Kapitel siebenundzwanzig | Das Ende vom Anfang

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Ich zog scharf die Luft ein als Natalie abermals mit dem Wattepad auf mein Gesicht tupfte. Schmerz verzehrt verzog ich mein Gesicht. Scheiße, das brannte.

„Halt Still." Natalie hatte konzentriert ihre Augenbrauen zusammengezogen und hielt mich am Kinn nicht gerade sanft in Position. „Das kommt davon, wenn man dumm ist."

Na danke auch.

Nachdem sie mich ein weiteres Mal abgetupft hatte, entgegnete ich: „Ich hab' dir doch schon erklärt was passiert ist, Nat."

Sie schnaubte nur genervt. „Ja, ich weiß und alles was ich dazu sage ist: Guck auf dein verdammtes Handy wozu hast du denn das Ding?"

„Ruf mich doch einfach das nächste Mal an, wenn Dad der Meinung ist, er muss mich als Boxsack benutzen", meinte ich mindestens genauso genervt wie sie. Warum zur Hölle gab sie mir jetzt die Schuld? Ich konnte so 'nen Kack doch nicht vorhersehen.

Gestern Abend war mein Vater besonders betrunken gewesen. Er war komplett zu, hatte sich vermutlich auch irgendwelche Drogen eingeworfen und wenn er so drauf war, konnte ich mir eigentlich schon sicher sein, dass ich mit einem blauen Auge als Accessoire enden würde. Nat und Harlow fasste er zum Glück nicht an, aber bei mir hatte er nichts dagegen Hand anzulegen.

Früher machte er das vor allem, um mir beizubringen, wie ein richtiger Mann handelt. Ein richtiger Mann weint nicht wenn er blutend am Boden liegt. Wir sind ja keine Schwuchteln.

Tja, da lag er bei mir nur halb daneben.

„Ich mach' mir Sorgen um dich, Rick", sagte Natalie und ging mehr auf meine Augenhöhe. Sie sah nicht mehr konzentriert, sondern sehr ernst aus und hatte ihr Ich-bin-super-besorgt-und-weiß-nicht-was-ich-tun-soll-Blick aufgesetzt, den wahrscheinlich sonst nur Mütter drauf hatten. „Wie oft kannst du noch einstecken, bis du irgendwann nicht mehr aufstehst?"

Das ist etwas, worüber ich öfter nachgedacht hatte, als ich es zugeben würde. Ich meine, klar, das klingt dramatisch, aber mein Vater kann hart zuschlagen, wenn er betrunken ist. Es ist also nicht unrealistisch zu denken, dass ich mich möglicherweise nicht wieder davon erholen konnte. Aber ich wollte verdammt nochmal nicht, dass Natalie und Harlow sich mit den selben düsteren Gedanken herumschlagen mussten.

„Bist du sicher, dass ich in Schule muss?"

Ich mochte es nicht, weinerlich zu klingen, aber mein Auge sah schlimm aus. Ich wollte nicht wie ein Schlägertyp rüberkommen und ich wollte nicht, dass Wyatt mich so sieht. Wir waren doch erst einen Tag richtig zusammen gewesen.

Zwar hatten wir beide beschlossen, es erst mal niemanden zu sagen, weil Wyatt noch nicht offiziell geoutet war.

„Ist das okay für dich?", hatte er mich gestern mit großen, entschuldigenden Augen gefragt. „Ich weiß das ist blöd, weil du so offen damit umgehst, aber ich will dem Ganzen noch ein bisschen Zeit geben."

„Natürlich ist das okay für mich. Nimm dir alle Zeit der Welt", hatte ich geantwortet und ihn gleich geküsst. Und das war die Wahrheit. Es wäre weder fair von mir von ihm zu verlangen sich zu outen, nur weil ich schon geoutet war, noch ihn unter Druck zu setzen.

Ich weiß wie angsteinflößend das Alles sein kann. Vor allem, wenn man nicht weiß wie man sich labeln will. Bin ich schwul? Mochte ich dieses Mädchen wirklich? Fand ich sie attraktiv? Bin ich Bi? Bin ich Pan? Bin ich was ganz anderes? Es gibt so viele Identitäten und ich bin so scheiße froh, dass ich in einer Zeit lebe, in der man sich über all das im Internet informieren kann. Toleranz ist zwar immer noch 'ne Sache, an der wir arbeiten müssen, aber es gibt die Möglichkeit zu mindestens herauszufinden, mit was man sich alles labeln kann. Manchmal kann das Ganze aber auch einen nur noch mehr verwirren und mit offenen Fragen sitzen lassen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 26, 2021 ⏰

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