Hofgang

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Die nächsten Tage vergingen ereignislos und folgten dem selben Muster: Die Aufseherin ließ mich erniedrigende Aufgabe erledigen, ich konnte in der Pause beobachten wie Dee und andere Häftlinge Smith einschüchterten und schikanierten, abends fiel ich fertig in mein Bett und freute mich auf die paar Stunden Schlaf, in denen ich dem Gefängnis entfliehen konnte. Die Aufseherin ließ sich täglich neue Aufgaben und Gemeinheiten für mich einfallen: Ihr komplettes Büro mit einem Staubwedel saubermachen, die Fenster putzen, während sie mir ein Halsband mit Leine umgelegt hatte, was mir den ersten Blick ins Grüne und die Umgebung auf das Gefängnis ermöglichte. Sie liebt es ebenfalls mich einfach nur neben ihrem Schreibtisch stehen zu lassen, manchmal mit einem Buch auf dem Kopf balancierend, damit ich gerade und stramm stehe. Bei Fehlern gab es Schläge mit der Gerte oder Peitsche, bei korrektem Verhalten weniger.
Draußen wurde es kälter, der Herbst beginnt langsam. Heute haben wir wieder mal Hofgang. "Nehmt euch Jacken mit, Ladys.", brüllt eine Wärterin, während sie uns Richtung Hof treiben. Neben der Tür, welche zum Hof führt liegt ein Haufen ausgeblichener orangener Jacken. Viele haben Löcher oder Flecken, deren Ursprung man lieber nicht erfragen möchte. Die Wärterin drückt jeder Frau, die vorbeigeht eine in die Hand. Als ich meine Jacke erhalte kann ich sofort erkennen, dass mir diese 3 Nummern zu groß ist.
"Entschuldigung, könnte ich eine Jacke haben, die kleiner ist.", sage ich höflich. Ich werde von hinten nach vorne geschubst. "Beweg deinen Arsch, nur weil es hier keine Designerstücke für so dürre Stücke wie dich gibt." Ich erkenne die Stimme von Dee. Ich werfe ihr einen verächtlichen Blick nach hinten, dann gehe ich aber wortlos weiter. Ich schlüpfe in die Jacke und merke, dass ich im Unrecht war: Sie ist mir 4 Nummern zu groß. Auf dem Hof ist wieder das übliche Treiben. Die Tische sind belagert, alle Sitzmöglichkeiten belegt, ein paar Frauen wie verrückt genug sind spielen Basketball bei der Kälte. Ich lehne mich an einen Zaun. Mit Rose war ich ständig am Geschäfte machen bzw. zuschauen wie sie Geschäfte macht. Wenn ich die vielen Frauen beobachte, kann ich genau erkennen, wer hier welche Sachen heimlich verschieben will. Unauffällige Weitergaben von kleinen weißen Päckchen, Zigaretten, welche heimlich in der Toilette geraucht werden, manche Frauen lassen sich auch Schminke in das Gefängnis schmuggeln. Ich versuche die Kälte zu vergessen, die Jacke bringt absolut nichts. "Hey", höre ich eine matte Stimme neben mir. Es ist Smith, ebenfalls in einer zu großen Jacke. "Wusstest du, dass diese Jacken schon 5 Jahre alt sind und absichtlich erst ab Größe XL bestellt wurden?" Ich bleibe gelangweilt stehen. "Ich habe dir nichts zu sagen", gebe ich monoton zurück. "Komisch, dass wir jetzt auf derselben Seite stehen", redet Smith einfach weiter. "Vor 2 Wochen konnte ich hier noch Schalten und Walten wie ich wollte und alle waren zufrieden. Rose konnte Sachen verkaufen, die Frauen haben ihr Zeug bekommen und ich konnte mein mikriges Gehalt aufbessern. Und jetzt stehe ich hier mit dir auf dem Hof und heute abend darf ich wieder das Haustier des Zellblocks sein." Ihre Stimme bricht kurz, dann fängt sie sich wieder. "Und das schlimme daran ist: Es hat sich nichts geändert. Es werden immer noch Drogen hier verkauft, die Wärter sind immer noch korrupt, nur jetzt ist die Aufseherin an allen Sachen beteiligt. Ich war nur ein Bauernopfer, damit alle anderen Wärter gehorchen. Und wenn ich Pech habe, sitze ich noch 5 weitere Jahre hier in diesem Höllenloch. War es das wert?" Ich schaue sie kurz an, dann wieder nach vorne auf den Boden: "Du hast mich Rose ausgeliefert...dieser verrückten Psychopathin. Sie hat mich unterworfen und meinen Willen gebrochen. Du wusstest das.  Aber sie hat mich auf ihre Art hier beschützt und dafür gesorgt, dass die letzten Monate nicht ganz so unerträglich waren. Und dann hast du durch deinen Verrat dafür gesorgt, dass sie in den B-Block gekommen ist. Das verzeihe ich dir noch weniger." Es herrscht kurz Stille. "Ich weiß...", beginnt Smith. "Es tut mir auch wirklich leid. Aber sonst hätte Dee sie verraten. Pass auf, Dee hat es auf dich abgesehen. Ich höre immer wieder wie sie vorhaben dir eine Lektion zu erteilen. Ich möchte dich nur warnen." Na klasse. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich versuche gelassen zu bleiben: "Vielen Dank!" Ich stoße mich vom Zaun ab. "Ich ziehe es vor, den Rest meines Hofgangs alleine zu verbringen." Ich laufe am Zaun entlang in die Nähe des Eingangs zum Zellenblock. Bald müsste die Pause rum sein und ich wieder in Sicherheit sein. Auf dem umzäunten Hof sind keine Wärter, dahinter zwischen Zaun und Mauer befinden sich zwei, welche eher unaufmerksam alles beobachten. Wenn ich also hier Probleme bekomme, dann dauert es etwas bis mir jemand zu hilfe eilen könnte. Ich schlucke. Lieber in Bewegung bleiben. Ich beginne wieder loszulaufen. Immer am Zaun entlang, vorbei an den Tischen, der Tribüne und am Basketballfeld. Ich kann Dee nirgendwo ausmachen. Das ist gut und schlecht. Ich höre wie hinter mir jemand läuft, ich werfe einen Blick nach hinten, allein an der Statur kann ich erkennen, dass es sich nicht um Dee handelt. Ich gehe langsam weiter. Die Frau geht an mir vorbei: "Schöne Grüße von Dee!", höre ich sie zischen. Ich merke, wie sie mir beide Beine wegzieht und mich gleichzeitig zu Boden wirft. Ich falle nach vorne, meine Hände von ihr halb festgehalten und knalle mit dem Kopf nach vorne. Ich höre schallendes Gelächter um mich herum, während mir schwarz vor Augen wird.

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