15 - Chile

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Mit einem merkwürdigen Gefühl packe ich am frühen Nachmittag meine Reisetasche. Heute Abend geht der Flug nach Chile und ich weiß nicht so recht, was ich erwarten soll. Ich bin nur erleichtert, das Valu die Sache nicht so verkompliziert. Ich kenne diese Frau und es hat mich überrascht, dass sie nicht direkt zu Cande gefahren ist, um ihr einen Vortrag zu halten. 

Okay, wer weiß, vielleicht ist sie gerade auf den Weg zu ihr, da sie von der Arbeit eigentlich schon wieder da sein müsste. Kaum das ich darüber nachgedacht habe und mir ein paar Sorgen mache, höre ich die Haustür und dann die engelsgleiche Stimme meiner Verlobten.

Ich lasse das packen für ein paar Sekunden sein, öffne die Schlafzimmertür und unsere Blicke begegnen sich im Gang. Sie sieht durch den Wind aus, aber positiv gesehen. 

"Alles okay?", hake ich deswegen direkt nach, ziehe sie in meine Arme, als sie nah genug an mir dran steht. 

"Alles bestens", drückt sie mir grinsend einen Kuss auf die Lippen, legt ihre Arme um meinen Hals.

"Sicher? Du wirkst aufgeregt."

"Ja, sehr sicher. Du bist heute Abend weg, das wird ungewohnt, mehr nicht."

"Wie war die Arbeit?", drücke ich ihr noch einen Kuss auf die Schläfe, lasse sie dann los und zusammen laufen wir ins Schlafzimmer. 

"Anstrengend, aber ich liebe diesen Job, also alles super. Und bei dir? Wie weit bist du mit packen?"

"So gut wie fertig, ich brauche ja nicht so viel", räume ich noch zwei Pullis in die Tasche, als Vale sich ihr Shirt auszieht und es ebenfalls in die Tasche packt. 

"Ja ich weiß, es ist kitschig, aber es riecht nach mir und vielleicht vermisst du mich ja ein bisschen", zuckt sie unschlüssig mit den Schultern, geht schon zum Kleiderschrank, um sich ein neues Oberteil zu holen, als ich mit zwei Schritten hinter ihr stehe, meine Arme um ihren Bauch lege. 

"Du bist der süßeste Mensch auf der Welt, dankeschön", drücke ich ihr einen Kuss auf die Wange und sie lehnt sich an meine Brust.

"Sicher das du alleine mit der blöden Kuh fliegen willst?"

"Ja, ich glaube die Ex meines Vaters und Mutter meines Kindes ist da nicht die schlechteste Option", widerspreche ich ihrer Umschreibung, kann mir ihren Gesichtsausdruck und ihre Gedanken nur allzu gut vorstellen. 

"Klar nimmst du sie in Schutz", brummt sie, löst sich von mir und greift wahllos nach einem Shirt, welches sie sich überzieht. 

"Ich nehme sie nicht in Schutz, aber ich muss in Zukunft auch weiterhin mit ihr auskommen und du würdest mein Leben erleichtern, wenn du es auch versuchst."

"Nenn' mich nachtragend, aber sie hat dich betrogen und belogen und was weiß ich denn noch."

"Du hast mich auch belogen und betrogen", kann ich mir diesen Kommentar nicht verkneifen, weiß was ich damit auslöse. 

"Du vergleichst mich also jetzt mit ihr?", dreht sie sich zu mir um, verschränkt die Arme vor der Brust. 

"Ich will dir nur vor Augen führen, das kein Mensch perfekt ist."

"Nein, du willst mir nur wieder mal sagen, was ich für Fehler gemacht habe."

"Nein", schüttel ich meinen Kopf.

"Ich weiß, ich hab dich verletzt und ich habe mich so oft bei dir entschuldigt, aber mir das immernoch vorzuwerfen geht gar nicht", bekomme ich ihren eisigen Blick zu spüren. 

"Ich werfe dir überhaupt nichts vor, ich-"

"Lass gut sein, ich will es nicht mehr hören", unterbricht sie mich, verlässt fluchtartig das Zimmer. 

Vielleicht war das ein bisschen unter der Gürtellinie, aber ich ertrage es nicht mehr, dass sie Candelaria bei jeder Gelegenheit schlecht macht. Sie ist die Mutter von Leo und ich will nicht mit ihr streiten, schon alleine zum Wohle des Kindes. Nur scheint meine Verlobte das einfach noch nicht zu verstehen.

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Das Taxi wartet schon mit Cande vor der Tür, von Valentina keine Spur. Ich dachte, wir würden uns noch voneinander verabschieden, aber wenn sie bockig sein will, dann soll sie das eben.

Meine Laune ist dementsprechend schlecht, als ich mich neben Cande ins Taxi setze, was sich direkt auf den Weg macht. Ich antworte nur sporadisch auf ihre Fragen, wenn überhaupt. Irgendwann merkt sie, dass es sinnlos ist, gerade mit mir zu sprechen. So bewegen wir uns schweigend am Flughafen, bis wir nach Ewigkeiten im Flugzeug sitzen. Auch dort redet sie nicht mit mir, wofür ich dankbar bin.

Bis zum Schluss hoffe ich, das Vale mir noch schreibt, aber als ich meinen Flugmodus anmachen muss, habe ich noch keine Nachricht von ihr auf dem Handy. Enttäuscht stecke ich mir meine Kopfhörer ins Ohr, schalte meine Musik an, um für die nächsten zweieinhalb Stunden abzuschalten.

Der Flug vergeht schnell, Candelaria und ich meiden weiterhin den Kontakt, bis wir letztlich landen und vor dem Flughafen mit unseren Sachen stehen. 

"Der Weg zum Haus ist nicht weit, wir können zu Fuß gehen, außer du willst lieber mit dem Taxi fahren", redet meine Ex die ersten Worte wieder mit mir, als sie mal nötig sind. 

"Frische Luft ist super, von mir aus können wir laufen", stimme ich ihr zu, folge ihren Schritten schweigend. 

Es ist schön meine Heimat wiederzusehen. Ich war wirklich viel zu lange nicht mehr hier, ich muss öfters herkommen.

"Ist sehr ungewohnt für dich, oder?", wagt Cande einen kleinen Vorstoß, möchte eine Konversation beginnen. 

"Es ist mir so fremd, gleichzeitig aber auch so vertraut", gebe ich ihr eine ehrliche Antwort. Ich bin nicht sauer auf Cande, da muss ich meinen Frust nicht an ihr auslassen. 

"Ich weiß was du meinst. Bei mir sind es zwar nur ein paar Monate, seit ich das letzte Mal hier gewesen bin, aber merkwürdig ist es trotzdem noch."

"Wie schwer fällt es dir gerade, hier zu sein?", blicke ich zu ihr rüber. 

"Es geht, ich glaube morgen an seinem Grab wird es die Hölle, aber noch kann ich ganz gut mit der Sache umgehen."

"Ich danke dir, das du mitgekommen bist. Ich glaube alleine, würde ich einen Rückzieher machen und den erstbestes Flug nehmen."

"Noch sind wir nicht da gewesen, also dank mir vielleicht nicht zu früh", erwidert sie schmunzelnd meinen Blick und auf meinen Lippen zeichnet sich ein Lächeln ab.

"Willst du mir erzählen, wieso du so eine schlechte Laune hattest?"

"Krach mit Valentina", antworte ich kurz angebunden, möchte es nicht unbedingt weiter vertiefen. 

"Wegen mir?", fragt Cande trotzdem weiter.

"Indirekt, aber eigentlich geht es um eine andere Sache."

"Du kannst sie mir ruhig erzählen, ich werde niemanden verurteilen oder das irgendjemandem erzählen."

"Es gab eine Meinungsverschiedenheit und die hat sich hochgeschaukelt, nichts dramatisches", hält mich irgendwas davon ab, Cande mehr darüber zu erzählen.

Sie braucht nichts von den Problemen zwischen Valu und mir wissen, die gehen niemanden was an.

"Ich merk schon, du willst nicht darüber reden und das akzeptiere ich. Nur weiß ich besser, als jede andere Person, dass es nicht besonders clever ist, die Sachen in sich hineinzufressen. Früher oder später zerstören sie einen", bekomme ich einen Blick voller Mitleid von ihr.

"Ich weiß, aber aktuell würde ich nur mit Valentina darüber sprechen wollen", zeige ich der Mutter meines Kindes direkt die Grenze.

Candelaria meint es nur gut, allerdings lässt mich etwas an ihr zweifeln. Vermutlich weil Vale mir diesen Dämon in den Kopf gepflanzt hat. Mit ihrem Misstrauen macht sie mir und sich selbst das Leben schwer.

"Okay...falls du irgendwann reden willst, dann bin ich da", lässt sie das Thema ruhen, bietet ihre Hilfe aber an.

Ich rechne ihr das hoch an, ich glaube morgen wird für uns beide ein harter Tag.

Das ist natürlich top, wenn man sich vor der Abreise noch streitet. :D

Amor Al LímiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt