Familie

533 11 0
                                    

Wir bleiben noch für eine kurze Zeit auf dem Bett sitzen. Lea schweigt immer noch, ich traue mich nicht zu fragen... Wir sitzen fast 30 Minuten zusammen, als plötzlich Maria herein kommt. "Sieh an, wen haben wir denn da? Hat jemand die Tür vom Loch offen gelassen oder warum darfst du dich wieder frei bewegen", sagt sie hämisch. Lea steht ohne ein Wort auf und knallt ihr eine. Maria ist kurz überrascht und entsetzt, dann fasst sie sich an ihre rote Wange. "Na gut... Das lassen wir mal auf sich beruhen. Wenn ihr beide euch nochmal daneben benehmt, sorge ich dafür, dass ihr beide für lange Zeit im Loch landet." Sie schaut uns beide wütend an und geht wieder aus der Zelle.
"Wegen ihr blieb ich so lange im Loch. Sie hat Wright alles berichtet, er hat dafür gesorgt, dass es offiziell untersucht wird. Wenn ich Pech habe, bekomme ich 6 Monate oben drauf",sagt Lea ruhig. "Sie ist so eine falsche Schlange...obwohl sie regelmäßig mit anderen Frauen streit hat, kommt sie immer wieder mit solchen Aktionen um die Ecke. Ich weiß nicht wie wir sie loswerden sollen...", antworte ich matt.
"Hoffentlich wird sie von Dee ordentlich verprügelt, die regelt doch sonst immer alles..."
Den restlichen Tag verbringen Lea und ich gemeinsam, wir essen zusammen, duschen gemeinsam und liege bis zum 'Licht aus' gemeinsam auf meinem Plastikbett, in dem ich jetzt wieder schlafen muss. Aber das Gefühl, welches ich zu Beginn unserer gemeinsamen Haftzeit hatten ist weg...

Die nächsten Tage bleibt Lea weiterhin schweigsam. Ihre freche, vorlaute Art, welche sie gegenüber den Wärtern und anderen Häftlingen hatte, ist weg, sie redet wenig und folgt den Anweisungen der Wärter stoisch und ohne großartigen Kommentar. Ich bin entsetzt wie sehr sie verändert hat. Auch bei der Arbeit in der Chain Gang war sie früher immer so kommunikativ, für die Wärter immer etwas zu viel, was ihr regelmäßig Verwarnungen einbrachte, aber nun arbeitet sie brav und gehorsam. Auch unsere Beziehung kühlt weiter ab. Wir nehmen uns zwar gegenseitig in den Arm aber ihr Verlangen nach Sex oder ähnlichen Aktionen hat völlig nachgelassen. Nach den Treffen mit Rose weiß ich auch nicht wirklich, wie ich mich Lea gegenüber verhalten soll. Natürlich mag ich sie immer noch und finde sie irgendwie attraktiv und anziehend. Aber mittlerweile fühlt es sich nur noch wie eine Freundschaft+ an. Wahrscheinlich ist das im Gefängnis eh normal und meine komischen Gefühle für Rose verbauen mir wieder alles...wieso muss alles so kompliziert sein.

"Nehmt die Harken und macht im Park alles sauber, Häftlinge!", brüllt der Wärter. Ich stehe in meiner übergroßen Jacke und versuche die verdammte Kälte zu ignorieren. In der Jacke sehe ich so aus als würde ich doppelt so schwer sein, wirklich warm hält sie auch nicht. Ich rücke meine orangene Wollmütze zurecht. Der Stoff ist zwar kratzig, aber sie hält wenigstens etwas warm. Ich hebe eine Harke auf und schaue mich in dem verwilderten Park um, ich sehe weit und breit keine Blätter. Meine Mithäftlinge fangen an zu harken, ich folge ihrem Beispiel. "Das ist doch bullshit...", flüstere ich. "Willkommen in der Chain Gang. Als ob die Arbeit davor viel besser war. Aber ihnen gehen langsam die Aufgaben aus, also geben sie uns so nonsense Aufgaben. Ich bin seit 4 Jahren hier", erklärt mir die ältere Frau neben mir.
Wir laufen kreuz und quer durch den Park und versuchen beschäftigt zu wirken. "Sie könnten uns doch im Knast arbeiten lassen", flüster ich wieder. "Besser als dieser nutzlose scheiß." "Ach, Schätzchen", lacht die Gefangene. "Du wirst noch merken, wie das hier alles läuft."

Meine Hände sind immer noch kalt und schmerzen von 8 Stunden Arbeit mit den Harken. Lea liegt auf ihrem Bett und schläft, mit ihr zu Reden würde eh wenig bringen. Maria ist zum Glück noch nicht da, allerdings herrscht in unserer Zelle sowieso nur noch ein kaltes Schweigen, da sich niemand mehr wirklich etwas zu sagen hat. Ich checke mein Handy, ich habe Lea davon immer noch nicht erzählt, ich beantworte schnell ein paar Mails an "Kunden", Dennis scheint wegen irgendwas aus dem Häuschen zu sein, ich scrolle nur oberflächlich drüber.
Dann verstecke ich es wieder schnell unter zwischen meinen Sachen.
"Hey, Walker, ich habe nen Brief für dich!", höre ich die Stimme einer Frau. Ich drehe mich um, es ist eine Gefangene, die die Post verteilt. Ich atme kurz auf, dann kann es schonmal nichts schlimmes von Dennis sein. "Danke!", sage ich und nehme den Brief entgegen. Der Brief scheint aus dem benachbarten Bundesstaat zu kommen. Ich reiße ihn gespannt auf. Er ist auf schönem Briefpapier geschrieben, die Schrift kommt mir sofort bekannt vor. Diese Schönschrift vergesse ich nicht:

Liebe Nathalie,

Ich freue mich, dass du am Leben bist. Nachdem du vor ein paar Jahren abgehauen bist, wussten wir nie wirklich, ob du tot bist oder einfach nur keinen Kontakt mit uns willst. Das ich dir einen Brief ins Gefängnis schreiben werde, hätte ich allerdings nie gedacht. Dein Freund Dennis hat mich informiert, scheinbar hast du mit ihm ja Kontakt, während du es nicht für nötig hälst, deiner Schwester Bescheid gu geben! Ich habe unseren Eltern noch nichts gesagt, wenn sie wüssten, dass ihre Tochter im Bundesgefängnis ist, würden sie vor Scham im Boden versinken! Ich weiß nicht warum du im Gefängnis bist und wie lange. Aber bitte, wenn du wieder draußen bist, dann komm zu uns zurück. Du kannst bei mir gerne wohnen, ich helfe dir auf die Beine zu kommen. Unsere Familie nimmt dich mit offenen Armen auf, unsere Eltern würden sich freuen ihre Töchter wieder zusammen zu sehen. Bitte! Ich würde dich gerne besuchen, kannst du bitte alles in die Wege leiten und mir bescheid geben. Nach allem bist du immer noch meine Schwester.
Pass auf dich auf und schau, dass du so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kommst.
Miranda

Ich lese den Brief mehrmals. Dann zerknülle ich ihn und werfe ihn auf den Boden. Ich trete einmal kurz drauf. Sie hat mir gerade noch gefehlt. Meine große Schwester, erfolgreich und beliebt, bietet mir ihre Hilfe an, damit ich aus dem kriminellen Sumpf kommen. Ich bin nicht umsonst mit 18 abgehauen, dieser schlimmen Vorstadt-Heile-Welt. Nun verfolgt sie mich sogar in den Knast. Dennis... Sofort zücke ich mein Handy und schreibe eine wütende Nachricht, dann mache ich es komplett aus.
Ich schiebe meine Kiste wütend mit dem Fuß unter die Betten, Lea dreht sich wegen des Lärms um und schaut mich verwirrt an. "Meine Schwester hat mir geschrieben... Sie weiß wo ich bin..." "Ich wusste nicht, dass du eine Schwester hast, Nathalie", sagt Lea ruhig. "Ist es denn so schlimm, wenn sie weiß, dass du im Knast bist..."
"Sie weiß, wo ich überhaupt bin. Das ist das Problem. Seit ich mit 18 abgehauen bin, sucht sie mich immer wieder und will dass ich nach Hause komme. Und jetzt kann ich nicht einfach so umziehen oder meine Nummer ändern... Ich bin im Gefängnis, sie wird mich jetzt regelmäßig nerven..."
"Sie macht sich nur Sorgen, sei froh, dass du sie hast", sagt Lea bevor sie sich wieder umdreht und schläft.
Auf Lea war auch mal mehr Verlass. Ich beschließe Miranda nicht auf meine Besucherliste zu setzen, dann lässt sie mich hoffentlich auch in Ruhe und kann mir nur Briefe schreiben. Ich hebe den Brief auf, zerreiße ihn ganz und spüle ihn ins Klo herunter. Niemand soll wissen, dass ich eine Schwester habe.

Orange JumpsuitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt