Kapitel 12 - Zack's Sicht -

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Als ich die Wasseroberfläche durchbrach, schnappte ich keuchend nach Luft. Kalte Luft drang in meine Lunge und stach dort wie winzige Eiszapfen. Es regnete und die Tropfen waren wie Nadeln auf der Haut. Ich wusste, dass ich in der Mitte des Sees war und erkannte verschwommen das Ufer. Tief holte ich nochmal Luft, denn das Tauchen war selbst für mich anstrengend. Gerade, als ich losschwimmen wollte, fiel mir etwas auf. Wo war Julie? Ich schwamm im Kreis, doch sah sie nirgendwo. Panik und Angst erfasste mich, so wie immer, wenn sie in Gefahr war. Ich wusste, dass sie noch unter Wasser sein musste. Also nahm ich einen letzten, tiefen Zug, bevor ich wieder untertauchte. Mit kräftigen Zügen schwamm ich in die Tiefen des Sees und sah mich nach allen Seiten um. Ich schwamm immer tiefer und wusste, dass ich bald am Grund des Sees ankam. Meine Luft hielt nicht mehr lange und ich wollte gerade wieder zurück schwimmen, als ich ihre blonden Haare sah.

Julie wurde von zwei Wasserwesen in die Tiefen gezogen. Ich erkannte sowohl an ihrem Arm als auch an ihrem Hals klaffende Wunden. Schnell schwamm ich zu ihr und haute einem der Wasserwesen kräftig auf den Kopf. Es ließ von Julie ab und gab mir so die Chance, ihren Arm schnell zu greifen. Er war eiskalt und blau. Mit einem speziellen Tritt von Dale legte ich auch das zweite Wasserwesen um und dankte ihm für die ganzen Tricks. Ich nahm Julie in den Arm und schwamm so schnell wie ich konnte an die Wasseroberfläche. Je näher ich ihr kam, desto froher war ich und als ich endlich die Oberfläche durchbrach und die Luft in meine Lunge strömte, hätte ich vor Glück schreien können. Doch als mein Blick auf Julie fiel, war das Glücksgefühl sofort wieder verschwunden. Sie war bleich. Sehr bleich. Und der bläuliche Mund machte mir auch ziemliche Sorgen. Ich schwamm so gut es ging mit ihr zum Ufer und trug sie in die Wiesen. Es war nass und glitschig, da es immer noch in Strömen regnete. Ich setzte mich auf meine Knie neben Julie. Vorsichtig strich ich ihre Haare aus ihrem Gesicht und strich ihr nicht mehr weißes Kleid glatt. Sie sah schön aus, obwohl sie kein Bewusstsein hatte und ihre Augen geschlossen waren. Ich sah mir ihre Wunden an und ein komisches Gefühl beschlich mich. Sie sahen nicht gerade gut aus. Ich zog meine Lederjacke aus und legte sie über sie, damit ich sie so ein wenig wärmen konnte. Dann beugte ich mich über Julie und presste meine Lippen auf ihre ohne groß nachzudenken. Ich blies ihr kräftig Luft in die Lunge, immer wieder. Ihre Lippen waren weich und genauso voll, wie ich es mir immer vorstellte. Dann hockte ich mich hinter sie und zog ihren Kopf auf meinen Schoß.

„Julie?“, flüsterte ich leise. „Julie? Alles gut? Hörst du mich?“
Keine Antwort. Sie rührte sich nicht. Ich probierte es wieder und als ich ein Flackern in ihren Augenliedern bemerkte, hätte ich vor Erleichterung heulen können. Langsam öffneten sich ihre Augen und sahen mich geschockt an. Ihre Schminke war verschmiert und hinterließ lange schwarze Spuren auf ihren weißen Wangen. Ich sah sie an, ihre wunderschöne Augenfarbe, die ich noch nie irgendwo sonst gesehen habe. Ihre Haare fielen in wilden Strähnen in den Schlamm und ich merkte, wie der Regen in Strömen von uns abpellte.
„Was…was? Hä?“; stotterte sie heiser und leise.

„Pscht. Wir springen gleich zurück. Dann bring ich dich zum Arzt. Bleib einfach still liegen.“, erklärte ich ihr. Sie sah mich panisch an. Eigentlich wollte ich ihr sagen, dass alles gut wird. Dass sie keine Angst haben muss, aber ich wusste es ja selbst nicht mal genau. Also konnte ich nichts tun, außer ihren Kopf beruhigend zu halten und zu beten, dass wir langsam zurückspringen. Und ich hatte mal wieder Glück, denn in dem Moment erfasste mich das Schwindelgefühl und der See vor mir begann sich zu drehen. Ich krallte mich an Julie und kurz darauf landeten wir unsanft auf dem Boden des Instituts. Sie stöhnte schmerzhaft auf und es gefiel mir gar nicht, dass sie die Augen wieder geschlossen hatte.
„Ich bring dich zu Cally, sie wird dir helfen können.“, meinte ich leise. Vorsichtig hob ich sie hoch und war erstaunt, wie leicht sie war. Wir waren in der Eingangshalle, was gut war. Denn so brauchte ich nicht besonders lange bis zum Krankensaal. Schnell drückte ich auf den Knopf des Fahrstuhls. Ich war ungeduldig und Julie machte mich fast wahnsinnig, so krank wie sie aussah. Bei Cally angekommen kümmerte ich mich nicht um meine nassen und triefenden Sachen, ich legte Julie auf ein Krankenbett und trommelte an Cally‘s Tür.

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