht hatte, erfuhr ich, dass Atianna oft nur haarscharf dem Tod entgangen ist und dass sie immer wieder Konflikte mit dem Rat hatte. Wieso also tat sie nun nicht einfach das, was wir von ihr verlangten?
„Also ehrlich, du kannst uns ja wohl mal diesen einen kleinen Gefallen tun.“, platzte ich heraus und hätte mich danach direkt wieder ohrfeigen können. Zack sah mich wütend an, doch so schnell wie sein Gesicht sauer wurde, so schnell war es auch wieder weg und nahm einen neutralen Ausdruck an. Atianna hingegen wandte den Blick nun wieder zu mir. Sie sah mich von oben bis unten an und schien dabei kein Detail auszulassen. Dann sagte sie sehr langsam: „Ach, sieh mal an. Die Engelstochter gibt mir auch die Ehre, sie nochmal bei lebendigem Leib zu Gesicht zu bekommen. Also ehrlich, das du vom Engel abstammst, sieht man sofort.“

Mit großen Schritten kam sie auf mich zu und streckte mir ihre langen Finger entgegen. Sie berührte leicht meine Wange und ich erschrak zusammen, wie heiß ihre Hand war. Am liebsten würde ich zurückweichen, doch ich konnte keinen Muskel bewegen. „Deine Haut ist wirklich so weich, wie man sagt.“, flüsterte Atianna mit riesigen Augen. „Und dein Haar wirklich so goldig, wie man behauptet.“ Gerade, als sie mit ihren Fingern meinen Mund berühren wollte, stellte Zack sich zwischen uns. Er hatte ein leuchtendes Schwert in der Hand und presste zwischen zusammengepressten Zähnen hervor:
„Lass sie in Ruhe. Fass sie nicht an.“
„Nanana. Wo ist denn dein Siezen hin?“, fragte Atianna mit einem zuckersüßen Lächeln, doch ging ein paar Schritte zurück.

„Ich dachte, es ist unnötig, da du mich ja auch nicht siezt.“, erwiderte Zack kalt. „Und niemand hat dir erlaubt, sie anzufassen.“
Atianna riss die Augen spöttisch auf, bevor sie meinte: „Ich erlaube mir alles selber. Das solltest du so langsam doch mal wissen. Außerdem wollte ich doch nur mal gucken, ob sie wirklich so schön ist, wie behauptet wird.“
„Wir sind nicht hier, um über Julies Aussehen zu reden. Du sollst uns einfach nur diesen Text hier übersetzten, mehr nicht.“, erklärte Zack und reichte Atianna den Zettel, den ich gefunden hatte damals in der Wohnung.
„Wenn du dein albernes Schwert wieder einsteckt, kann ich es mir wenigstens mal ansehen.“, meinte sie. Murrend packte Zack sein Schwert weg. Selbstgefällig lächelte sie ihn an und begann dann den Zettel aufmerksam zu studieren.
Nach einigen Minuten stellte sie fest: „Das ist alt-dämonisch.“

„Ja, das ist es.“, meinte ich leise. Atianna warf mir nur einen kurzen Blick zu, bevor sie laut in die Hände klatschte.

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