Kapitel 26

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<< A queen will always
turn pain into power. >>

Freya lag mit offenen Augen im Bett und versuchte, sich nur auf die eigene Atmung zu konzentrieren. Draußen wurde es langsam hell. Die Wolken waren noch dichter als gestern und der Nebel hing nur wenige Zentimeter über dem Boden. Eigentlich sollte sie schlafen. Sie musste ausgeruht sein. Doch sie konnte nicht. Stattdessen lag sie da, die Decke bis zu der Hüfte über sich und hörte dem Zischen des Holzes zu. Wenn sie an heute Nacht dachte, verschwanden alle Gedanken dazu beinahe spurlos aus ihrem Gedächtnis. Sie stand immer noch unter Schock, da war sie sich sicher, obwohl ihr Vater ihr beinahe schon befohlen hatte, ein starkes Beruhigungsmittel zu nehmen.

Ihr Vater. Ihr Kopf begann zu schmerzen, wenn sie an ihn dachte. Durch die Gedankenkontrolle des Dämons tat ihr grundsätzlich schon der Kopf weh. Und das eingenommene Mittel schien diesen Schmerz allmählich durch ihren ganzen Körper zu schicken. Was hatte sich der König nur gedacht? Freya hatte Angst bekommen, starke von einem Urtrieb getriebene Angst und hatte sich keinen Millimeter bewegt. Erst als Gennady bei ihr war und sie seine starken Arme um sich gespürt hatte, da war sie wieder aufgewacht. Sie hatte sich an ihn geklammert und leise und beruhigend hatte er ihr erklärt, dass es das Beste war, wenn sie auf ihr Zimmer gehen würde. Sie hatte keinen Widerstand geleistet. Evette hatte bereits auf sie gewartet, ihre Wangen hochrot vom Stress oder Rennen oder – Freya wusste es nicht. Mit zitternden Händen hatten sich die beiden Frauen umarmt und hatten sich erst wieder losgelassen, als Gennady bereits lange wieder unten war.

Ein Teil von Freya war voller Adrenalin gewesen. Sie erwartete bereits jede Sekunde, dass die schwere Türe einfach aufgerissen wurde und irgendjemand – Cathan, Aillard, Reaghan, Priamos? – hereinstürmen und sie wieder nach unten ziehen würde. Ihr Vater hatte ein Wesen verletzt, vielleicht sogar getötet und höchstwahrscheinlich wollten sie jetzt Gerechtigkeit. Und sie konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Als sie von dem ersten toten Menschen erfahren hatte, der mehr gequält wurde, als dass es ihr Vater jemals für richtig angesehen hatte, und sofort klar war, wer für die Morde verantwortlich war, da war sie wütend geworden. Sie hatte sich gefragt, warum man jemals jemandem so Schmerzen hinzufügen wollte und musste selbst entsetzt feststellen, dass sie sich bereits vorgestellt hatte, den Verantwortlichen zu quälen. Sie war nicht besser als dieses Wesen selbst gewesen.

Freya hob langsam den Kopf und konnte die Schultern ihrer Zofe unter der Decke hervorblitzen sehen. Sie hatten beide nur ihre dreckigen Kleider ausgezogen, hatten sich die Schminke abgewaschen und das bereits trocknende Blut abgekratzt. Die Prinzessin hatte drei Kissen schweigend abgegeben, denn so wie es aussah, konnte Evette nur in einer halbsitzenden Position schlafen. Geredet hatten sie nicht viel, beide waren erschöpft und bei jedem noch so kleinen Geräusch zusammengezuckt. Kurz bevor sie eingeschlafen war, wurde die Türe wirklich einfach aufgerissen und Gennady hatte ihnen außer Atem erklärt, dass die Beerdigungen der Ermordeten für den folgenden Morgen angesetzt worden waren. Ab da konnte Freya nicht mehr schlafen. Jetzt erst recht nicht.

Und jetzt war es bereits Morgen und bald würde sie wieder aufstehen und wieder alle sehen müssen. So wie sie die Bediensteten kannte, würde bereits ganz Kestramore wissen, was in dieser Nacht passiert war. Und so wie sie ihren Vater kannte, würde er so viele Menschen wie möglich einladen, allein schon, um die Wesen an einer Racheaktion zu hindern. Nicht vor so vielen Augen.

Wie zur Bestätigung ihrer Gedanken läutete im ganzen Schloss plötzlich eine laute Glocke, die Freya seit ihrer Kindheit nicht mehr gehört hatte. Seit ihre Mutter gestorben war. Der tiefe Ton klang bis in ihre Knochen nach und sie fragte sich kurz, was ihre Mutter von dem allen halten würde. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie den König unterstützt hatte. Ihr Vater hätte vielleicht niemals sein Schwert gegen einen Dämon erhoben. Ihre Mutter war aber nicht mehr da, vielleicht wäre es ihre Aufgabe gewesen. Wenn sie sich eingemischt hätte, dann wäre vielleicht alles gut ausgegangen. Eigentlich hatte sie es versucht, aber den Beweis für ihr Scheitern spürte sie, als sie sich langsam hinsetzte. Die Schmerzen im hinteren Teil ihres Kopfes, dort wo Cathan gesessen und ihr verboten hatte, ihren Vater zu retten, wurden wieder dumpfer, als wollten sie ihr nochmal zeigen: Sie hatte versagt.

The Dark CrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt