Kapitel 20

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Als ich die Halle betrat, stockte mir der Atem. Der Saal war riesig! Dort, wo Zack und ich hineintraten, stand eine kleine Bar mit Getränken oder auch Snacks. Vor der Bar auf Hockern saßen verschiedene Gestalten, die sich unterhielten und dabei eine Flüssigkeit tranken, die blau schimmerte. Die Gestalten waren ebenfalls bläulich und ein Blick auf ihre Hände verriet mir, dass sie Wasserwesen sein mussten mit ihren Schwimmhäuten. An der Decke des Saals prangte ein großer Kronleuchter, der sich in der Mitte eines zuerst wunderschönen Gemäldes befand. Das Gemälde zeigte einen Engel, der die Arme und Schwinge weit ausgebreitet hat. Unter ihm stand ein Dämonenjäger, der sein Schwert hob und es gegen den Engel richtete. Doch der Dämonenjäger wurde von allen Seiten von Schattenweltnern umstellt, die allem Anschein nach auf der Seite des Engels waren. Ich schüttelte mich und wandte meinen Blick wieder dem Boden zu. Links und rechts an den Wänden des Saales standen Tische mit Stühlen oder auch Sofas. Auf ihnen saßen eine Reihe von Werwölfen oder Gnimms. Ein Orchester spielte Musik von einem Podest, links und schräg von Zack und mir. Ich erkannte in einiger Entfernung die Eingangstür, durch die man jetzt nur noch durch eine weitere Flügeltür gelang. Zwei geschwungene Treppen dienten dafür, in die oberen Etagen zu kommen. Die Fensterfront hinter mir verschwand in der Menschenmenge und ich musste mich zwingen, mich nicht nochmal umzudrehen und Liam, Anni und Nail anzugucken. Um mich abzulenken, konzentrierte ich mich auf meinen Gang und meinen Gesichtsausdruck. Zack raunte mir möglichst unauffällig wichtige Informationen zu: „Siehst du die Frau da vorne? Die in dem schlammgrünen Kleid mit den weißen Augen und den weißen Haaren? Das ist Olivia Baskin, die Cousine von Atianna. Sie wird ihre Nachfolge antreten. Oder den älteren Mann, der die Frau auf dem Schoß hat? Mit den gelblichen Augen und der ziemlich stark behaart ist? Das ist Lewis Haddock, der Leiter des Werwolf-Clans von London. Er hat schon mehrere Dämonenjäger auf dem Gewissen, aber der Rat konnte ihm die Morde nie richtig nachweisen, weswegen er noch immer auf freiem Fuß ist.“ Ich sah zuerst die Frau, Olivia, an und danach Lewis. Er war wirklich stark behaart und strich der Frau auf seinem Schoß über den Rücken. Ich warf meinen Kopf in den Nacken und regte mein Kinn in die Höhe. Natürlich habe ich über Amelia recherchiert. In den Büchern des Institutes stand, dass sie eine ordentliche Portion Arroganz und Egoismus ausstrahlte und den anderen ziemlich kühl entgegen trat. Ihre Schwärmerei für Alexander bestand allerdings schon länger, in der Schattenwelt war dies kein Geheimnis mehr. Deswegen trat ich näher an Zack heran und hauchte ihm zu: „Wer ist dieser Mann?“ Mein Blick galt einem älteren, in einem dunkelblauen Mantel gehüllten Mann, der sich nahe des Orchesters angeregt mit einem anderen Mann unterhielt.

„Das ist Bruce Davison, der Hausbesitzer. Manche sagen, er kann Gedanken lesen, andere meinen, er kann jemanden umbringen ohne ihn auch nur zu berühren. Er leitet den Vampir-Clan Londons.“, erklärte Zack und hob grüßend die Hand, als Bruce den Blick zu uns warf.

Ich fühlte mich unwohl zwischen all den Schattenweltnern, die über die Nephilim herzogen oder sich unterhielten, was es neues auf dem Schwarzmarkt gab. Ich wirkte fehl am Platz, trotz der Gestalt Amelias und meines schauspielerischen Talentes. Zack hingegen schien auf dem Ball vollkommen aufzugehen und wirkte so, als würde er den ganzen lieben langen Tagt nichts anderes machen, als sich in einen Vampir zu verwandeln und sich mit anderen Schattenweltnern zu unterhalten. Den Blick in die Höhe gereckt folgte ich Zack an den Rand zu einem Tisch, um mich dort mit ihm leise zu unterhalten. Wir mussten rüber kommen wie ein frisch verliebtes Paar, das am liebsten ganz unter sich wäre. Ich warf den Blick über das gesamte Szenario und erst jetzt fiel mir auf, dass zwei Wasserbecken an den Wänden zur Terrasse hin standen und darin Meerjungfrauen schwammen. Sie sangen in hohen, hellen Tönen verschiedene Strophen und waren wunderschön. Lange, schuppenbesetzte Flossen in allen möglichen Farben waren zu sehen mit dazu passenden Oberteilen und langen, hellblonden oder dunklen Haaren.
„Das sind Nixen. Wahrhaftig wunderschöne Geschöpfe, finden Sie nicht?“, fragte mich eine unbekannte Stimme. Ich fuhr herum und erkannte eine Frau, die sich genüsslich über die Lippen fuhr. Sie hatte ein dunkelblaues, kurzes Kleid an und betonte damit ihre extrem dünnen Beine. Ihr ganzer Körper wirkte zart wie Porzellan. Da sie ziemlich blass war, hatte sie Reusch drauf, um ihrem Gesicht einen gewissen Teint zu versetzten. Ihre Haare waren pechschwarz und  fielen ihr lockig über den Rücken. Nur einzelne Strähnen waren hinten zusammen gehalten. Ihre Füße steckten in hohen Schuhen, die die gleiche Farbe ihres Kleides hatten. Und trotzdem war sie mindestens einen halben Kopf kleiner als ich. Jetzt wandte sie ihre Augen mir zu und ich musste feststellen, dass ich noch nie so faszinierende Augen gesehen habe. Lange, rabenschwarze Wimpern umgaben sie und die Augenfarbe war so besonders, dass ich kurz blinzeln musste. Die Frau hatte alle Augenfarben zusammen, wie ein Regenbogen und strahlte damit vollkommene Wärme aus. Jetzt bückte sie sich kurz, um ihren Schuh fester zu schnüren und ich erkannte die Flügel an ihrem Rücken. Zart wie Pergament und schnell schlagend, wie kleine Propeller.

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