Kapitel sieben | Ossi muss zur Hilfe eilen

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„Hey Schnucki", begrüßte mich Victor Jameson als ich die Bar betrat. Zu dieser Uhrzeit an einem Dienstag Nachmittag war sie noch so gut wie leer. Man hätte nicht mal erahnen können, was hier am Abend abging. „Du hast erst Freitag wieder Schicht, Ricky!"

Victor wusch gerade Gläser ab als ich mich ihm gegenüber an die Bar setzte und grinste mich schief an. „Wo brennt's? Kann Onkel Victor aka der einfühlsame Sex- und Beziehungsberater, welcher immer ein offenes Ohr für dich hat, dir helfen? Und für dich ganz besonders, Herzblatt."

Victor war schwul und das auch auf eine sehr euphorische Art und Weise. Er ließ alle Schwulen-Klischees innerhalb von Sekunden ans Licht und tanzte mit seiner Regenbogenfahne auf einem Einhorn, was Glitzer auskotzt, in den Sonnenuntergang. Und ich fand es einfach nur geil.

Ich lächelte. „Alles gut."

„Lüg' nicht, M!" Hinter Victor tauchte plötzlich seine Zwillingsschwester Vivienne auf. „Du weißt genau, wir beide haben einen sechsten Sinn. Wir können deine Probleme förmlich riechen."

Ihr Bruder nickte so stark, dass ich fast Angst bekam sein Kopf würde gleich abfallen. „Ja, das können wir", sagte er dann wichtigtuerisch. „Also Rickyboy: welches Girl oder welcher Boy weiß wie er dich um den Finger wickeln kann?"

Das ich Bi war, war für die beiden natürlich auch kein Geheimnis. Zum Glück hatten Victor und ich nicht den selben Männergeschmack. Das würde nicht gut ausgehen.

„Da ist niemand", log ich grinsend. Die einzigen, die von Wyatt wussten waren Oscar, Leo und Sofia. Anderen würde ich es auch nicht erzählen. Nicht mal den beiden. „Aber ich hab tatsächlich 'nen anderes Problem."

„Schieß los", sagten beide gleichzeitig ohne mit der Wimper zu zucken und sahen mich mit dem selben Blick aus ihren grünen Augen an. Eine Mischung aus fragend, bittend und verwirrt. Alter, diese Zwillings-Scheiße war manchmal echt gruselig.

„Ich kann Freitag meine Schicht nicht übernehmen", ließ ich die Bombe (obwohl es in meinem Fall wahrscheinlich eher ein kleiner Luftballon war) platzen.

Victor blinzelte mich ungläubig an. „Und der Grund dafür ist definitiv kein sexy Boy oder Girl?", sagte er sarkastisch. „Klar, versteh' ich, Bro."

Vivienne legte sich eine Hand auf die Brust und machte einen übertriebenen entrüsteten Laut. Dramaqueen. „Du hast uns angelogen Maverick?!", sagte sie immer noch gespielt schockiert und würde ich sie nicht schon eine ganze Weile lang kennen, hätte ich ihr diese Schauspielerische Leistung definitiv abgekauft.

„Ich würde nie absagen wenn es nur um ein sexy Irgendwas gehen würde", brummte ich und konnte nicht verhindern einen auf schlechtgelaunt zu machen.

„Nein", lachte Victor, „Du würdest gar nicht erst absagen, stimmt's V?"

„Boa, schraubt wieder 'nen Gang runter, Vic", sagte ich grinsend. Er hatte wahrscheinlich recht. „Nein ernsthaft jetzt: Ich hab jetzt 'nen Nachhilfelehrer, der mir Freitag Nachhilfe geben will und Mr. Henderson bringt mich um, wenn ich nicht gehe."

Das war nur die halbe Wahrheit. Mr. Henderson wäre vermutlich enttäuscht, aber einen Mord würde ich ihm nicht zu trauen. Außerdem freute ich mich irgendwie drauf? Ich meine, ich würde für eine ganze Weile mit Wyatt Badgley abhängen können – auch wenn es nur darum ging einen Scheiß Geschichtsaufsatz zu schreiben. Und ich konnte Mr. Henderson auch nicht mehr wirklich böse sein, dass er mir diesen aufgedrückt hatte.

Als ich Sofia davon erzählt habe ist sie komplett ausgerastet und ich musste ihr versprechen, ihr alles bis ins kleinste Detail zu erzählen. Oscar und Leo hatten nur gegrinst und Sofia beobachtet. Ich wusste, dass sie sich mindestens genauso für mich gefreut haben, aber wir Typen waren nicht so krass im Gefühl zeigen und so. Klischees am Start, ich weiß, aber wir bekommen nichts besseres beigebracht hier auf der Eastside. Väter geben ihre schlechten Angewohnheiten an ihre Söhne weiter. Das ist auch so ziemlich das einzige, was wir von unseren Vätern gelernt hatten. Keine Gefühle zeigen, denn das macht schwach. Und wenn wir schwach waren, dann würden wir so enden wie sie. Besoffen 24/7.

„An deiner Grammatik üben wir noch, mein Hübscher", sagte Victor und zwinkerte mir zu. „Schnucki, dann sag' Ossi Bescheid, dass wir vielleicht ihn am Freitag brauchen. Oder ich sag's ihm einfach selbst."

Ein dreckiges Grinsen formte sich auf seinen Lippen. Es war kein Geheimnis, dass Victor ein Auge auf Oscar Lyall geworfen hatte. Jap, er fand meinen besten Freund unglaublich sexy. Zugegebenermaßen war das total berechtigt. Oscar war einer der hübschesten Typen, die ich je gesehen hatte. Die Michelangelo-David-Vibes bringen anscheinend Pluspunkte.

„Vielleicht, aber nur vielleicht, sollte ich ihn selbst fragen", meinte der männliche Jameson-Zwilling und beugte sich mit den Augenbrauen wackelnd ein wenig über den Tisch, welcher uns von einander trennte. „Was meinst du, Hübscher? Wenn ich sage, dass es um Leben und Tod geht, erhöht das meine Chancen für einen Blowjob in der Abstellkammer zwischen Bierflaschen und Kartons mit Klopapier?"

Ich hob eine Augenbraue. Das Bild konnte ich jetzt ernsthaft nicht mehr aus meinem Kopf bekommen. Ich hasste dieses Kopfkino. „Ähm..."

Victor lachte und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Das war ein Spaß, Schnucki! Chill."
Toll. Das Bild von ihm und Oscar in der Abstellkammer blieb trotzdem in meinem Kopf. Das traurige an der ganzen Sache war, dass ich es Victor total zutrauen konnte Oscar in die Abstellkammer zu bekommen und... Nein Halt Stopp! Ganz schnell an was anderes denken. Das sind meine Freunde verdammt nochmal.

„Oh Gott, M!" Jetzt lachte auch Vivienne. „Du wirst ja ganz rot!"

„Verarschen kann ich mich selber", brummte ich trotzig, auch wenn ich merkte wie mein Gesicht tatsächlich wärmer geworden war. Ich hasste sowas.

Ich sah zu Victor, der sein Handy gezückt hatte und wahrscheinlich nach Oscars Nummer suchte. Sie brauchten mich nicht mehr und ich beschloss zu gehen, bevor es noch eskalieren würde. Einmal hatte Vivienne vorgeschlagen noch auf einen Drink zu bleiben (ja, wir tranken ab und zu mal auch wenn wir noch lange nicht 21 waren, aber so machte das Leben eben mehr Spaß). Tja, aus einem Drink sind so Scheiße viele geworden, dass ich aufgehört hatte zu zählen und es endete damit, dass Victor halb nackt auf einem Tisch zu Justin Bieber getanzt hatte. Ihre Eltern waren zum Glück immer gechillt und das hatte sie nicht gestört. Sie waren wahrscheinlich die einzigen nicht abhängigen oder gestörten Eltern aus meinem Freundeskreis.

Ich stand auf. „Ich geh dann mal wieder", sagte ich und deutete auf die Tür hinter mir. „Bis Samstag Schnuckis eins und zwei!"

Dann drehte ich mich um lief aus dem Laden. Ich hörte, dass Victor mir noch etwas dreckiges zu rief, bevor ich ins Freie trat. Dem Freitag, der wahrscheinlich der beste in meinem bisherigen Leben sein würde (ja, der übertoppte auch das erste Treffen mit Wyatt), stand nichts mehr im Weg.

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