An der Kette

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Obwohl ich fast 6 Wochen weg war, fühlt es sich so an, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich Block C verlassen habe. Wahrscheinlich nimmt man Zeit im Gefängnis einfach nur anders wahr. Um 5.30 dröhnt die Sirene für den Apell, ich stehe sofort auf, stupse Lea an, damit sie wach wird und ziehe meinen Jumpsuit an. "Wieso müssen wir so früh raus?", gähnt Lea verschlafen mit einem Blick durch das vergitterte Fenster. "Ab 7 Uhr müssen wir arbeiten, zieh dich an, wir müssen zum Appell antreten." Lea murrt kurz, dann macht auch sie sich bereit. Die Zellentüren gehen auf, ich stelle mich vor unsere Zelle. Ich erkenne ein paar bekannte Gesichter wieder, Dee ist nicht in unserer Nähe. Nach 5 Minuten kommen die Wärter vorbei und ich sage meine Nummer auf. Danach ist Lea dran: "536...ähhh 090", stottert sie nervös. "536-019, Häftling!", blafft sie der Wärter an. "Heute ist dein erster Tag, ich lasse dir es durchgehen, aber ab morgen wirst du sie fehlerfrei aufsagen können, verstanden?" "Ja, Sir", sagt Lea und guckt betreten nach unten. 10 Minuten später dürfen wir wieder in die Zellen zurück. "Machen die das jeden Morgen?", fragt Lea genervt. "Ja, und manchmal auch Mittags, wenn sie Lust dazu haben. Dann durchsuchen sie auch gerne Zellen."
Kurz darauf öffnen sich die Zellen erneut und wir können zum Frühstück gehen. Nach dem gestrigen Tag habe ich verdammt viel Hunger. Im Aufenthaltsraum hat sich wenig verändert, die stählernen Tische und die daran montierten Sitzmöglichkeiten sind gleich geblieben. Nur sind wesentlich mehr Frauen dort, wohl ein Nebeneffekt von der Erhöhung der Zellenzahl. Ich greife mir ein Tablett und suche mir den erstbesten Platz den ich finden kann. Lea setzt sich neben mich. Während ich sofort zu essen beginne, sehe ich im Augenwinkel wie Lea zögert, den gelblichen Brei anzurühren. "Besser wirds nichts", sage ich schulterzuckend. Sie löffelt los. Dann sehe ich wie Dee in den Raum kommt. Ich lasse mir nichts anmerken, obwohl ich weiß, dass es jetzt zu Stress kommen kann. Aber es passiert nichts. Es findet nicht einmal direkter Blickkontakt statt. Dee setzt sich mit ihren Freundinnen an einen Tisch. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mich gesehen hat...

Nach dem Essen kehren wir in unsere Zellen zurück. Dee beobachtet mich wahrscheinlich, sie wird jetzt schon wissen, dass Lea zu meinen Kontakten gehört. Wird sie sie auch angreifen oder gegen mich ausspielen? "Häftlinge zur Arbeit bereit machen!", tönt es über die Gänge. Wir stellen uns wieder an die Tür. Zuerst werden die Häftlinge für die Putzkolone gerufen- natürlich die Neuen. Anschließend für die Wäscherei, Näherei und Küche. Als letztes kommen die Häftlinge für die Chain Gang. Wir laufen zu einer größeren Umkleide, dort liegen zusammengelegte gelbe Jumpsuit, sowie ein paar Stiefel vor jeder Uniform. "Zieht euch eine Uniform und die dazugehörigen Stiefel an, danach den Nummern nach in einer Reihe aufstellen." Ich gehe zu einer Uniform und hebe sie hoch. Sie hat lange Ärmel, dafür keine Taschen, auf meiner ist vorne auf der Brust eine 12 gedruckt. Auf dem Rücken steht groß "Chain Gang Inmate Nr.12" Ich schaue mich kurz um, jede Frau hat eine andere Nummer auf dem Rücken. Das meinten die Wärter also.  "Wurden diese Stiefel schon vorher getragen?", fragt eine junge Gefangene mit Ekel in der Stimme. "Natürlich, Schätzchen! Und jetzt rein in die Stiefel und eng zuschnüren. Du hast einen langen Tag vor dir.", sagt der Wärter. Ich überwinde mich nach kurzen Zögern und ziehe die Stiefel an. Es sind typischen Militärstiefel, sie gehen mir bis zum Knöchel. Anschließend stelle ich mich auf die Stelle mit dem Platz 12, welche auf den Boden gedruckt ist. Lea ist mit Nr.27 etwas weiter von mir weg. Neben uns liegt eine Kette, sie reicht allerdings nur für 5 Häftlinge. Der Reihe nach wird um unser rechtes Bein die Kette gewickelt und mit deinem dicken Schloss gesichert. Zum Häftling vor und hinter mir trennen mich vielleicht knapp 1 Meter. Die Wärter sind alle mit einem Gewehr bewaffnet. Wir verlassen das Gefängnis durch eine Sicherheitsschleuse, nach 5 Minuten Fußmarsch erreichen wir die Felder. Ich bin während des Laufens immer zu schnell oder langsam und ziehe oder werde gezogen. Außerdem bringt es mir böse Kommentare von den anderen Frauen ein. Angekommen bekommen wir alle eine Hacke in die Hand. "Also, ich werdet heute weiter die Felder pflügen, bevor der Winter kommt. Da wir einige Neue in unserem exklusiven Club haben, denkt gar nicht daran mit den Hacken Mist zu machen. Wir haben hier genug Wachtürme, dass ihr euren Fehler schnell bereuen werdet. An die Arbeit."

Die Gruppen aus Häftlingen werden auf die Felder verteilt, danach beginnen wir den Boden zu bearbeiten. Es ist 7:30, es wird langsam heller und mir ist trotzdem irgendwie kalt. Zum Glück ist die Uniform etwas dicker als die, die wir täglich tragen. Ich merke nach den ersten Schlägen, dass ich für diese Arbeit nicht geschaffen bin. Ich höre ein Kichern neben mir, die anderen Häftlinge sind deutlich stärker als ich. Ich versuche bei ihrem Tempo Schritt zu halten, doch nach kurzer Zeit bin ich aus der Puste. "Na, für nen Überfall sitzt du sicher nicht", witzelt die Frau neben mir. Ich ignoriere die Bemerkung und versuche Schritt zu halten. Dieser Job hier ist wahrscheinlich die Bestrafung für Häftlinge, die Frauen hier scheinen alle auch nicht so harmlos zu sein. Warum ist Lea dann hier? Hat sie einer Gefangenen im Gefängnis davor das Ohr abgebissen. "Ey, Häftling Nr. 12, du wirst nicht fürs Faulenzen bezahlt", schreit ein Wärter rüber. Ich möchte eine freche Antwort geben, beiße mir aber auf die Zunge. So vergehen mehrere Stunden bis zur Mittagszeit.
Mir tun die Hände und Knochen weh und freue mich schon auf etwas zu essen und zu trinken. Meinem Gefühl nach müsste es 12 sein, doch werden noch nicht reingeholt. "Wann gehen wir zum Mittagessen?", frage ich die Frau neben mir? "Mittag?!", sie lacht kurz. "Es gibt ne Plastiktüte mit nem Sandwich, einem Apfel und eine Flasche Wasser. Dann 30 Minuten Zeit es zu essen, bevor wir weiterarbeiten. Das ist hier das Mittagessen." Ich gucke kurz stutzig. "Und wenn jemand auf Klo muss?", frage ich ungläubig. Es gibt hier ein kleines Dixieklo, wenn du musst dann gehst du da hin, aber du wirst nicht von den anderen losgemacht, also überleg dir ob du so oft gehen willst."
Kurze Zeit später fährt ein Van vor, der Reihe nach bekommen wir unser Essen in einer Plastiktüte ausgehändigt. Obwohl wir alle aneinander gekettet sind, reden wir beim Essen kaum. Scheinbar werden die Häftlinge jeden Tag neu verteilt, um so die Absprache oder ähnliches zu verhindern. Ich sehe mich um. Die Felder sind relativ groß, in der Ferne sehe ich die anderen Gruppen, welche ebenfalls essen. Danach geht es im selben Tempo weiter. Die anderen Häftlinge haben jetzt eine Stunde Freizeit oder können auf den Hof, ich muss hier auf den Feldern schuften. Naja, so umgehe ich wenigstens Dee und die Chance in der Krankenstation zu landen. Aber beim Abendessen werde ich ihr wohl über den Weg laufen. Den Toilettengang verkneife ich mir tunlichst, ich möchte mich auch nicht bei den anderen Frauen unbeliebt machen. "Wie lange arbeiten wir täglich...", frage ich irgendwann ohne Puste. "16 Uhr, danach werden wir noch durchsucht und dürfen dann auf unsere Zellen." "Und duschen?", frage ich, da ich nach der Arbeit schon etwas verschwitzt bin. "Mit den Anderen nach dem Abendessen." Ich seufze.

Um 16 Uhr höre ich das Signal der Wärter. Wir sammeln uns alle, geben unsere Hacken ab und marschieren wieder zum Tor. Nach der Schleuse bekommen wir die Ketten abgenommen und werden angewiesen uns auszuziehen. Ich ziehe die Stiefel aus... Die Person die sie morgen tragen muss tut mir schon leid. Ich will gerade meine Uniform ablegen, da höre ich einen bekannte Stimme: "Die Häftlinge aus Zelle 44 müssen gründlich durchsucht werden, in ihrer Zelle wurde verbotene Ware gefunden." Es ist Wright, welcher lächelnd in der Tür steht. Die anderen Wärter lassen ihn sofort gewähren. Er legt Lea und mir Handschellen an und zerrt uns in Richtung eines Verhörraums. "Na, ihr zwei Hübschen. Gestern Nacht habt ihr es in eurer Zelle ja ordentlich krachen lassen. Ich dachte mir, dass eine kleine Privatshow für mich persönlich genau das Richtige wäre. Ansonsten wird man bei euch eine kleine Menge Heroin in der Zelle finden. Das wäre doch schade oder?"
Er öffnet die Tür und schiebt uns in den Verhörraum. Ich schaue Lea fragend an, dann sehe ich Wrights schmieriges Lächeln... Ich kann mir denken was er will.

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