Kapitel siebzehn | Tiefgründige-Gespräche-Phase

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„Darf ich die Augen jetzt wieder aufmachen?" Ich gab mir wirklich Mühe meine Augen geschlossen zu halten, aber dass ich ständig über Wurzeln und große Steine stolperte, ließ das ganze fast unmöglich erscheinen. Meine Finger krallten sich in den weichen Stoff von Wyatts Strickjacke an seiner Schulter. An dieser durfte ich mich tatsächlich festhalten, um nicht bei jeder Wurzel auf der Fresse zu landen. Wirklich sehr freundlich.

„Nein!" Wyatt lachte. „Wir sind gleich da, keine Sorge."

Schon als wir an dem kleinen Wäldchen, was, wenn man von der Eastside aus Hablern raus fährt, liegt, angehalten hatten, hatte ich ein ungutes Gefühl. Natur dies das, aber ich war durch und durch ein Stadtmensch. Und ohne Beton unter meinen Schuhsohlen kam ich mir ein bisschen verloren vor. Noch dazu einen auf blind zu machen war dann natürlich noch lustiger, aber ich machte das Wyatt zuliebe.

Und genau deswegen waren Überraschungen beschissen.

„Aber jetzt sind wir da, oder?", fragte ich, mehr um meinen neuen Freund zu nerven, als es tatsächlich ernst zu meinen.

„Haha", erwiderte er nur trocken und als ob es Karma gewesen wäre, stolperte ich natürlich genau in diesem Moment über eine Scheißwurzel.

Karma ist 'ne Schlampe.

„Und was ist mit jetzt?", fragte ich trotzdem nochmal provozierend, kaum waren wir ein paar Schritte weitergelaufen. Arroganz war mein Schutzmechanismus bei fremden Leuten, aber wenn ich Menschen näherkam - egal auf welche Weise - dann nervte ich sie ununterbrochen. Wahrscheinlich weil ich Angst hatte, dass sie gingen. Alle Menschen gehen irgendwann. Und wenn ich sie somit früher loswurde war das besser für mich. Zu mindestens redete ich mir das ein.

Ich hatte einfach große Verlustängste. Trotzdem ließ ich die Menschen viel zu schnell rein in mein Leben. Es war als würde ich mit einer Fahne, auf der ganz groß 'Willkommen' steht, schwenken und meine Tür weit aufreißen, damit jeder Volldepp durch und somit in mein Leben laufen konnte.

Wenn die Arroganz die Leute also nicht daran hinderte, dass sie über die Schwelle traten, dann konnte ich sie meistens mit meinen Provokationen und nervigen Fragen wieder schnell rausschmeißen. Manchmal passierte das aber auch erst ziemlich spät.

Ich machte das schon ganz automatisch. Auch wenn ich es nicht wollte, die Angst jemanden zu verlieren und verletzt zu werden ließ mich zum Arschloch werden. Wortwörtlich.

Wyatt konnte von Glück reden, dass er nur Teile meines Arschloch-Ichs gesehen hatte. Ihm blieb das meiste erspart, denn so beschissen ich es auch fand, verletzt zu werden (und jede Zelle meines Körpers wusste, dass Wyatt das früher oder später tun würde - egal ob er das wollte oder nicht), ich wollte, dass Wyatt mich mag und dass er blieb. Ich wollte nicht, dass er wieder über die Schwelle aus meinem Leben trat und mich wie einen vergessenen Hund zurückließ. Traurig, aber immer noch drauf wartend, dass er wiederkommen würde.

„Gleich", antwortete Wyatt. Ich hörte, dass er leicht genervt war, sich aber zu bemühen schien, ruhig zu bleiben. „Versprochen, dass es cool wird."

Das sagte er jetzt schon zum fünften Mal, aber ich biss mir auf die Zunge um nicht etwas zu erwidern. Er schien das sooft zu sagen, weil er Angst hatte, dass ich es nicht cool finden würde und ich wollte ihn nicht verunsichern.

Und tatsächlich: wir waren kaum in paar Schritte weitergelaufen (natürlich nicht ohne nochmal zu stolpern) als wir stehen blieben. Auch mit geschlossenen Augen, spürte ich, dass es jetzt heller war. „Okay", sagte Wyatt bestätigend und wand sich aus meinen festen Griff um seine Schulter, „du kannst die Augen aufmachen."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, bereute es aber im selben Moment wieder. Scheiße, die Sonne schien viel zu hell auf uns herunter, sodass ich die Augen sofort wieder zu kniff. Wyatt lachte sein süßes Lachen, von dem ich mir langsam sicher war, dass es das schönste Lachen sein musste, was ich je gehört hatte.

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